Der Kampf gegen die radikale Rechte erfordert eine umfassende Antwort der Jugend und der Arbeitenden

Seit Beginn des akademischen Jahres 2024 haben verschiedene Studentenkollektive Demonstrationen und Vollversammlungen zur Frage des Aufstiegs der radikalen Rechten in Deutschland wie auch zur Frage des Völkermords in Gaza initiiert. Der Erfolg dieser Versammlungen zeigt, dass die Studierenden angesichts der Krisen und Kriege eines kapitalistischen Systems, dessen Hauptakteure die großen imperialistischen Mächte – die amerikanischen, französischen, aber auch die deutschen – sind, nicht passiv bleiben.

Die Unruhen an den Berliner Universitäten finden in einem politischen und sozialen Kontext statt, der in vielen Ländern der Welt zu beobachten ist und auch vor Deutschland nicht Halt macht. Auch hierzulande nimmt die radikale Rechte einen immer wichtigeren Platz im politischen Spektrum ein, wie ihre Ergebnisse bei den letzten Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen im September zeigten. Auch hier führen die großen Industriekonzerne, insbesondere in der Automobilbranche, untereinander Krieg und wollen die Kosten für diesen Krieg auf die Arbeiter :innen abwälzen. Seit Beginn des Semesters ist es das Studierendenkollektiv « Studis gegen Rechts », das an den Berliner Hochschulen, aber auch in Leipzig oder München, gewisse Erfolge verzeichnet. Anfang Dezember versammelten sich mehr als 1.500 Student :innen zu einer Vollversammlung an der Freien Universität, um sich gegen die radikale Rechte zu organisieren, Leipzig hatte ebenfalls mehr als 1.000 Studierende, oder die an anderen Unis organisierten Vollversammlungen, die jedes Mal etwa 800 Studenten zusammenbrachten.

Parallel dazu schloss sich auch die Palästina-Solidaritätsbewegung den Vollversammlungen an. In einem Land wie Deutschland, das der zweitgrößte Waffenexporteur an Israel ist, ist es nahezu ein Verbrechen, ein Wort der Solidarität mit Palästina zu äußern. Aber die Notwendigkeit, sich für Palästina einzusetzen, wurde selbst in den Reihen der Studierenden spürbar, denn auch wenn wir noch weit von einer tiefgreifenden Protestbewegung entfernt sind, so spürt man doch, dass es Worte und vor allem Taten gibt, die nicht mehr durchgehen. Insbesondere die bedingungslose Unterstützung Israels durch den deutschen Staat wird zunehmend in Frage gestellt.

Denn ja, die deutsche Bourgeoisie macht eine sicherheitspolitische Wende, die der radikalen Rechten immer mehr den Boden bereitet. Die einzige Antwort, die sie auf die embryonalen Bewegungen, die gegen ihre Politik protestieren, gibt, ist der Schlagstock. Allerdings, was kann man von der Polizei eines bürgerlichen Staates anderes erwarten, als die Ordnung der herrschenden Klassen aufrechtzuerhalten und jeden davon abzuhalten, den Kopf zu heben und eine kollektive Antwort zu organisieren ? Und jedes Mal, wenn der deutsche Staat sich für die Sicherheits- und Anti-Migrant :innen-Option entscheidet, in der Annahme damit der radikalen Rechten Konkurrenz zu machen, führt dies im Gegenteil dazu, dass deren Ideen legitimiert werden und sie wahltaktisch und politisch gestärkt werden. Die staatliche Repression gilt natürlich auch für die Palästina-Bewegung, bei der die Polizei auf den Campus der Universitäten eindringt, Student :innen angreift, ihnen mit Exmatrikulation droht oder sich das Recht herausnimmt, mitten in einer Demonstration willkürlich jeden zu verhaften, der ein Zeichen trägt, das allein sie für antisemitisch hält – wie die Keffieh. Der jüngste Anschlag auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt war jedoch nur eine weitere Gelegenheit zu sehen, wie sich auf allen Nachrichtenkanälen das migrationsfeindliche Gift der radikalen Rechten, aber auch des gesamten politischen Spektrums, das ihr nachläuft, verbreitet. 

Die radikale Rechte muss an ihren Wurzeln bekämpft werden

In dieser Situation stellt sich ein Teil der Jugend in den Universitäten Fragen und sucht nach Antworten. Wie kann man diesem Aufschwung reaktionärer Ideen, der über den nationalen Rahmen Deutschlands hinausgeht, entgegenwirken? Mehr denn je müssen wir über politische Perspektiven nachdenken, da alle politischen Parteien einen Kampf darum führen, wer den rassistischsten Satz von sich gibt. Und dieser « Kampf » wird bei den vorgezogenen Bundestagswahlen im Februar 2025 zwischen dem CDU-Kandidaten Merz und der AfD-Kandidatin Weidel eskalieren.

