Österreich: Pleiten, Budgetloch, Klassenkampf

In Österreich hat sich die wirtschaftliche Lage deutlich verschlechtert: Rekordinsolvenzen, Tausende verlieren ihre Jobs, ein riesiges Budgetloch im Staatshaushalt. Vor dem Hintergrund findet auch der Regierungsbildungsprozess statt: Wo sollen die fehlenden Milliarden eingespart werden?

Pleiten…

2024 gingen in Österreich 6.550 Unternehmen pleite, 22% mehr als im Jahr davor. 30.200 Mitarbeiter:innen sind betroffen. Die Großinsolvenzen (über 10 Mio. Euro) haben sich fast verdoppelt (auf 79 Fälle). Der Trend soll sich 2025 fortsetzen.

Der Komplettabsturz von René Benkos Signa-Immobiliengruppe im letzten Jahr war die größte Pleite der österreichischen Geschichte. 6 der 10 größten Insolvenzen 2024 gehen auf Unternehmen der Signa-Gruppe zurück. Während René Benko in Italien wegen des Vorwurfs Teil einer mafiaähnlichen kriminellen Struktur zu sein zur Verhaftung ausgeschrieben ist, residiert er in Österreich nach wie vor in einer Privatvilla. Benko hat zwar Privatkonkurs angemeldet und wird daher aufs Existenzminimum gepfändet. Die monatliche Miete von über 230.000 Euro (!) zahlt jedoch eine Privatstiftung… Meinen die Reichen das, wenn sie von Steuergerechtigkeit sprechen?

Ebenso (erneut) pleite ist die Möbelkette Kika-Leiner, über 1.300 Mitarbeiter:innen verlieren ihren Job. Die Möbelkette gehörte für einige Jahre auch René Benko. Um den Kauf noch vor dem Jahresende 2018 steuerschonend abschließen zu können, soll der damalige Bundeskanzler und Benko-Freund Sebastian Kurz trotz Weihnachtsferien die zuständige Behörde extra zur Arbeit gerufen haben. „Serviceorientierte Verwaltung“ betitelte es ein Sprecher des Kanzlers. Statt der versprochenen Sicherung von 5.000 Arbeitsplätzen, wurde das Unternehmen aufgespalten. Lukrative Immobilien behielt Benko und kassierte von Kika-Leiner Mieten in Millionenhöhe. Das Möbelgeschäft wurde in die Insolvenz geschickt und später verkauft. Jetzt ist die Möbelkette endgültig Geschichte und tausende weitere Arbeitsplätze vernichtet.

… und mehr Pleiten

Die nächste Großpleite spielt auch im Umfeld von ÖVP (Österreicheiche Volkspartei, vergleichbar mit der deutschen CDU), Sebastian Kurz und deren Großspender:innen. Der bekannte oberösterreichische Motorradhersteller KTM hat im Herbst seine Zahlungsunfähigkeit, den Abbau von tausenden Stellen, einen Produktionsstopp sowie Kurzarbeit verlautbart. Davor schienen die Geschäfte für etliche Jahre mehr als prächtig zu laufen. Im ersten Corona-Jahr 2020 kassierte das Unternehmen rund 11 Millionen Kurzarbeitsgeld sowie 15 weitere Millionen an staatlichen Förderungen. Im gleichen Jahr wurden 11 Millionen an Aktiendividenden ausgeschüttet… Im Jahr 2022 waren es bereits 34 Millionen, 2023 sogar 68 Millionen Euro.

KTM gehört zum Firmenimperium der Pierer Mobility Group, rund um Hauptaktionär, Milliardär und ÖVP-Großspender Stefan Pierer. Für Kurz‘ Wahlkampf 2017 spendete Pierer rund 430.000 Euro. Ein lukratives Investment, dass gleich in mehrfacher Höhe durch Förderungen und Steuererleichterungen an ihn zurückgeflossen ist. Den Mitarbeiter:innen von KTM hat das alles nichts gebracht. Mehr als 3.000 Menschen zittern nun um ihren Job, bei Zulieferbetrieben und anderen Unternehmen der Region drohen in Folge weitere Jobverluste.

