Nieder mit der Festung Europa und dem Imperialismus

Die Situation an der griechisch-türkischen Grenze hat innerhalb weniger Tage die Themen Flucht und Migration wieder auf die innenpolitische Tagesordnung gesetzt. Die Ursachen, warum Menschen fliehen, bestehen heute genauso wie in den letzten Jahren. Die EU erprobt in der unnachgiebigen Sicherung der Außengrenzen der Festung Europa ihr Vorgehen gegen Millionen künftiger Klimaflüchtlinge.

 Scheinbar innerhalb kürzester Zeit ist diese neue „Flüchtlingskrise“ entstanden. Die Wahrheit ist: die Probleme sind alles andere als neu und eine Krise ist es in erster Linie für alle Menschen auf der Flucht. Der Deal der EU mit Erdoğan war von Anfang an unmenschlich und zynisch. Der europäische Imperialismus hat so für ein paar Milliarden Euro die Thematik vor die Tore der EU verlagert.

Im gesamten Gebiet von der Türkei über Syrien und den Irak bis in den Iran und nach Afghanistan kämpfen Regional- und Großmächte um Einfluss, Kontrolle und die Sicherung von Ressourcen. Seit dem Einmarsch von US-Truppen in Afghanistan 2001 wurden immer mehr Länder nachhaltig destabilisiert und zerstört. Die Situation in der gesamten Region ist nach wie vor weit entfernt von einer wirklichen und langfristigen Lösung.

Vielmehr spitzt sich das Kräfte-messen zwischen Regionalmächten wie der Türkei, Russland, Saudi-Arabien und dem Iran weiter zu. Im Nahen Osten werden Kämpfe und Kriege auch stellvertretend für den großen aufziehenden Konflikt auf der Weltbühne, zwischen USA, China und der schwächelnden EU, ausgetragen.

Erdoğan, der innenpolitisch immer stärker unter Druck gerät, führt einen direkten Krieg gegen das syrische Regime, um regional Macht und Einfluss zu behaupten. Gleichzeitig geht es ihm darum, die autonomen Kurdengebiete in unmittelbarer Nähe zur türkischen Grenze zu zerstören bzw. zu schwächen.

Mit seiner Ankündigung, die Grenzen zu den EU-Staaten Griechenland und Bulgarien zu öffnen, möchte er sowohl NATO-Unterstützung in Syrien erzwingen, als auch mehr Zahlungen an die Türkei erwirken.

Insoweit stimmt es, was westliche Medien über Erdoğan sagen: Geflüchtete werden zum Spielball einer zynischen Politik. Dabei wird jedoch meist verschwiegen, dass die EU der notwendige Gegenpart und Hauptverantwortliche dieses menschenverachtenden Kräftemessens ist. Die jetzige Situation ist die logische Folge des „Flüchtlings-deals“ zwischen EU und Türkei, den die deutsche Kanzlerin Merkel 2016 auf den Weg gebracht hat. Erdoğan wurden 6 Mrd. Euro bis 2019 versprochen, von denen erst 3,2 Mrd. gezahlt wurden – selbst im Zynismus noch knauserig!

Die Türkei hat 3,6 Millionen syrische Geflüchtete aufgenommen, mehr als die gesamte EU. Das Leben hat sich für die geflüchteten Menschen an den Toren Europas und die Verbliebenen in Syrien allerdings kein bisschen verbessert. Aktuell kommen weitere Hunderttausende fliehende Menschen dazu, die versuchen die Kriegsregion Idlib zu verlassen.

Europäische Gewalt an griechischen Grenzen

Jahrelang hat sich die EU, die sich gerne als humanitäres Friedens-projekt gibt, so eine gewisse Ruhe erkauft und die Gewalt zu einem hohen Grad an die Türkei ausgelagert. Diese Ruhe ist jetzt unterbrochen worden und wir sehen nun die Konsequenzen dieser Politik.

Auf und vor den griechischen Inseln, besonders auf Lesbos, und an der Festlandgrenze wird von der Polizei, aber auch von angereisten faschistischen AktivistInnen mit Gewalt gegen MigrantInnen vorgegangen. Boote werden attackiert, mit Knüppeln, Tränengas und auch scharfer Munition.

So soll verhindert werden, dass Menschen in die Europäische Union gelangen.

Die griechischen Inseln sind zum rechtsfreien Raum geworden. Laut Berichten und Aussagen von Hilfs-organisationen werden NGOs und HelferInnen angegriffen, Journalist-Innen verprügelt, medizinisches Personal musste sich aus Flüchtlingslagern zurückziehen. Es wurden auch schon Flüchtlingslager in Brand gesetzt und Geflüchtete verschleppt.

Europäische Solidarität? Grenzen Schützen, auf Menschen schießen

Das Recht auf Asyl wird von den EU-Staaten mittlerweile grundsätzlich in Frage gestellt und bekämpft. Griechenland hat es nun ganz offiziell aufgehoben und hat von der deutschen EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen Unterstützung dafür bekommen: Sie dankte Griechenland dafür, in diesen Zeiten der „europäische Schild“ zu sein.

Auch wenn in den Medien wenig darüber berichtet wurde, sitzen seit Jahren zehntausende MigrantInnen in Flüchtlingslagern auf den griechischen Inseln fest. Die Bedingungen sind katastrophal, für die Menschen dort gibt es keine Perspektiven.

Im Flüchtlingslager Moria auf Lesbos, das der UN-Sonderberichterstatter Jean Ziegler als „Die Schande Europas“ bezeichnet, leben 20.000 Personen, konzipiert wurde es für unter 3.000 BewohnerInnen. In dieser ausweglosen Situation versuchen laut Ärzte ohne Grenzen sogar schon immer mehr Kinder, die einen großen Teil der Bewohner-Innen ausmachen, sich das Leben zu nehmen.

Aufgrund dieser zugespitzten Situation und den damit verbundenen Problemen ist es auch zu großer Unzufriedenheit unter griechischen InselbewohnerInnen gekommen. Jahrelang wurden sie mit der Situation alleine gelassen, heute können FaschistInnen mit ihren menschenverachtenden Ideen bei ihnen offene Ohren finden.

Ähnlich wie Italien wurde auch Griechenland bei der Aufnahme von Geflüchteten nicht durch die EU bzw. ihre Mitgliedsstaaten unterstützt. Heute wird darüber diskutiert „solidarisch“ mit Griechenland zu sein, indem es bei der Abwehr von Geflüchteten unterstützt wird. Der Solidaritätsbegriff wird dadurch pervertiert.

Auch wenn heute viele Menschen empört sind, wird die aktuelle Situation an den EU-Außengrenzen keine Ausnahme bleiben. Im Gegenteil gibt das Exempel, das gerade an den griechischen Grenzen an Geflüchteten statuiert wird, einen Vorgeschmack auf den Alltag in der Festung Europa der Zukunft.

Denn es werden weiterhin Menschen versuchen nach Europa zu gelangen und es wird weiterhin versucht werden es ihnen zu verunmöglichen. Die „Grenzschutzagentur“ Frontex wird weiter militarisiert. Ihr Budget soll bis 2021 auf über 1,5 Mrd. Euro verdreifacht werden!

Wir können davon ausgehen, dass ein nach außen militarisiertes Europa auch nach innen die Freiheiten der BewohnerInnen ein-schränken wird und die Ordnung mit zunehmender Repression und Unterdrückung aufrechterhalten wird. In Deutschland, Frankreich und Griechenland gibt es bereits etliche Beispiele dafür. (Mehr im Artikel „Polizei und Justiz: Freund und Helfer der Reichen“ in Aurora Nr. 6 und auf www.sozialismus.click)

Kurz und Merkel

Die österreichische türkis-grüne Regierung stellte in ihren Aussagen klar, dass sie keine Menschen aus Griechenland aufnehmen wird. Die Aussage von Grünen-Chef Werner Kogler, es sollten Frauen und Kinder aufgenommen werden – eine Forderung, die im Grunde menschenverachtend ist, da sie Menschen aufgrund von Alter und Geschlecht selektiert, obwohl allen Menschen das Recht auf Asyl gewährt werden sollte – wurde im Nachhinein als Privatmeinung deklariert.

Wichtigstes Kredo der Integrationsministerin Susanne Raab: „2015 darf sich nicht wiederholen.“ Damit ist gemeint, dass es damals nicht gelungen ist, alle Menschen an den EU-Außengrenzen zu stoppen. Diesmal soll das mit aller Kraft verhindert werden. Die Aufgabe heute sei die Integration der hier lebenden MigrantInnen.

Die aber wird mit zunehmendem und offenem Rassismus und Kürzung von Sozialleistungen und Sprachkursen erschwert.

Was tatsächlich 2015 geschehen ist, war eine Solidaritätswelle in der Bevölkerung. Hunderttausende Menschen sind in Österreich und Deutschland aktiv geworden oder haben gespendet. Freiwillige haben Geflüchteten unbezahlt in allen möglichen Bereichen geholfen, vom Deutschkurs über die Wohnungs-suche hin zu neuen sozialen Netzwerken.

Der österreichische Staat hat weder damals, noch später unterstützend eingegriffen. Der Zugang zu Deutschkursen wurde tatsächlich sogar verknappt, mit verschiedenen Maß-nahmen hat die rechtsextrem-rechtspopulistische ÖVP-FPÖ-Regierung versucht Solidarisierung zwischen AsylwerberInnen und ÖsterreicherInnen zu unterbinden. Hauptaugenmerk lag darauf, Menschen abzuschieben, zur Rückkehr zu bewegen und ihnen das Leben so ungemütlich wie möglich zu machen. Was die „Hilfe vor Ort“ genau bedeuten soll, von der immer wieder gefaselt wird, ist unklar, oft wird es als finanzielle Zuwendung gesehen.