Eines ist sicher: Wenn wir nicht weiter Arbeiter :innen an die AfD verlieren wollen, die durch die antisoziale Politik der letzten Jahrzehnte von CDU/FDP bis SPD/Linkspartei, von Merkel bis Scholz enttäuscht wurden, müssen wir alle Verantwortlichen und alle Ursachen anprangern, die die Phänomene hervorgebracht haben gegen die wir heute kämpfen. Werksschließungen, Niedriglöhne, Inflation… kamen unter allen Regierungen vor, den christdemokratischen wie den sozialdemokratischen oder den grünen. Das macht deutlich, dass linke Parteien an der Macht keineswegs Stützpunkte waren, um unsere Forderungen voranzutreiben, sondern ganz im Gegenteil Klassenfeinde im Dienste der Kapitalist :innen. Die von dieser unsozialen Politik betroffenen Arbeiter :innen stellen sich also Fragen. Wer ist für diese Situation verantwortlich? Die reaktionäre herrschende Politik schlägt immer auf die gleichen Sündenböcke: die Migrant:innen. Aber das ist eine Falle, die nur dazu dient, unser Lager zu spalten. Wir dürfen dieser einfachen Demagogie nicht nachgeben. Das müssen wir den Arbeiter :innen erklären, die sich zu Recht von denen, auf die sie ihre Hoffnung gesetzt haben, verlassen und verraten fühlen.

Nehmen wir unser Schicksal jetzt in die Hand und organisieren wir uns unter Jugendlichen und Arbeitenden

Gründe für Widerstand gibt es also genug. Angefangen mit dem 11. Januar, an dem wir zusammen mit Studierenden und Arbeitenden aus ganz Deutschland den AfD-Parteitag in Riesa blockieren werden. Aber wir gehen ohne Illusionen an die Sache heran. Nur den AfD-Parteitag zu blockieren wird reaktionäre Ideen nicht von heute auf morgen zurückdrängen. Denn der Nährboden, der diese Ideen hervorgebracht hat – der Stellenabbau und die niedrigen Löhne und Sozialleistungen –  werden damit nicht direkt bekämpft. Aber wir gehen dorthin, um für eine einfache Sache einzutreten: Die Kämpfe der Jugend müssen sich erfolgreich ausbreiten, um andere Teile der Bevölkerung zu erreichen, und hoffentlich den Hauptbetroffenen, den Arbeitenden, Ideen geben, sich dem Kampf für die Verteidigung ihrer eigenen Interessen anzuschließen. Denn gegen die radikale Rechte zu kämpfen bedeutet auch, gegen die Verschlechterung unserer Lebensbedingungen zu kämpfen, und Riesa muss ein erster Schritt sein, um den Kampf gegen die radikale Rechte mit den Arbeitskämpfen zu verbinden.

Wir dürfen auch nicht vergessen, dass diese Blockade des AfD-Parteitags in einer Zeit des Wahlkampfes stattfinden wird. Wir müssen uns über unsere Absichten im Klaren sein. Was die Arbeiter :innen nicht brauchen, sind die x-ten leeren Wahlversprechen von Parteien, die junge Arbeitende davon überzeugen wollen, links zu wählen. Zu glauben, dass es unsere Aufgabe ist, den Menschen zu sagen, dass sie « richtig wählen » sollen, ist ein großer Fehler. Denn es sind genau diese falschen Versprechungen und Enttäuschungen, die zu der heutigen Situation geführt haben, in der sich die Arbeitenden entweder aus Mangel an Vertrauen in die Politik enthalten oder für diejenigen stimmen, die noch nicht „ausprobiert“ wurden.

Was wir überall, wo wir präsent sind, in den Vordergrund stellen wollen, ist die Idee, dass die einzigen Kräfte, auf die wir zählen können, unsere eigenen Kräfte als Arbeitende und Jugendliche sind, die wir wütend auf das System sind. Die einzige Organisation, in die wir unser Vertrauen setzen können, ist unsere eigene Organisation, von unten, in voller Klassenunabhängigkeit. Es rettet uns kein höheres Wesen. Nur unsere Zahl, unsere Einigkeit und unsere Kampfkraft werden es uns ermöglichen, den Kapitalist :innen die schädliche Kontrolle zu entreißen, die sie über die gesamte Gesellschaft ausüben.

Jorge de Beliu

Beitragsbild: Studentische Vollversammlung an der Freien Universität Berlin

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