Stark betroffen ist in Österreich die gesamte Branche der Automobilzulieferer, die vor allem für die kriselnde deutsche Autoindustrie fertigt. So kündigte etwa der Schaeffler-Konzern die Schließung seines Werks im niederösterreichischen Berndorf und damit den Abbau von 450 Arbeitsplätzen an. Im September ging die Fisker GmbH, ein Tochterunternehmen eines US-Elektroauto-Start-Ups, mit Milliardenschulden pleite. Bei etlichen weiteren Zulieferern drohen Kündigungen. Beim Zulieferer TCG Unitech hat das Management die rund tausend Arbeiter:innen erfolgreich erpresst: Verzicht auf Lohnerhöhungen oder Kündigung. Dieses Modell wird unter den Bossen sicher die Runde machen und vermehrt zum Einsatz kommen – unabhängig davon, wie hoch die Schulden und Probleme des Unternehmens wirklich sind.

Huch, ein Budgetloch!

Die österreichische Wirtschaft war 2024 im zweiten Jahr hintereinander von einer Rezession betroffen. Wieder einmal sind die Prognosen der Wirtschaftsforscher:innen daneben gelegen. Noch deutlicher daneben gelegen ist der ehemalige ÖVP-Finanzminister Magnus Brunner. Bis zur Nationalratswahl Ende September schien der Staatshaushalt, kritischen Nachfragen zum Trotz, soweit in Ordnung. Direkt nach den Wahlen wurde das Defizit dann mehrmals deutlich nach oben korrigiert. Plötzlich war von einem Budgetloch von über 18 Milliarden Euro und einem drohenden EU-Defizitverfahren (wegen einer Neuverschuldung von über 3% des BIP) die Rede. Brunner scheint seinen Job im Sinne der Herrschenden trotzdem gut gemacht zu haben, im November wurde er zum EU-Kommissar für Migration ernannt. So lange Zeit einen Schein aufrechterhalten und die Öffentlichkeit täuschen: das verdient eine Beförderung!

Entstanden sind die hohen Staatsschulden nicht durch eine vermeintlich plötzliche Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage. Zum einen waren es die gigantischen Corona-Förderungen von rund 40 Milliarden – diese sind zu großen Teilen Unternehmen zugutegekommen, die gar keine wirtschaftlichen Probleme hatten, sondern damit einfach ihr Eigenkapital aufstocken konnten. Zusätzlich gab es Steuererleichterungen und massive Energiekostenzuschüsse für Unternehmen. Zum anderen wurden Steuergeschenke als „sich selbst finanzierend“ verkauft: diese würden Investitionen ankurbeln und damit automatisch zu höheren Steuereinnahmen führen.

Gekommen ist es wenig überraschend ganz anders. Während Privatvermögen und Unternehmensgewinne stärker und stärker gestiegen sind, hat die sehr hohe Inflation der letzten Jahre die Realeinkommen der Lohnabhängigen deutlich schrumpfen lassen. Die Wirtschaftsforscher:innen nennen das „gedämpfte Konsumlaune“, ein Grund für die schwächelnde Wirtschaft. Als revolutionäre Marxist:innen können wir sagen: der Kapitalismus führt zu einer immer stärkeren Konzentration des gesellschaftlichen Reichtums. Auf höhere Profite muss eine neue Runde mit noch höheren Profiten folgen. Dabei untergräbt der Kapitalismus immer stärker die Grundlagen seines eigenen Funktionierens und verschärft zusehends die Krisentendenzen. Für viele Menschen wird das Leben immer unbezahlbarer. Die Vernichtung von zigtausend Jobs, wird etliche Familien zusätzlich in die Armut stürzen.

Drohender sozialer Kahlschlag

Aus den österreichischen Nationalratswahlen im September ist die FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs, rechtspopulistisch, in etwa vergleichbar mit der AfD in Deutschland, aber mit langer Tradition bereits) unter Herbert Kickl erstmalig als stärkste Partei hervor gegangen. In Folge haben Regierungsverhandlungen zwischen konservativer ÖVP, sozialdemokratischer SPÖ und liberalen NEOS (das Neue Österreich und Liberales Forum, vergleichbar mit der deutschen FDP) gestartet. Anfang Januar/Jänner wurden diese, für viele doch überraschend, durch den Ausstieg der NEOS abgebrochen. Sie appellierten „den Standort nicht aus dem Blick zu lassen“. Vielleicht ging ihnen die SPÖ bei der diskutierten Anhebung des Pensionsantrittsalters und anderer radikaler Angriffe auf das Sozialsystem nicht weit genug… Im neoliberalen Sprech: mangelnder Reformwillen. Dieses Mantra – „Den Wirtschaftsstandort stärken!“ – verlautbarten diverse „Experten“ die letzten Monate in Dauerschleife.

ÖVP und NEOS wehren sich mit Händen und Füßen gegen Vermögens- und Erbschaftssteuern – die Großspender:innen danken! Dabei ließe sich alleine mit den Rekordprofiten der österreichischen Banken (2023: 14 Milliarden Euro, + 38%) das Budgetloch fast zur Gänze stopfen … Der Präsident des Wirtschaftsbundes und einflussreiche ÖVP Politiker Mahrer dazu: „Mit der ÖVP wird es keine Anschläge auf Eigentum geben.“ Umgekehrt wird eine weitere Senkung der Steuern auf Kapital geplant.

Am 5. Januar wurde mit dem Rücktritt von ÖVP Chef und Kanzler Karl Nehammer auch die Perspektive einer „Großen“ Koalition ohne NEOS, die eine minimale parlamentarische Mehrheit hätte, begraben. Dabei hatte sich die SPÖ bereits vollkommen verbogen, Kürzungen in allen Ressorts, unter der Inflation liegende Erhöhungen für den öffentlichen Dienst und Renten, sowie Maßnahmen zur Erhöhung des Pensionsantrittsalters waren ebenso akzeptiert, wie von der Forderung nach Vermögenssteuern abgegangen wurde. Lediglich auf irgendeiner Form eines einnahmenseitigen Beitrags, wie einer Bankenabgabe, wurde beharrt. Das wurde als Argument für den Abbruch der Verhandlungen vorgeschoben.

Der Wirtschaftsflügel der ÖVP dürfte von Anfang an die Verhandlungen hintertrieben und eine Koalition mit der FPÖ bevorzugt haben. Mit Nehammer war das aber nicht möglich, der sich nicht zu einem Königsmacher für einen Kanzler Kickl machen wollte.

Immer wieder wurde in die öffentliche Debatte geworfen, dass es zwischen ÖVP und FPÖ in wirtschaftlichen Fragen keine Unterschiede gäbe. Dass die ÖVP keine Berührungsängste hat, zeigen auch die gemeinsamen Landesregierungen mit der FPÖ in 5 von 9 Bundesländern. Zuletzt wurde in der Steiermark bereits die Rolle als Juniorpartnerin in der Landesregierung akzeptiert.

Der interimistische ÖVP Chef Christian Stocker hat sofort seine Bereitschaft zu Verhandlungen mit der FPÖ kundgetan. Alles lässt darauf schließen, dass es bald eine rechtsextreme Regierung geben wird, welche die Interessen des Kapitals in voller Intensität vertreten wird und ihre Politik mit Hetze gegen Migrant:innen und Symbolpolitik gegen Rechte von Frauen und LGBTIQ+ legitimieren wird.

Die Gewerkschaften haben sich bis jetzt äußerst handzahm und still verhalten, denn sie wollten mit der SPÖ in die Regierung. Doch auch gegen die auslaufende Regierung wurde wenig Gegenwehr organisiert.  Stattdessen betrieb der Gewerkschaftsbund eine Ausrichtung auf die SPÖ  und hoffte auf einen Wahlerfolg.  Gegen besondere Schweinereien der kommenden Regierung sind einzelne symbolische Mobilisierungen durchaus realistisch. Zu mehr ist die Gewerkschaftsbürokratie in ihrer sozialpartnerschaftlichen und staatstragenden Logik allerdings nicht bereit. Als revolutionäre Marxist:innen versuchen wir eine alternative Perspektive für die Arbeiter:innenbewegung aufzuzeigen, treten für Selbstorganisation an der Basis und die Ausweitung und Verbindung von Klassenkämpfen und sozialen Bewegungen ein. Nur so können die Angriffe auf Errungenschaften der Arbeiter:innenbewegung und soziale Rechte abgewehrt werden. Damit die Arbeiter:innenbewegung wieder in die Offensive kommen kann, braucht es eine verankerte Partei der Arbeitenden, die nicht nur für Reformen kämpft, sondern auch eine Strategie zum Sturz der kapitalistischen Klasse und dem Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft verfolgt.

Beitragsbild: Wikipedia – C.Stadler/Bwag

Zum Weiterlesen:

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert