Streiks in Deutschland: Wut und viel gute Laune … aber wie kann man gewinnen?

Es ist unübersehbar: wir erleben eine Streikwelle. Bei Post, Öffentlichem Dienst, Flughäfen wird bundesweit gestreikt. Dazu kommen lokale Streiks, z. B. bei der Hamburger Hochbahn, der Rheinbahn in Düsseldorf. Anders als üblich gibt es nicht nur einzelne Stunden Warnstreiks, sondern ganze Tage, was für Tausende erste Streikerfahrungen bringt. Andererseits sind von Seiten der Vorstände, Politik und Unternehmensverbänden die Drohungen und Provokationen gepfeffert.

Was gefordert wird

Die Berliner Lehrer:innen fordern Entlastung durch kleinere Klassen und folgen damit dem Pflegepersonal im Kampf um bessere Arbeitsbedingungen.

Bei den anderen geht es um die Lohnhöhe. Wegen der Preissteigerungen – aber auch der fehlenden Wertschätzung für die Arbeit überhaupt – haben wir ungewohnt hohe Lohnforderungen. So sind die Bahner:innen gerade gestartet und fordern eine Lohnerhöhung von 12 % aber mindestens 650 Euro. Die 160.000 Postler:innen, die bis zum 8. März in der Urabstimmung über die Fortsetzung der Streiks entscheiden, fordern eine Lohnerhöhung von 15 %. Bei den Beschäftigten im Öffentlichen Dienst des Bundes und der Kommunen lautet die Forderung 10,5 %, aber mindestens 500 Euro mehr. Im ÖPNV, bei den Entsorgern, einigen Kliniken, Kitas usw. arbeiten ca. 2,5 Millionen Beschäftigte. Gemeinsam ist den Forderungen die Erwartung einer kurzen Laufzeit des jeweiligen Abschlusses von maximal 12 Monaten, weil  mit weiteren Preissteigerungen zu rechnen ist.

Die Strategie der „Arbeitgeber“: Immer ordentlich draufhauen

Im Jammern sind sie vereint: Die Öffentlichen Kassen wären leer, die Post verweist darauf, dass die Investitionsfähigkeit verloren gehen würde und die Deutsche Bahn hat die „Verkehrswende“ dieses Jahr als Ausrede entdeckt.

Dass es überall Gewinne gibt – bei der Post 8,4 Milliarden! – verschweigen sie natürlich.

Gleichzeitig versuchen sie, ihre Angebote schön zu rechnen, indem sie relativ hohe Einmalzahlungen anbieten, die von der Bundesregierung abgabenfrei gestellt wurden. Die tabellenwirksamen und nachhaltigen Lohnerhöhungen, die auch was für die Rente bringen würden, bleiben dann sehr niedrig. Viele Kolleg:innen sagen, die Kohle ist schnell weg, aber die Preise bleiben hoch. Das Ganze wird zusätzlich mit langen Laufzeiten garniert. Gerade für die unteren Lohngruppen sind die „Angebote“ ein Problem. Bei der Post arbeiten fast 90 % der Leute für unter 3.000 Euro brutto! Deshalb hat dort die verdi-Tarifkommission das Angebot der Post abgelehnt und die Zeichen stehen auf unbefristeten Streik.

Auch Drohungen an die Beschäftigten setzen sie gezielt ein. Das Post-Management droht mit der Auslagerung des Briefgeschäftes in Billiglohntöchter.  Die „Arbeitgeber“ im Öffentlichen Dienst fordern eine Öffnungsklausel für Kliniken, um „Zukunftssicherungstarifverträge“ auf Betriebsebene zu ermöglichen. Kommt eine Klinik in wirtschaftliche Probleme, soll eine Lohnabsenkung von 6 % möglich sein. Wessen Zukunft wird damit gesichert? Es ist doch gerade ein erklärtes Ziel der Gesundheitspolitik, dass möglichst viele Kliniken schließen.

Sind die Drohungen ernst? Oder sind solche Gegenforderungen nur Kalkül, um Verhandlungsmasse zu haben? Jedenfalls wird das als in jeder Hinsicht arschig von den Leuten empfunden und sorgt in Streikversammlungen für viel Aufregung.

Bei der Deutschen Bahn hat es in den letzten Jahren praktisch keine Lohnerhöhungen gegeben. Die unteren Lohngruppen schrammen knapp am Mindestlohn entlang! Ende Februar gab es die erste Verhandlungsrunde.  Angebot der DB? Es gab keins! Sofort liefen im Bahn-Intranet und den sozialen Medien die Kommentarfunktionen heiß: „Streik sofort … keinen Millimeter zurückweichen … ich will 500 Euro auf dem Konto sehen … Streik jetzt“. Auch das Bahnmanagement liebt die Provokation, die dieses Mal als besonders aggressiv rüberkommt.

Die Provokationen werden flankiert von der CDU-Mittelstandsvereinigung und dem Unternehmensverband BDA. Sie fordern das Streikrecht einzuschränken und ein Gesetz, das „klar macht, dass Streiks die Ausnahme bleiben“. Als Anlass diente der gerade mal eintägige Warnstreik an mehreren Flughäfen. Über den großen Streiktag im Nahverkehr nörgelte der Unternehmensverband, das sei eine „gefährliche Grenzüberschreitung“, nur weil die Streiks hier und da mit den Demonstrationen der Klimabewegung zusammen liefen. Das wäre ja fast schon ein politischer Streik …  Gute Idee eigentlich, kommt zusammen mit Generalstreik auf die to-do-Liste für 2023 (Zwinkersmiley).

Die harte Linie der „Arbeitgeber“ ist auffällig. Wollen sie am Öffentlichen Dienst ein Exempel statuieren und die gesamte Arbeiterklasse in Deutschland belehren: die Arbeitenden sollen die Klappe halten und nicht auf Lohnerhöhungen für ein gutes Leben hoffen? Tatsächlich wären hohe Abschlüsse in der einen Branche ein Signal für andere. Wenn sich zeigt, dass sich kämpfen lohnt, könnte das viele Nachahmer:innen finden. Die „harte Linie“ könnte eher die Streiklaune heben.

Gemeinsam streiken, das gibt es noch zu tun

„Zusammen geht mehr“ ist der Slogan der Gewerkschaften. Aber auch wenn wir gerade eine ungewöhnliche Streikwelle erleben, haben die Gewerkschaftsvorstände die Handbremse angezogen: bisher gab es nur einzelne regionale Warnstreiktage, nie alle Betriebe zusammen. Bei der Bahn laufen im Gewerkschaftsapparat zwar die Vorbereitungen für Warnstreiks, aber sehr langsam. Wenn sich die „Nadelstiche“ über eine längere Zeit hinziehen, besteht die Gefahr der Ermüdung  und Abnutzung, ohne dem Ziel einen Schritt näher gekommen zu sein. Warum werfen die Gewerkschaftsverantwortlichen nicht die ganze Kraft der Arbeitenden in die Waagschale? Wieviel größer wäre der Druck, wenn alle zusammen auf die Straße gingen? Dass das nicht so passiert, ist keine schlechte Planung. Es ist auch kein Problem des Streikrechts, das den Gewerkschaften die Hände binden würde.  Keiner der Gewerkschaftsvorstände will es sich mit Politik und Wirtschaft verscherzen, mit denen sie es doch gewohnt sind, so schön zu verhandeln.

An einigen Orten gibt es Streikversammlungen und eine neue Form von „Arbeitsstreiks“, also Streiktage mit einer begrenzten Zahl an Gewerkschaftsmitgliedern, um die eigentlichen Streiks vorzubereiten. Das hilft sicher, denn von Streikposten über Material und Transporter bis zur Demoroute ist ein Streik auch was sehr Praktisches. Ein Streik muss organisiert werden unter den Beschäftigten. Doch neben der gemeinsamen Praxis bedarf es auch der Streikdemokratie. Alle Fragen der Verhandlungen und Streiktaktik bleiben bisher in den Händen weniger Gewerkschaftsvorstände konzentriert. Eine Blackbox. Das hat noch nie was Gutes gebracht.

In Berlin sprachen sich die Streikenden im Öffentlichen Dienst mit deutlicher Mehrheit für den gemeinsamen Kampf z. B. mit den Kolleg:innen der GEW oder bei der Post aus. Bei den Lehrkräften gab es auch Abstimmungen für den unbefristeten Streik. Den meisten Kolleg:innen dürfte klar sein, dass die Forderungen ohne einen unbefristeten Erzwingungsstreik nicht durchzusetzen sind. Doch die Erfahrungen mit solch einer Streikbewegung sind gering. So liegt im Öffentlichen Dienst der letzte große Erzwingungsstreik ca. 50 Jahre zurück.

Die Erfahrungen in Berlin zeigen z. B., dass für die Klinikbeschäftigten die einzelnen Streiktage ein Problem sind. Denn „Bettenschließungen“ müssen vorbereitet und durchgesetzt werden. Dies erfordert mehr Streiktage hintereinander. Immer wieder zeigt sich, dass die Organisierung eines Streiks einige Tage braucht. Dann entstehen auch Gemeinschaftsgefühl und Begeisterung für den Streik, die wiederum andere mitreißt. Bislang ist jedenfalls Streiklaune da. Für Berlin werden viele bestätigen, dass die Streiktage vor den Wiederholungswahlen am 12. Februar das begeisternde Gefühl brachten, Teil einer echten gemeinsamen Streikbewegung zu sein. Davon brauchen wir viel, um die Forderungen der Beschäftigten durchzusetzen!

3. 3. 2023

Havannas Obst und Sabine Müller. Berlin

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