Das Thema Wohnung und hohe Miete macht inzwischen alle nervös. Für Azubis und Student:innen ist es selbst am Stadtrand irre teuer. Familien rücken noch enger zusammen. Wer nach Berlin ziehen will, landet in einer nicht enden wollenden Schleife aus fehlender Wohnung, die aber für die Anmeldung beim Bürgeramt erforderlich ist, die man wiederum braucht für Studienplatz, Arbeitsvertrag oder Bankkonto, was man wiederum braucht, um sich auf eine Wohnung bewerben zu können… Dabei ist Wohnen ein Menschenrecht.
Wie Luft, Wasser und Nahrung benötigen wir eine Wohnung, einen Ort zum Ausruhen und Schlafen, einen Ort, um uns wohl zu fühlen und Familie und Freunde zu treffen. Aber der Kapitalismus ist nicht in der Lage, das für alle Menschen – selbst in einem der reichsten Länder der Welt wie Deutschland – im ausreichenden Maße zur Verfügung zu stellen. Tendenz fallend. Das sagt viel über dieses Wirtschaftssystem.
Der große Ausverkauf
Berlin gehörte mal zu den Städten mit den meisten Wohnungen in öffentlicher Hand. Gebaut wurden jährlich über 10.000 neue Wohnungen, 1997 immerhin fast 33.000. Als in den 90er Jahren die großen Konzerne und Investmentfirmen dringend auf der Suche nach neuen Geschäften mit hohen Gewinnen waren, öffnete Deutschland (wie z.B. Frankreich auch) die bislang staatlichen Bereiche für diese Unternehmen. Die Privatisierungswelle betraf nicht nur die Deutsche Bahn, den Krankenhaussektor, Wasser und Strom, auch den Wohnungsmarkt. Mit der Finanzkrise 2008 waren dann „alle Schleusen offen“ für den Ausverkauf des Öffentlichen Dienstes. Das war also kein „Versehen“ oder eine politische Dummheit. Das war eine Strategie: der Staat dient der Wirtschaft, die Kapitalist:innen können sich auf ihn verlassen. Berlin ist ein imposantes Beispiel, denn alle größeren Privatisierungen liefen unter der Regierung von SPD und Linkspartei (damals „PDS“). Auch wenn einige Entscheidungen bereits von der vorangegangenen Regierung aus CDU und SPD getroffen worden waren, hat die „linke“ Regierung alles mit bürokratischer Gründlichkeit weitergeführt und zugleich Proteste blockiert.
Die Verkäufe von Wohnungen oder ganzer Wohnungsgesellschaften an die Investoren ab Ende der 90er verlief in mehreren Schritten. Der größte war der Komplettverkauf der GSW 2004 mit 65.700 Wohnungen an die beiden Investoren Cerberus (der Höllenhund) und Goldman Sachs und zwar 25% unter Wert! Danach begann das Aussaugen der Mieter, Personalabbau, Weiterkauf der Wohnungen und Börsengang – Gewinne und Auszahlungen an die Investoren in den folgenden Jahren waren gigantisch. Dasselbe passierte zum Beispiel auch mit den tausenden Eisenbahnerwohnungen, die so in die Hände von Immobilienkonzernen gerieten. Über verschiedene Käufe und Übernahmen ist so beispielsweise Vonovia entstanden, einer der größten börsennotierten Immobilienkonzerne, zu dem die Deutsche Wohnen gehört. Heute besitzt Vonovia in Deutschland fast 500.000 Wohnungen. Solche Megakonzerne folgen allein kapitalistischer Geschäftslogik.
Der Neubau fiel zur selben Zeit in Berlin auf ca. 3.000 Wohnung pro Jahr zurück, obwohl die Bevölkerung anwächst. Man rechnet damit, dass allein durch Verfall, Abriss etc. jährlich 18.000 Wohnungen aus dem Wohnungsmarkt verschwinden. Gesetzliche Regelungen zu Förderung des sozialen Wohnungsbaus und Mietpreisbindungen fielen weg oder wurden gelockert. Staatliche Subventionen blieben den Wohnungskonzernen natürlich erhalten. Aber diese verpflichten die Konzerne zu nix. Sie fließen direkt oder indirekt in den Topf der Gewinne.
Die kapitalistische Logik schlägt dann knallhart zu: je geringer das Angebot, je stärker Monopolisten einen Markt kontrollieren, um so höhere Preise lassen sich herausschlagen. Und die privaten Vermieter bauen auch nur dann neue Wohnungen, wenn für sie mit sehr hohen Mieten hohe Gewinne garantiert sind. Vor dem Hintergrund der Inflation hat Vonovia beispielsweise Neubauprojekte für 60.000 (!) Wohnungen gestoppt, weil sich das für sie derzeit nicht lohnt. Während solche Konzerne mit Kauf und Weiterkauf von Wohnungen viel leichter hohe Gewinne machen können. Auch die vielen Bürotürme bringen mehr Gewinne als Sozialwohnungen, obwohl es in Berlin sogar einen großen Leerstand bei Büros gibt. Das ist alles kapitalistisch völlig logisch. Das bringt Geld für die Aktionäre. Aber für die Bevölkerung ist das ein Riesenproblem. Das ist ein Beweis dafür, dass wir in einer Klassengesellschaft leben, in der ein Prozent auf Kosten der 99 Prozent lebt.
