Keine Wahl – Festung Europa, Militarisierung

Anfang Juni finden die Wahlen zum Europäischen Parlament statt. Die alte Leier vom vermeintlichen „Friedensprojekt“ EU und der Verteidigung von Demokratie und Freiheit läuft wiedermal auf Dauerschleife. Während gleichzeitig die EU-Außengrenzen und die Militärapparate systematisch hochgerüstet werden und der Krieg des israelischen Regimes in Gaza weiter unterstützt wird. Die EU und ihre Politik wird auch nach dieser Wahl weiter von Konzernlobbys und den mit ihnen verbundenen Politiker:innen der mächtigen Staaten dominiert sein.

Nicht zufällig wird die Europäischen Kommission von der deutschen Politikerin Von der Leyen geführt: Deutschland ist die stärkste Wirtschaftsmacht Europas und profitiert von der EU. Einerseits dienen schwächere Länder als Quelle billiger Abeitskräfte sowie als Zielland von Exporten, andererseits sind die EU und die Eurozone Instrumente, um sich im internationalen Wettbewerb zu behaupten. Dabei geraten Löhne, Arbeitsbedingungen, die Umwelt und das Klima unter die Räder.

Festung Europa
Die Herrschenden versuchen uns jedoch davon zu überzeugen, dass die Gefahr von außerhalb der EU kommen würde. Die ekelhafte Debatte über die Migration und die undichten Grenzen der EU wird als politischer Dauerbrenner am Köcheln gehalten. Im Mai wurde die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) beschlossen. Damit soll die Abschottung der Festung Europa weiter vorangetrieben werden, Flüchtende in Lagern an den EU-Außengrenzen interniert und dort Asylverfahren im Schnelldurchlauf erledigt werden. Der deutsche „sozialdemokratische“ Bundeskanzler Scholz nennt das eine „humane Begrenzung von irregulärer Migration“. Dem österreichischen Bundeskanzler Nehammer (ÖVP) scheint nicht mal das weit genug zu gehen. Für ihn ist das Modell des britischen Premiers Sunak, wonach Asylwerber:innen nach Ruanda abgeschoben und dort interniert werden sollen, ohne nach Großbritannien zurückkehren zu können, ein „Wegbereiter“ für die EU. Diese Parteien der vermeintlichen „Mitte“ haben längst die rechtsextremen Argumente von AfD und FPÖ übernommen. Statt den Aufstieg der Rechtsextremen zu bremsen, haben sie damit im Gegenteil diese offen rassistischen und menschenverachtenden Ideen normalisiert.

Diese rechte Demagogie ist allerdings keine neue Sache. In Italien und Ungarn regieren bereits rechtspopulistische Parteien und die CDU-Politikerin Von der Leyen schließt nicht aus, nach der Wahl eine Koalition mit den Rechtsextremen einzugehen. Ein Blick nach Italien zeigt, dass die Rechtsextremen an der Macht die Lebenssituation der „Einheimischen“ nicht verbessern. Dort hat die Regierung unter Premierministerin Meloni gerade die „reddito di cittadinanza“ (ein Mindesteinkommen, ähnlich dem Bürgergeld in Deutschland) abgeschafft. Betroffen sind rund 250.000 arme Familien, mehrheitlich aus dem immer noch armen Süden des Landes. In Österreich regierte die FPÖ gemeinsam mit der ÖVP von 2017 bis 2019 und führte etwa den 12-Stunden-Tag sowie die 60-Stunden-Woche ein. Für viele Arbeitende bedeutet(e) das durch den Wegfall von Überstundenzuschlägen Lohnkürzungen, für die Unternehmen gab und gibt es unmittelbar höhere Profite.

Für den Frieden wählen?
Die Kriege in der Ukraine und in Gaza hinterlassen ihre Spuren bei der Europawahl. Ungewöhnlich viele Parteien haben „Frieden“ als Thema entdeckt. In Deutschland erlauben sich sogar die Parteien der Ampelkoalition (SPD, FDP und Grüne) schamlos für den Frieden zu werben. Gleichzeitig wurden alleine in Deutschland 100 Milliarden für Aufrüstung locker gemacht – auch auf Kosten des Sozialstaats, wie die Regierung sogar offen klarstellt. Und auch die massiven Waffenlieferungen an die Regierung Selensky werden nicht zum Wohle der ukrainischen Bevölkerung gemacht, sondern um den eigenen Einfluss zu sichern und dem konkurrierenden Russland etwas entgegenzuhalten. Zudem verdienen sich deutsche und andere europäische Waffenkonzerne am Krieg eine goldene Nase.

Und auch die nicht-regierenden Parteien, wie Sarah Wagenknecht’s Abspaltung von der Linkspartei oder die AfD und in Österreich die FPÖ, versprechen uns den Frieden. Hier will man einen Kuschelkurs gegenüber Putin, was die ökonomische und geopolitische Konkurrenz zwischen den Großmächten natürlich nicht aushebeln kann und ein Schlag ins Gesicht aller jener russischen Aktivist:innen und Menschen ist, die unter der Diktatur von Putin leiden und diese bekämpfen.
Die Waffenlieferungen an die israelische Regierung unter Netanjahu ist eine offene Komplizenschaft der deutschen Regierung mit dem Völkermord an der palästinensischen Bevölkerung. Auch hier sind es leere Worte, wenn die Herrschenden von Frieden sprechen und gleichzeitig diese Ungerechtigkeit fördern und unterstützen.

Eine Stimme gegen das System?
In Deutschland erweckt die neue Partei Mera25, die zur europäischen Organisation von Yanis Varoufakis (ehemaliger Finanzminiser Griechenlands) gehört, Aufmerksamkeit. Sie spricht im Wahlkampf von israelischer Apartheid und Genozid und prangert die deutsche Mitschuld an. Neben dieser begrüßenswerten Stellungsnahme will Mera25 „keine Aufrüstungsspiralen und keine neue Blockkonfrontation“, sehr gut! Ist das aber nicht alles mit Kapitalismus verbunden? Ist „Kapitalismus“ für Mera25 ein zu hartes Wort? Wenn es im Programm darum geht „einen alternativen Weg einzuschlagen“ werden weder Demos, noch Streiks oder Besetzungen erwähnt. Genauso wie die Linkspartei schlägt uns Mera25 vor richtig zu wählen, um die Welt zu ändern. Seit Anfang der bürgerlichen Demokratie haben Parteien solche Wahlillusionen verbreitet, in Zeiten der Krise werden solche Illusionen zur Gefahr.

Anpassung statt Aktivismus
In Österreich haben die Grünen mit Lena Schilling ein zentrales Gesicht der Klimabewegung zu ihrer Spitzenkandidatin gemacht. Lena ist als Aktivistin von Fridays For Future bekannt geworden und hat dann den radikaleren Jugendrat, der mit antikapitalistischen Anspruch für Klimagerechtigkeit eingetreten ist, mitgegründet. Jetzt sieht sie sich öffentlichen Vorwürfen wegen manipulativen Verhaltens und Lügen gegenüber früheren Aktivist:innen und innerhalb der Grünen ausgesetzt. Beim Schritt vom Aktivismus in die „große Politik“ gehört es dazu die politischen Ideale hinter sich zu lassen und gleichzeitig solidarische Umgangsformen gegen bürokratischen Karrierismus einzutauschen. Eine ehemalige Freundin Schilling’s bringt es in einer Nachricht an sie auf den Punkt: „Du musst die Leute aushalten und dich anpassen. […] Von der Aktivistin zum Establishment. Also dein Selbstverständnis muss sich dann vor allem ändern.“
Die KPÖ setzt in ihrem Wahlkampf auf die Themen Wohnen, so wie schon bei ihren letzten (durchaus erfolgreichen) Landtagswahlkämpfen, und Frieden – kombiniert in der Forderung: „Wohnen statt Kanonen.“ Dabei versucht sie sich als letzte wirkliche Verteidigerin der österreichischen „Neutralität“ darzustellen. Mit Wahlkampfsprüchen wie „Helfen statt Kassieren“ erinnert sie eher an eine karitative Einrichtung als eine kommunistische Partei. Wie wäre es mit einer Kampfansage an die EU der Banken und Konzerne sowie die mörderische Festung Europa?

Die Stimme der radikalen Linken
In Deutschland und Österreich fehlt, noch stärker als in anderen europäischen Ländern, eine revolutionäre Arbeiter:innenpartei. Diese könnte die Wahlperioden nutzen, um eine Perspektive von und für die Arbeitenden zu formulieren. In Frankreich kandidiert jetzt unsere Schwesterorganisation (NPA Révolutionaires) mit einer solchen Perspektive (siehe Aurora 42). Doch auch dort ist die Zersplitterung unter revolutionären Organisationen noch nicht überwunden, denn viele Organisationen beharren leider darauf, aus eigener Kraft eine Partei aufbauen zu wollen.

Wahlantritte dürfen kein Selbstzweck sein und nicht die Illusion nähren, dass Veränderung über und durch die Institutionen der bürgerlichen Demokratie kommen wird. Denn die Welt werden wir nicht über Wahlen, sondern nur durch reale soziale Bewegungen und Kämpfe ändern. Diese werden auch zum entscheidenden Katalysator zur Neugruppierung der revolutionären und klassenkämpferischen Kräfte werden.

Lorenz Wassier, Berlin und Johannes Wolf, Wien

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