Vor 50 Jahren: Anlässlich des Jahrestags der „Nelkenrevolution“ veröffentlichen wir eine stark gekürzte und leicht überarbeitete Übersetzung eines Artikels unserer spanischen Genoss:innen der Izquierda Anticapitalista Revolucionaria (IZAR), vom 31. März.
Am 25. April 1974 wurde die längste faschistische Diktatur Europas beendet, durch einen Staatsstreich, der von der „Bewegung der Streitkräfte“ (MFA) durchgeführt wurde. Dem folgte eine Welle von Mobilisierungen, die zwischen dem 25. 4. 1974 und dem 25. 11. 1975 den Fortbestand des Kapitalismus in Portugal in Frage stellten. Sie zeigen wichtige Lehren für alle, die dem Kapitalismus ein Ende setzen wollen.
Die Kolonialkriege: Erste Episode der portugiesischen Revolution
Der Staatsstreich (und seine Umwandlung in eine Revolution) ist auf das Zusammentreffen von drei Faktoren zurückzuführen: die Kolonialkriege, die 1973 einsetzende Weltwirtschaftskrise und das Aufkommen einer Protestbewegung seit Ende der 1960er Jahre.
Portugal war in Kriege gegen die Befreiungsbewegungen in den Kolonien Guinea, Mosambik und Angola verwickelt, die die Wirtschaft erstickten: In den 1970er Jahren musste der Staat 40 % seines Haushalts in die Kriegsanstrengungen investieren. Zudem wuchs die Unzufriedenheit innerhalb der Armee, die den Krieg als nicht zu gewinnen ansah.
Im Sommer 1973 begannen Berufsoffiziere, die Maßnahmen der Regierung anzufechten. Von Treffen zu Treffen entwickelte sich eine Bewegung, die zu dem Schluss kam, dass die einzige Möglichkeit, den Krieg zu beenden, darin bestand die Regierung zu stürzen. So entstand die MFA, die eine entscheidende Rolle in der Revolution spielen sollte.
Dieser Prozess fiel mit einer weltweiten Wirtschaftskrise und sozialen Protesten zusammen: In den Monaten vor dem 25. April waren etwa 100.000 Arbeiter:innen an Arbeitskämpfen beteiligt. Und für die portugiesische Bourgeoisie waren die Kolonien zwar ein wichtiger Teil ihrer Profite, aber der Krieg war mit zu hohen Kosten verbunden. Auch sie sah die Notwendigkeit einer Beendigung des Krieges. Als die MFA den Staatsstreich durchführte, gab es niemanden, der die Diktatur verteidigte.
25. April: Die Bevölkerung mischt sich ungebeten ein
Der 25. April war als Staatsstreich ohne Beteiligung der Bevölkerung geplant. Dennoch war diese massiv. Die Bilder des Tages und die Berichte der Militäreinheiten vermitteln die Erregung, den Enthusiasmus, die Kraft und die Wut eines Volkes, das die Gelegenheit ergriff, der Diktatur ein Ende zu setzen.
In den folgenden Monaten erschütterte eine Welle von Mobilisierungen Portugal. Die Bevölkerung ging auf die Straße, veranstaltete Streiks, Demonstrationen, Hausbesetzungen, usw. In Stadtvierteln und Betrieben in ganz Portugal wurden Arbeiter:innen- und Nachbarschafts-Kommissionen gewählt. Das portugiesische Volk nahm die Demokratie, die ihm jahrzehntelang verweigert worden war, selbst in die Hand. Und da in Portugal faschistische Diktatur und Kapitalismus als synonym angesehen wurden, erschien der Sozialismus als einzig möglicher Ausweg aus den kolonialen, wirtschaftlichen und sozialen Problemen.
Klassenkampf in Portugal: das Problem der Macht
Der Staat war geschwächt. Die mit dem Regime identifizierten Polizeikräfte waren nicht mehr in der Lage, die Bevölkerung zu unterdrücken und die Armee war geprägt von der sich entwickelnden MFA und ihre Soldaten verbrüderten sich mit der Bevölkerung.
Doch geschwächt heißt nicht zerschlagen: Der Staat war immer noch da und wurde zum Schauplatz des Kampfes zwischen verschiedenen politischen Projekten, die letztlich die Interessen der widersprüchlichen Klassen und Klassenfraktionen vertreten. Die portugiesische Bourgeoisie konnte die Mobilisierungen nicht dulden, aber es fehlten ihr die Mittel, um sie zu beenden. Daher bestand ihre erste Priorität darin, eine starke Macht zu installieren, die einen reibungslosen Übergang zu einem liberalen Modell gewährleisten würde.
Eine rechte Demonstration am 28. September 1974 sollte als Vorwand zur Ausrufung des Belagerungszustands dienen. Doch die Mobilisierung der Arbeiter:innen vereitelte den ersten großen Versuch der Reaktion. Das Rad drehte sich nach links. Am 11. März 1975 wurde ein Staatsstreich wiederum durch die Mobilisierung der Bevölkerung (diesmal unter aktiver Beteiligung der am stärksten radikalisierten Einheiten der MFA und der Armee) verhindert.
Mit jedem Putschversuch verschob sich die politische Situation weiter nach links, während die Arbeiter:innen- und Nachbarschaftskommissionen immer zahlreicher wurden. Nun wurden radikalere Maßnahmen ergriffen: Verstaatlichungen (angefangen bei Banken und Versicherungen), Agrarreform usw. Die Mobilisierung der Bevölkerung hatte diese Maßnahmen vorangetrieben, Formen der Selbstorganisation hatten sich verbreitet, aber die Macht blieb in den Händen des Staates. Und das sollte zu einer gefährlichen Illusion führen, einem Vertrauen in die staatlichen Strukturen, die ja scheinbar die Revolution voranbrachten.
Dieses Vertrauen in den Staat machte in den Augen von Tausenden von Portugies:innen zwei grundlegende Fragen überflüssig: Die Zusammenfassung der Kommissionen zu einer spanienweiten Gegenmacht und politischen Alternative zu den provisorischen Regierungen. Und angesichts der scheinbar fortschrittlichen Rolle, die die Armee spielte, sahen sie auch nicht die Notwendigkeit, diese Gegenmacht zu bewaffnen.
Der heiße Sommer und das Ende des revolutionären Prozesses
Die Arbeiter:innenbewegung wurde von zwei Organisationen beherrscht: Von der moskautreuen Portugiesischen KP (PCP), die Mobilisierungen, die sich ihrer Kontrolle entzogen, feindselig gegenüberstand und die nicht müde wurde, die Autorität des Staates zu stärken. Und von der „Sozialistischen Partei“ PS, ebenfalls eine junge Partei, die es verstand, die von der PCP erzeugten Widersprüche (Schikanen gegen selbstorganisierte Bewegungen, bürokratisches Funktionieren …) opportunistisch auszunutzen. Sie lockte mit Demokratie und einem Sozialismus, der nichts zu tun hätte mit den unattraktiven Erfahrungen im Osten. Damit gelang es ihr, einen wichtigen Teil der portugiesischen unteren Klassen ins Fahrwasser der bürgerlichen Demokratie zu führen. In der Tat war die PS die neue Option, auf die die portugiesische Bourgeoisie (und die Weltbourgeoisie) ihre Hoffnungen setzte.
Zugleich nahmen reaktionäre Demonstrationen und terroristische Aktionen rechtsextremer Gruppen zu. Der Sommer 1975 wurde daher als „heißer Sommer“ bekannt. Das Hauptproblem für die Bourgeoisie blieb jedoch die Kontrolle über den Staatsapparat.
Obwohl inzwischen gemäßigte Kräfte die Kontrolle über die Regierung und die MFA übernommen hatten, gab es immer noch radikalisierte Einheiten. Die zu kontrollieren würde das Ende des revolutionären Prozesses bedeuten. Am 25. November 1975 wurde als Reaktion auf einen angeblichen kommunistischen Staatsstreich die militärische Linke zu Fall gebracht. In den folgenden Monaten stabilisierte sich das liberale Regime in Portugal, und es begann ein Angriff auf all die Errungenschaften, die durch die Mobilisierungen der Bevölkerung erreicht worden waren.
Lehren aus einer Revolution
Die portugiesische Revolution ist reich an Lehren. Dazu gehört, dass eine Revolution nicht planbar ist, dass sie passiert, wenn man sie nicht erwartet und dass sie, wie sie beginnt, auch wieder enden kann, weil ihr Ausgang von der Stärke der im Widerstreit stehenden Klassen abhängt.
Einer der wichtigsten Punkte ist jedoch zweifellos, dass selbst in einem solchen Moment der Radikalisierung, eines ausgeprägten Linksrucks in der Bevölkerung, die Bewusstseinssprünge weder automatisch noch selbstverständlich sind. Ohne eine beginnende zentralisierte Macht, war es für die Revolution unmöglich zu triumphieren. Denn der Staat war verwundet, aber immer noch da. Die portugiesische Bourgeoisie musste nur einen Weg finden. Und sie fand ihn.
Auch weil die revolutionäre Linke nicht in der Lage war, erfolgreich um Einfluss in den Mobilisierungen zu kämpfen. Keine der neu geschaffenen, schlecht etablierten, gespaltenen und unkoordinierten Kräfte war in der Lage, die Aufgaben erfolgreich zu meistern, die einen Übergang zum Sozialismus ermöglicht hätten.
Übersetzung und Bearbeitung:
Richard Lux, Berlin