USA: Rassistische Polizeigewalt und ihre tödlichen Folgen  

Ahmaud Arbery war joggen. Breanna Taylor, Atatiana Jefferson, Kathryn Johnson saßen zu Hause und haben ferngesehen oder geschlafen. Anthony Hill hatte Depressionen. Jordan Davis hat zu laut Musik gespielt. Oscar Grant war zu Silvester feiern. John Crawford war einkaufen bei Walmart. Tamir Rice hat mit einer Spielzeugpistole gespielt. Eric Garner und George Floyd konnten nicht mehr atmen. #SayTheirNames

All diese Menschen haben zwei Dinge gemeinsam: sie waren schwarze US-Amerikaner*innen und sind rassistischer (Polizei-)Gewalt zum Opfer gefallen, für Tätigkeiten, bei denen uns im Traum nicht einfallen würde, Angst um unser Leben zu haben.

Der Mord an George Floyd

Am 25. Mai wurde George Floyd bei einem Polizeieinsatz in Minneapolis ermordet. Sein Vergehen: er soll Zigaretten mit einem gefälschten 20$-Schein bezahlt haben. Dies gab den Polizisten eine Rechtfertigung, George Floyd für über 8 Minuten auf dem Boden zu fixieren und die Luft abzudrücken. Obwohl er mehrmals rief „I can’t breathe“ (Ich kann nicht atmen), haben die Polizisten nicht aufgehört. Wenig später starb er an den Folgen dieser Misshandlung.
Diese Ereignisse sind keine Seltenheit in den USA. Auch wenn es momentan keine offiziellen Zahlen zu exzessiver Gewalt durch Polizist*innen in den USA gibt – nach wie vor existiert kein einheitliches Meldesystem – können die Dimensionen tödlicher Polizeigewalt gegenüber schwarzen Amerikaner*innen trotzdem erahnt werden. Nach der Website „Fatal Encounters“1, welche Informationen aus einer Vielzahl öffentlich zugäng-licher Quellen sammelt, sind zwischen 2000 und 2018 7.612 schwarze und 13.337 weiße US-Amerikaner*innen durch Polizist*innen getötet worden.

Doch: von den über 300 Millionen US-Bürger*innen sind rund 77% Weiße und nur 13,4% Afro-Amerikaner*innen2. Und nicht nur das, schwarze Menschen erleben in vielen Bereichen des alltäglichen Lebens Benachteiligungen (siehe Kasten: Fakten zur strukturellen Diskriminierung), sei es bei der Gesundheitsvorsorge, Ausbildung oder Jobsuche.


Viele dieser rassistischen Taten werden kaum bekannt oder angezeigt und meistens müssen Polizist*innen, Nachbarschaftswachen oder Rassist*innen keine Konsequenzen fürchten (siehe Kasten: Tödliche Polizeigewalt ohne Folgen).

Anders war es bei George Floyd, dessen Ermordung von einer Passantin aufgezeichnet und über die sozialen Medien geteilt wurde. Das Video verbreitete sich sehr schnell über die sozialen Kanäle und schon einen Tag später kam es zu Protesten von einigen 100 Menschen in Minneapolis, die sich innerhalb weniger Tage national ausweiteten. Mehrere 10.000 Menschen gingen auf die Straße in New York, Houston oder San Francisco. Die Polizei-station in Minneapolis wurde niedergebrannt, es kam zu Plünderungen von Geschäften und gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Polizei, Militär und Demonstrant*innen.

Donald Trump beschimpft derweil die Demonstrant*innen als „Plünderer, Schläger, radikale Linke und alle anderen Formen niedriger Lebewesen und Abschaums“, drohte mit dem Einsatz des nationalen Militärs, räumt gewaltsam (friedliche) Demonstrationen für Fototermine und verstößt selbst gegen die Presse-, Meinungs- und Versammlungsfreiheit im „Land der Demokratie“.

Allein in den ersten zehn Tagen gab es mehr als 6.000 Verhaftungen, zwei Menschen sind während der Demonstrationen in Chicago gestorben, Polizist*innen töten weiterhin schwarze Menschen (so wie David McAtee in Louisville3 oder Rayshard Brooks in Atlanta4). Selbst klar erkennbare Journalist*innen oder medizinische Helfer*innen werden von der Polizei gezielt angegriffen und schwer verletzt. Bisher gab es über 380 gezielte Übergriffe auf Journalist*innen während der Proteste5 wie z.B. im Fall von Linda Tirano, Fotografin von „The Guardian“ die von einem Gummi-geschoss getroffen wurde und dadurch auf einem Auge erblindet ist.

Rassismus und Corona

Die strukturelle Diskriminierung der afroamerikanischen Bevölkerung hat katastrophale Folgen, die besonders krass in Krisenzeiten zu Tage kommen. Die Gründe dafür liegen in niedrigen Einkommen, einem mangelhaften Zugang zu medizinischer Versorgung und beengten Wohnquartieren.

In Chicago, wo Schwarze ein Drittel der Bevölkerung ausmachen, machen sie 73% der Todesfälle durch Corona aus. In Milwaukee, im Norden des Landes, machen Schwarze 26% der Bevölkerung aus, jedoch 81% der Todesfälle.

Im Bundesstaat Michigan, wo Schwarze nur 14% der Bevölkerung ausmachen, gehören 40% der Todesfälle der Schwarzen Community an. Das Verhältnis ist in New York, dem Epizentrum der Pandemie in den USA, nicht anders.

Die Segregation drückt sich auch in den Lebensbedingungen aus. Über 21% der schwarzen Amerikaner*innen leben unterhalb der Armutsgrenze. Eine Quote, die 2.5-mal höher ist als die bei den Weißen. Ca. 40% der Obdachlosen in den USA sind schwarz. Viele Schwarze riskieren täglich ihr Leben in systemrelevanten Berufen (zusätzlich zu den Latinxs) oder sie arbeiten in prekären Arbeitsverhältnissen.

Dazu gehören z.B. die Amazon-Arbeiter*innen, die kürzlich für mehr Gesundheitsschutz während der Corona-Pandemie gestreikt haben6. Außerdem sind sie auch ein bedeutender Teil der 40 Millionen Arbeiter*innen, die durch die Profitgier der Kapitalist*innen arbeitslos geworden sind in den letzten Monaten.

Überall regt sich Widerstand

Es beteiligen sich nicht nur schwarze Menschen an diesen Kämpfen. Viele junge Menschen, LGBTQ, Weiße, Latinxs und Arbeiter*innen sind täglich dabei, um dem strukturellen Rassismus in den USA ein Ende zu setzen.

Vielen geht es dabei nicht nur um Rassismus, es ist die soziale Krise, die sich durch Corona verschärft hat, die die Menschen auf die Straße treibt. So haben sich z.B. mehrere Busfahrer*innen in Minneapolis geweigert, verhaftete Demonstrant*innen in die Gefängnisse zu fahren7.

Krankenpfleger*innen behandeln verletzte Demonstrant*innen nach ihren Diensten auf den Demonst-rationen8. Hafenarbeiter*innen an der Westküste der USA haben ihre Arbeit für über 8min niedergelegt, um für George Floyd ein Zeichen zu setzen9. Rund 250 Microsoft-Mitarbeiter*innen in Seattle haben den Microsoft-Chef aufgefordert, die Zusammenarbeit mit den dortigen Polizeibehörden einzustellen, sowie die #BlackLiveMatters Bewegung zu unterstützen. Viele der Mitarbeiter*innen sind selbst Opfer oder Zeug*innen von Polizeigewalt geworden, während sie auf friedlichen Demonstrationen waren.

Auch international gibt es Demonstrationen und Proteste. In Deutschland sind in den letzten Tagen mehrmals tausende von Menschen auf die Straßen gegangen. In Wien beteiligten sich an der Demonstration gegen Rassismus am 4. Juni mehr als 50.000 Teilnehmer*innen. In Paris gingen über 20.000 Menschen auf die Straße, obwohl vorher ein Demonstrationsverbot ausgesprochen wurde. In Bristol und London wurden Statuen von ehemaligen Sklavenhändlern im Hafenbecken versenkt.

Rassismus ist ein Bestandteil vom Kapitalismus

Viele Demonstrant*innen in den USA haben aufgehört zu glauben, dass sie allein durch friedliche Proteste oder Wahlen etwas an dem strukturellen Rassismus ändern können. Denn egal, ob ein schwarzer Mensch wie Barack Obama oder ein weißer Rassist wie Donald Trump Präsident ist, die systematische Unterdrückung der People of Colour geht weiter. Unter Obama kam es 2013 zur ersten #BlackLivesMatter Bewegung, da auch er nichts an der sozialen Ungleichheit und Gewalt gegenüber der afroamerikanischen Bevölkerung verändert hat.

Donald Trump tritt dagegen als offener Rassist auf und zeigt es den Demonstrant*innen sehr deutlich. So wollte er z.B. seinen ersten Wahlkampfauftritt auf den 19. Juni in Tulsa, Oklahoma legen. Dieser Tag ist bekannt als „Juneteenth“, ein traditionelles Datum, an dem das Ende der Sklaverei afrikanischer Menschen in den Vereinigten Staaten gefeiert wird. Tulsa war dabei der Schauplatz eines Aufstandes rassistischer Weißer, die 1921 eine schwarze Gemeinde zerstörten11.

Kapitalismus basiert auf der Ausbeutung der Mehrheit durch eine Minderheit. Der bürgerliche Staat, mit seinem Staatsapparat, seinem Beamtentum, seinem Repressionsapparat und seinen gewählten Repräsentant*innen dient dazu, die Widersprüche, die durch die Ausbeutung der Mehrheit durch eine Minderheit entstehen, zu beschwichtigen und wenn nötig gewaltsam niederzudrücken.

Dabei bedient er sich Unterdrückungsformen wie dem Rassismus, dem Sexismus oder der Homophobie, um die Mehrheit zu spalten. Denn wenn wir als die Mehrheit der Bevölkerung, wir als Arbeiter*innenklasse, uns unserer gemeinsamen Interessen bewusst werden, seien es ökonomische Interessen wie Löhne, von denen wir gut leben können oder Arbeitsbedingungen, die uns nicht krank machen, bis hin zu kulturellen und sozialen Interessen wie Bildung für alle, kann es für die herrschende Klasse gefährlich werden. Dabei sind Politiker*innen selbst ein Teil des kapitalistischen Systems oder sogar ein Teil der kapitalistischen Klasse wie Trump. Dabei ist es auch egal, welcher Partei sie angehören. So hat z.B. der derzeitige Präsidentschaftskandidat der Demokrat*innen, Joe Biden, den Vorschlag gemacht, die Polizist*innen anzuweisen, (schwarzen) Menschen ins Knie anstatt in die Brust zu schießen12.

Die Rolle des kapitalistischen Staates und der Polizei beschrieb auch schon der Revolutionär Lenin vor über 100 Jahren: „Worin besteht hauptsächlich diese Macht [des Staats]? In besonderen Formationen bewaffneter Menschen, die Gefängnisse und anderes zu ihrer Verfügung haben. Der Staat ist das Produkt und die Äußerung der Unversöhnlichkeit der Klassengegensätze.“

Und genau dies zeigt sich momentan in den USA, wo die Widersprüche des Kapitalismus immer deutlicher zu Tage kommen, somit sich die Kämpfe verschärfen und die Repression gegen diese Kämpfe zunimmt.

Wir können uns nur selbst helfen

Der Mord an Georg Floyd hat wieder einmal den tiefverankerten Rassismus in unserer Gesellschaft gezeigt. Und Menschen gehen auf die Straße und wollen endlich Veränderungen. Doch das allein reicht nicht, wie wir aus der #BlackLivesMatter Bewegung gelernt haben. Rassistische Unterdrückung ist fester Bestandteil des kapitalistischen Systems.

Wir müssen uns organisieren – gegen Rassismus, Sexismus und alle anderen Formen von Unterdrückung. Wir müssen aber auch die Arbeitenden, die sich schon bei den Protesten beteiligen, mit ins Boot holen, um die Großkonzerne und Politik da zu packen wo es weh tut – bei den Profiten!

Wir, die Mehrheit der Bevölkerung, müssen anfangen, die Gesellschaft selbst zu organisieren.

Referenzen

1 https://fatalencounters.org/our-visualizations/

2 https://www.census.gov/quickfacts/fact/table/US/PST045219

3 https://theintercept.com/2020/06/01/louisville-police-left-the-body-of-david-mcatee-on-the-street-for-12-hours/

4 https://speakoutsocialists.org/say-his-name-rayshard-brooks-another-racist-cop-shoots-to-kill/

5 https://www.project-syndicate.org/commentary/police-attacks-on-journalists-protestors-in-us-by-courtney-c-radsch-2020-06/german

6 https://taz.de/Streik-bei-US-Versandhaendlern/!5675748/

7 https://www.vice.com/en_ca/article/bv8zaw/minneapolis-bus-drivers-refuse-to-transport-george-floyd-protesters-to-jail

8 https://nurse.org/articles/nurses-at-protests/

9 https://gcaptain.com/u-s-west-coast-dockworkers-stop-work-in-protest-of-george-floyd-killing/

10 https://www.computerbase.de/2020-06/microsoft-mitarbeiter-ende-zusammenarbeit-us-polizei/

11 https://speakoutsocialists.org/campaign-rally-in-tulsa-rally-or-racist-pageant/

12 https://speakoutsocialists.org/joe-biden-says-the-solution-is-to-shoot-their-legs-instead/

Fakten zur strukturellen Diskriminierung

· 51% der Schwarzen geben an, dass ihre Lebensqualität in den vergangenen Jahren schlechter geworden ist.

· Das Einkommen der Schwarzen liegt im Landesdurchschnitt um 50% unter dem der Weißen.

· 35% der schwarzen Jugendlichen sind arbeitslos.

· 43,2% der schwarzen Kinder leben in Armut.

· 41% der Kinder aus schwarzen Großstadtghettos brechen die Schule vorzeitig ab.

· Die Kindersterblichkeitsrate bei Schwarzen beträgt 17,7 per Tausend: sie ist mehr als doppelt so hoch wie bei Weißen und höher als im Entwicklungsland Malaysia.

· Es gibt mehr Schwarze in Gefängnissen als an den Hochschulen.

· Die Arbeitslosenquote von Schwarzen ist seit Jahrzehnten doppelt so hoch verglichen zu Weißen, ungeachtet der erreichten Ausbildung.

Tödliche Polizeigewalt ohne Konsequenzen

Viele der rassistischen tödlichen Polizeieinsätze bleiben für die Verantwortlichen ohne Konsequenzen. Und so wäre es auch fast im Fall George Floyd ausgegangen. Durch das Video konnte klar bewiesen werden, dass durch George Floyd keine Gefahr ausgegangen ist und der Einsatz ungerechtfertigt gewaltsam war. Dabei war der Polizist, Derek Chauvin, der George Floyd erstickt hat, kein unbeschriebenes Blatt. In den 18 Jahren Dienst von Derek Chauvin gab es 18 interne Beschwerden über sein Verhalten und nur 2 zogen Konsequenzen nach sich. Dabei handelte es sich um Verwarnungen.

Auch wurde er erst vier Tage nach diesem Vorfall aus dem Dienst entlassen, nachdem die Proteste schon im vollen Gange waren und die Polizeistation in Minneapolis niedergebrannt wurde. Anfänglich wurde nur Derek Chauvin wegen „Totschlags“ – also unabsichtlicher Tötung — angeklagt und in Untersuchungshaft gesperrt. Erst als die Proteste weitergingen, wurden auch die restlichen drei Polizisten angeklagt, vom Dienst entlassen und Derek Chauvin auch endlich wegen Mordes angeklagt.

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