Berliner Krankenhausbewegung Sie retten leben – aber wer rettet sie?

Seit September sind bzw. waren die Kolleg:innen des Berliner Universitätsklinikums Charité, des städtischen Klinikverbunds Vivantes sowie die Servicetöchter von Vivantes im Streik. Sie forderten mehr Personal auf Station und in verschieden Bereichen wie OPs, Kreissäle, etc. sowie den Tarifvertrag des Öffentlichen Dienstes 1Kollektivvertrag in Österreich (TVÖD) bei den Servicetöchtern (diese waren nach dem Outsourcing Anfang der 2000er Jahre weitestgehendes tariflos). Und zusammen streiken ergibt Sinn, denn am Ende haben Personalmangel und Ausgliederungen die gleiche Ursache – Geld sparen und das auf Kosten der Beschäftigten.

Endlich gemeinsam

Schon 2015 und 2017 gab es ver­schiedene Streiks der Kolleg:innen an der Charité für mehr Personal. Diese endeten zwar in einen Tarifvertrag Ge­sundheitsschutz, doch brachte dieser keine spürbare Entlastung für viele Kolleg:innen. 2021 wurde dann zum ersten Mal gemeinsam im Rahmen der verdi 2Vereinte Dienst­leistungsgewerkschaft Kampagne „Berliner
Krankenhausbewegung“ mobilisiert: Kolleg:innen von Charité, Vivantes und Vivantes-Töchtern streiken zusammen und für gemeinsame Forderungen. Die Solidarität unter­einander ist und war groß. Immer wieder wurde betont, sei es auf dem Streik oder während Presse­konferenzen, dass nur, nachdem alle For­derungen er­füllt wurden, gemeinsam aufgehört wird.

Outsourcing dient nicht nur dem Sparen

Die Nachteile des Outsourcings sind für die Kolleg:innen nicht nur bei der Be­zahlung, sondern auch beim Streik spürbar. Viele Tochter­unternehmen führen eben auch zu einer Spaltung der Belegschaft. Ein Beispiel: Im Labor Berlin, welches gemeinsam von Charité und Vivantes betrieben wird, wurde von Anfang an nicht nur mit Re­pressionen gedroht (siehe aurora Nr. 19), sondern die Geschäftsführungen wei­gerten sich, diesen Bereich über­haupt zu verhandeln. Laut Kooperations­vereinbarung sei nicht klar bestimmt, wer eigentlich für das größte Kliniklabor Europas zuständig sei.

Eine weitere erwähnenswerte Tochter ist größte Tochter der Charité, die CFM (Charité Facility Management), die jedoch nicht mit gestreikt hat. Die Kolleg:innen kämpften seit Jahren für den TVÖD – und just bevor die Berliner Krankenhausbewegung startete, wurde hier der Kampf mit einer Schlich­tung zwischen verdi und der CFM-Geschäftsführung beendet. Der ver­handelte Haustarifvertrag liegt unter dem TVÖD und es wurde auch keine An­gleichung an diesen in der Zukunft fest­gelegt. Damit wurde die größte und kampferfahrenste Tochter aus der jetzigen Streikbewegung rausgezogen – was den Streik insgesamt nur schwächen konnte. Dieser Abschluss er­weist sich außerdem als Bumerang und soll nun auch als Vorbild für die Vivantes-Töchter dienen – am Ende ist das für die Chefs immer noch billiger als der TVÖD für alle.

Organizer:innen für die Selbster­mächtigung?

Für die Mobilisierung und Organi­sierung des Streiks wurde erstmalig in Berlin eine Organizer-Firma von verdi beauftragt. Die Organizer:innen haben im Vorfeld alle Kolleg:innen angerufen, sind über Stationen gezogen, haben die durchgeführten Interviews und Bespre­chungen zur Forderungsfindung sowie Abstimmung begleitet und haben so einen großen Beitrag zur Mobilisie­rung geleistet. Sie haben Ver­trauen unter den Kolleg:innen ge­wonnen und über­nehmen wesentliche praktische Auf­gaben der Streikorgani­sation. Natürlich ist diese Unterstützung wichtig für den Anfang, aber inwieweit die Organi­zer:innen es geschafft haben, die Kolleg:innen zu aktivieren, ihren eigenen Streik selbst zu organisieren, lässt sich erst in den nächsten Tagen ab­schätzen – denn aufgrund der (ungeplanten) Länge des Streiks bei Vivantes und den Töchtern wird die Zahl der Organizer:innen gerade herunter­gefahren.

Gesundheitsversorgung und die Politik

Die „Berliner Krankenhausbewegung“ ist nicht die erste ihrer Art in Deutschland. In Jena gab es z. B. erfolgreiche Kämpfe für eine Mindestbesetzung. Dort nutzten die Kolleg:innen und die Gewerkschaft die bevorstehenden Wahlen, um den politischen Druck zu erhöhen und um ihre Forderungen durchzusetzen.