Und da auch Wasser, Strom usw. im selben Zeitraum privatisiert wurden mit denselben Effekten, stiegen auch die Nebenkosten für Wohnungen enorm.
2023 stieg die Angebotsmiete wieder um 18,3%. Im selben Jahr wurden in Berlin 2.369 Haushalte zwangsgeräumt, weil sie die Miete nicht zahlen konnten. Das sind wieder etwa 400 mehr als im Jahr zuvor. Das Gerede, bis 2030 Obdachlosigkeit abzuschaffen, mutet da mehr als lächerlich an.
Heute stehen viele Arbeiterfamilien und junge Leute mit dem Rücken zur Wand angesichts des Fiaskos, das uns der kapitalistische Sauhaufen mit seinen Gehilfen im Staat hinterlassen hat.
Die Rückkehr der Werkswohnungen?
Mittlerweile ist der Mangel an bezahlbaren Wohnraum für Firmen und den Öffentlichen Dienst zu einem Problem geworden. Während früher Fachkräfte mit Dienstwagen geködert wurden, sind es nun Wohnungen. Die Berliner Verwaltung, aber auch das Krankenhaus Charité arbeiten mit der landeseigenen Berlinovo zusammen. Glücklich wer eine solche Wohnung ergattert? Nun ja, kündigen ist dann nicht drin, denn Spranger, die Senatorin für Inneres, verdeutlichte: „Eine Werkswohnung heißt immer, dass ich natürlich ein Dienstverhältnis habe und das in einer Verwaltung oder in einem Landesunternehmen.“ Auch die Privatwirtschaft wird zunehmend auf die Uralt- Methode zurückgreifen, Beschäftigte mit der Zuweisung einer Wohnung an sich zu binden. Ein Nebeneffekt: Wer wird schon streiken, wenn der Chef gleichzeitig der Vermieter ist?
Rückkauf der Wohnungen als profitables Modell
Unter dem Banner des Kampfes gegen die hohen Mieten kauft die Berliner Landesregierung inzwischen Wohnungen von den privaten Wohnungskonzernen zurück. Re-Verstaatlichung… Einsicht, dass lebensnotwendige Güter nicht in die Hände der Konzerne gehören? Sicher nicht. Das Land Berlin hat seit 2019 Wohnungen für ca. 4,5 Milliarden Euros zurückgekauft. Oder anders gesagt: 4,5 Mrd. den Konzernen in den Rachen geworfen. Nicht nur ist das für Konzerne ein irrer Gewinn pro Wohnung. Vonovia kann auf diese Weise auch ihr Unternehmenskapital erhöhen und Schulden abbauen. Der Vorstand hat schon angekündigt, für neues Wachstum nun gut gerüstet zu sein… Wer sich fragt, woher das ewig verschuldete Land Berlin die hohen Summen für den Rückkauf nimmt: die aufkaufenden landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften finanzieren das unter anderem per Kredite. Diese Kredite sind aus den laufenden Mieteinnahmen zu finanzieren… Und natürlich bringen solche Rückkaufgeschäfte keine einzige neue bezahlbare Wohnung auf den Markt.
Protestwelle und Enteignungsforderungen – die Berliner:innen lassen sich nicht unterkriegen
Seit mehr als 10 Jahren gibt es immer wieder Proteste wegen der hohen Mieten. Die große Mietenbewegung brachte Zehntausende auf die Straße und zahlreiche Mieterbündnisse in den Wohnvierteln entstanden und vernetzten sich. Das Gecekondu in Kreuzberg, das seit 2012 zentraler Ort für die Organisierung von Mieterwiderstand ist, ist heute noch da. Mit dem Schwung dieser Bewegung erreichten hunderte Aktivist:innen der Initiative „Deutsche Wohnen & Co Enteignen“, dass beim Volksentscheid im September 2021 mehr als eine Million Berliner:innen für die Enteignung der großen Immobilienkonzerne stimmten. Das war ein Riesenerfolg, dessen Umsetzung die Politiker:innen aller Parteien seitdem mit Endlosdebatten ausbremsen. Der heilige Gral des Privateigentums muss unbedingt geschützt werden …
Auch wenn die Proteste weniger geworden sind, an die große Mieterbewegung anzuknüpfen wäre dringend nötig. Wir brauchen Wohnungen, niedrige Mieten und höhere Löhne und Sozialleistungen!
Havannas Obst und Sabine Müller, Berlin