Die österreichischen Gelder an die UNHCR sind jedenfalls in der Gegenüberstellung mit vergleichbaren Ländern mickrig.

Auch Merkel sicherte Griechenland „unsere volle Solidarität und unsere volle Unterstützung“ beim Schutz der Außengrenze zu und verlor kein Wort über die Aufkündigung des Asylrechts und über die empörende Gewalt gegen Geflüchtete. Selbst das zu hinterfragende Versprechen der deutschen Regierung, „1000-1500“ geflüchtete Kinder von den griechischen Inseln aufzunehmen, bleibt an verschiedenste Bedingungen geknüpft, so dass in Frage steht, ob überhaupt etwas davon umgesetzt wird.

Demonstration in Athen für die Öffnung der Grenzen. Anfang März 2020

Revolutionäre Antworten

Natürlich ist es nicht einfach möglich sofort die Bedingungen, die zu Flucht führen, aufzuheben und allen Menschen in ihren Heimatländern ein gutes Leben zu ermöglichen. Diese Bedingungen werden durch das globale kapitalistische System und seine internationalen Machtbeziehungen geschaffen. Diese äußern sich aber in ganz konkreten Handlungen von Menschen, in politischen und wirtschaftlichen Entscheidungen.

Wir sind für das sofortige Ende aller Waffenexporte aus EU-Ländern in Krisengebiete und gegen die finanzielle, politische oder militärische Unterstützung von diktatorischen Regimen. Durch die Enteignung der Rüstungskonzerne und ihrer Vermögen könnten Maßnahmen zur Wiedergutmachung der verursachten Schäden finanziert werden.

Alle von westlichen Ländern aufgezwungenen Abhängigkeiten, Sparprogramme, Freihandelsabkommen und die damit verbundene wirtschaftliche Ausbeutung und Zer-störung der Länder müssen beendet werden.

Für revolutionäre Organisationen besteht die Aufgabe sowohl darin gegen die Ausbeutung und Unterdrückung ärmerer Länder zu kämpfen, als auch darin, klassenkämpferische und antikapitalistische Kräfte in diesen Ländern zu unterstützen.

Vor allem aber haben wir uns in unseren eigenen Ländern der feindlichen Propaganda gegenüber fliehenden Menschen entgegenzustellen, egal ob sie offen rassistisch daherkommt, oder ob „nur“ gegen „Wirtschaftsflüchtlinge“ Stimmung gemacht wird oder beschworen wird, 2015 dürfe sich „nicht wiederholen“.

Wir sind für die Öffnung aller Grenzen, egal ob Menschen vor Krieg, Hunger oder Klimawandel fliehen oder ein besseres Leben in den reichsten Ländern des Planeten suchen.

MigrantInnen heißen wir will-kommen und dies ohne Selektion nach Alter oder Geschlecht. Wir sind gegen jede Diskriminierung, sei es auf dem Arbeitsmarkt, dem Wohnungsmarkt oder bei Behörden.

MigrantInnen gehören heute oft zu den am stärksten ausgebeuteten Teilen der ArbeiterInnenklasse. Sie arbeiten prekär, oft illegalisiert, meist unter schlechten Bedingungen. Es gibt aber auch genügend Beispiele für Organisierung und Kämpfe in diesem Bereich. Solche Kämpfe müssen wir gemeinsam führen, denn hier angekommene Menschen sehen sich in vielen Bereichen den gleichen Problemen gegenüber wie wir. In Deutschland haben fast 50 % derjenigen Geflüchteten, die zwischen 2013 und 2018 angekommen sind, inzwischen einen Job.

Es ist wichtig, dass sie Teil unserer Kämpfe werden: für höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen, für leistbaren Wohnraum, gegen Klimawandel und Zerstörung der Umwelt. Gegen das kapitalistische System, das uns allen die Perspektiven für ein gutes Leben nimmt.

Die Frage ist nicht, können „wir“ uns die Aufnahme von weiteren geflüchteten Menschen leisten, sondern die Frage lautet immer dringender: Können wir uns dieses Wirtschaftssystem noch länger leisten? Ein System, das die Hälfte des weltweiten Vermögens der Menschheit vorenthält, um sie in den Händen einer kleinen Minderheit zum Spekulationsobjekt zu machen.

Alle, die unter oft elenden Bedingungen arbeiten und den Reichtum produzieren, genauso wie diejenigen, die vor den unmenschlichen Lebensbedingungen und Kriegen die Flucht antreten, haben ein gemeinsames Interesse daran, diesem kapitalistischen System den Garaus zu machen.

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