Diese Strategie wurde auch in Berlin ver­folgt – der Streik wurde bewusst vor den Bundes- und Landtagswahlen gestartet. Dass der Kampf zeitlich über die Wahlen hinaus geht – damit haben verdi und viele Kolleg:innen wahrscheinlich nicht ge­rechnet. Dass auf die SPD 3Sozialdemokratische Partei Deutschlands; stellte den regierenden Bürgermeister in Berlin für viele Jahre unter verschiedenen Bünd­nissen mit der Linkspartei, den Grünen oder der CDU (Christlich Demokratische Union Deutsch­lands), höchstwahr­scheinlich wieder Regierungspartei in Berlin, nicht zu setzen ist, sehen wir schon jetzt: SPD-Mitglieder (Finanzsenator Kollatz, Gesundheits­senatorin Kalayci oder Noch-Regierender Bürgermeister Müller) sitzen mit im Aufsichtsrat von Charité und Vivantes und geben Rückendeckung für die Chefs. Zusammen mit den Chefs wollen sie scheinbar den Streik bei Vivantes und den Töchtern aussitzen. Anders ist die Frechheit der Geschäfts­führungen gegenüber den Streikenden und die Blockade einer Notdienst-vereinbarung (siehe aurora Nr. 19) in lan­deseigenen Unternehmen nicht zu erklä­ren.

Öffentlich weisen Politik und die Ge­schäftsführungen die Schuld von sich. Die Geschäftsführung von Vivantes sagt z. B., sie benötigen eine Gegenfinanzierung für mehr Personal und TVÖD vom Senat, der Senat sagt aber, der Bund müsse handeln. Mindestens 20 Jahre lang wurden die Berliner Häuser ge­zwungen, Investitionen und Modernisie­rungen der Gebäude und des Geräteparks (wofür eigentlich das Land aufkommen müsste) über den laufenden Betrieb – also von den Geldern der Krankenkassen, die die Löhne finanzieren – zu stemmen. Und das, obwohl im Koalitionsvertrag der Berliner Regierung von 2016 fest­gelegt wurde, dass genau das nicht mehr stattfinden soll. Interessanterweise findet sich dort auch der Passus, das in den Töchtern der landeseigenen Unter­nehmen der TVÖD zur Anwendung kommen soll.

Wer gefährdet wen

Vor allem von der Vivantes-Geschäftsführung wird verkündet, dass der Streik Patient:innen gefährde. Dabei wird verschwiegen, dass ein 100-tägiges Ultimatum vorausging, um Ver­handlungen zu beginnen – doch dieses Ultimatum wurde ignoriert von Ge­schäftsführung, Vorstand, Aufsichtsräten und Politik. Sie haben einen Streik be­wusst in Kauf genommen und sie verzögern die Verhandlungen – zu Lasten der Patient:innen.

Oft betonen sie, dass kein Personal auf „dem Markt“ vorhanden wäre. Abge­sehen davon, dass sie diese Ent­wicklung hingenommen haben, gibt es eine Masse an ehemaligen Pfle­genden, die zurück in die Klinik gehen würden – wenn die Rahmen­bedingungen besser wären. So hat eine Umfrage des Hebammenverbandes unter Hebammen ergeben, dass viele aus der Selbstständigkeit oder Leasing zurück in die Klinik gehen würden, wenn sich dort die Arbeitsbedingungen end­lich verbessern würden. 

Salamitaktik – ein Betrieb nach dem anderen verhandeln

Am Donnerstag, dem 07.10. wurde ein Eckpunktepapier zwischen verdi und Charité unterschrieben mit der mehr­heitlichen Zustimmung der Teamdelegierten 4Teamdelegierte sind (teils ge­wählte) Vertreter:innen von Stati­onen oder Funktionsbereichen, die hauptsächlich Infor­mationen z.B. zu den Verhand­lungen, Streik­plänen, etc. in die Station zurück tragen. Während den Verhand­lungen 2021 werden und wurden sie als beratenes Gre­mium hinzugezogen. Der Streik wurde hier ausge­setzt. Bei Vivantes gab es ein unzu­reichendes Angebot, welches von den Kolleg:innen abgelehnt wurde. Die Ver­handlungen bei den Töchtern stehen weiter auf der Stelle. Vivantes und Töchter wollen weiter streiken, doch ohne Charité-Kolleg:innen verliert der Kampf an Stärke. Wie können sie weiter­hin solida­risch sein? Kann eine (sehr lange) Be­triebsversammlung einberufen werden? Können Streikposten besucht werden oder Delegationen hingeschickt werden? Fast 30 Tage gemeinsamer Streik haben zusammengeschweißt und die gemein­sam gemachten Erfahrungen können nicht rückgängig ge­macht werden. Die nächsten Tage und Wochen werden ent­scheidend sein.

08.10.2021Von Rosa Anders und Havannas Obst, Berlin

Referenzen

1 Kollektivvertrag in Österreich

2 Vereinte Dienst­leistungsgewerkschaft

3 Sozialdemokratische Partei Deutschlands; stellte den regierenden Bürgermeister in Berlin für viele Jahre unter verschiedenen Bünd­nissen mit der Linkspartei, den Grünen oder der CDU (Christlich Demokratische Union Deutsch­lands).

4 Teamdelegierte sind (teils ge­wählte) Vertreter:innen von Stati­onen oder Funktionsbereichen, die hauptsächlich Infor­mationen z.B. zu den Verhand­lungen, Streik­plänen, etc. in die Station zurück tragen. Während den Verhand­lungen 2021 werden und wurden sie als beratenes Gre­mium hinzugezogen.

Streikkundgebung am 13. Oktober
Streikkundgebung 13. Oktober
Versammlung der Streikenden der Vivantes-Tochterunternehmen am 13. Oktober – eine nach der anderen erzählen sie, dass sie 400, 600 oder 800 Euro weniger verdienen als im Öffentlichen Dienst – „Gleiche Arbeit gleiche Lohn“ wird oft gesagt

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert