Deutschland: Notbetrieb in den Kliniken

Anfang Dezember entschieden die Leitungen mehrerer Krankenhäuser offiziell in den Notbetrieb zu gehen. Das heißt, dass Krankenhäuser pauschal planbare Operationen streichen. Überall an Kliniken fehlt Personal und im Herbst hat sich die Situation weiter verschlimmert: Patient:innen können nicht mehr versorgt werden. „Bettenschließungen“, also das Sperren von Betten wegen Mangel an Pflegekräften, abgesagte OPs und lange Wartezeiten gibt es schon lange. Warnungen gab es auch viele. Auch Streiks der Pflegekräfte für Einstellungen und Entlastung. Mit der Ausrufung des Notbetriebs wird eine erschreckende Lage „offiziell“.

Im Folgenden nun eine kurze Situationsbeschreibung eines Krankenpflegers zur Frage „Wie ist die Stimmung?“:

Ich bin Krankenpfleger und arbeite in einer erschöpften Organisation, einem Krankenhaus, der Charité in Berlin. Erschöpft sind wir alle, die die wichtigen Einrichtungen der öffentlichen Daseinsvorsorge im Gang halten. Klar, keine Grippe ohne Virus, aber diese Erschöpfung lässt uns auch anfälliger werden für Erkältung und Co. Die Erschöpfung hat durch die Pandemie einen Gipfelpunkt gefunden, doch wir wissen, die Arbeitsbedingungen, die diese Erschöpfung herbeigeführt haben, sind Folge der Ökonomisierung durch die Fallpauschalen (DRGs). Technik ist massig vorhanden, Geld in Mengen im System, doch es wurde gespart am Personal, aber auch an der Vorhaltung wichtigen Materials. Mit der Pandemie wurde dauerhaft auf Notfallpläne umgestellt. Nun sind es die vielen Erkrankungen von Kolleg:innen, die auf das eh schon am Rande des Abgrunds taumelnde System treffen. Wieder ein Notfallplan: Studierende sollen die völlig überforderten Kinderkliniken retten, Pflegepersonal aus dem Erwachsenenbereich in die Kinderkliniken wechseln. Doch Kinder sind keine kleinen Erwachsenen. Es werden Löcher nur scheinbar gestopft, um sie an anderer Stelle zu vertiefen. Die als unterste Haltelinie benannten Pflegepersonaluntergrenzen sollen laut K. Lauterbach aufgehoben werden. Der Minister, der einen großen Teil von uns bei der Vergabe der Corona- Prämie 2022 komplett ausschloss. Die Krankenhausgesellschaft fordert, dass covidpositive Beschäftigte weiter Patient:innen versorgen könnten. Unsere Chefs rufen uns auf, zusätzliche Dienste zu leisten, sie kaufen uns unsere Gesundheit ab. Die Chefs, die uns in einen wochenlangen Streik zwangen, als wir versuchten, per Tarifvertrag unsere Bedingungen zu verbessern. Kurz vor Weihnachten haben sie den Notbetrieb ausgerufen und planbare Eingriffe abgesagt. Für die Patient:innen ist das schlimm. Aber eigentlich kam das viel zu spät. Und viel zu kurz, denn bereits in der ersten Januarwoche begannen sie wieder, das Programm hochzufahren. Obwohl noch immer ein hoher Krankenstand herrscht. Sie wollen einfach weitermachen, fahren damit weiter das Personal auf Verschleiß und werden damit das Problem des Personalmangels weiter vergrößern. Die Chefs wollen, wie bereits im Sommer, die Verluste der Pandemie so gering wie möglich halten und bestellen wieder Patient:innen ohne Rücksicht ein. Die Patient:innen brauchen Personal und wir haben davon zu wenig. Nun die Frage, wie die Stimmung ist? Wir sind erschöpft, aber auch unfassbar wütend. Und unsere Wut wird sich Bahnen brechen.

8. Januar 2022

Zum Weiterlesen auf unserer Website:

„Eindrücke eines von den Streikenden selbst kontrollierten Streiks“, September 2022, https://www.sozialismus.click/eindruecke-eines-von-den-streikenden-selbst-kontrollierten-streiks/

„Streik für Entlastung an den Unikliniken NRWs – Der Kampf gegen ein profitorientiertes Gesundheitssystem“, Juni 2022, https://www.sozialismus.click/streik-fuer-entlastung-an-den-unikliniken-nrws-der-kampf-gegen-ein-profitorientiertes-gesundheitssystem/

„Pflege in Deutschland unter Corona: Und täglich grüßt das Virustier …“, Januar 2022, https://www.sozialismus.click/pflege-in-deutschland-unter-corona/

„Berliner Krankenhausbewegung Sie retten Leben – aber wer rettet sie?“, Oktober 2021, https://www.sozialismus.click/berliner-krankenhausbewegung-sie-retten-leben-aber-wer-rettet-sie/

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert