SPÖ: Rechts, links oder geradeaus?

Anfang Juni soll der Parteivorsitz der Sozialdemokratischen Partei Österreichs (SPÖ) neu gewählt werden. Drei verschiedene Strömungen kämpfen um die Führung. Der Linke Andreas Babler möchte mit der Parteibasis traditionelle sozialdemokratische Werte in die kriselnde Partei zurück holen. Ein Überblick und eine Einordnung.

Die SPÖ ist seit 2017 nicht mehr in der Bundesregierung. Trotz Oppositionsrolle, zahlreicher Korruptionsskandale von FPÖ und ÖVP sowie der Teuerungskrise kann die SPÖ nicht profitieren. Bei aktuellen Landtagswahlen musste sie Verluste hinnehmen und in Umfragen liegt sie maximal auf Platz zwei, hinter der FPÖ und fast gleichauf mit der ÖVP. Woran liegt das? Offensichtlich schafft es die SPÖ nicht, eine glaubhafte Alternative anzubieten.

Mitgliederbefragung und drei Flügel

Seit längerem gibt es innerparteiliche Kritik an der Parteivorsitzenden Pamela Rendi-Wagner, die für schlechte Wahlergebnisse verantwortlich gemacht wird. Hans Peter Doskozil, Landeshauptmann des Burgenlandes, schießt seit Jahren in der medialen Öffentlichkeit gegen die Vorsitzende. Nun hat er eine Mitgliederbefragung durchgesetzt, um die Führungsfrage zu klären. Statt dem erwarteten Zweikampf gab es plötzlich 73 Bewerber:innen, von denen nun drei zugelassen wurden. Wer sind sie und wofür stehen sie?

Pamela Rendi-Wagner ist Ärztin und war hohe Beamtin im Gesundheitsministerium, bevor sie 2017 unter SPÖ-Kanzler Christian Kern Gesundheitsministerin wurde. Nach Kerns Rücktritt 2018 wurde sie seine Nachfolgerin als Parteivorsitzende, sie steht ebenso für einen liberalen Kurs mit modernem Manager-Habitus. Statt sozialdemokratischer Tradition und „volksnaher“ Empörung gibt es auf professionell getrimmte aber wenig authentische Inhalte und Auftritte.

Hans Peter Doskozil war hoher Polizeibeamter und stieg nach seinem Management der „Flüchtlingskrise“ 2015 im darauf folgenden Jahr zum Verteidigungsminister auf. Später wurde er burgenländischer Landeshauptmann, bei den Landtagswahlen 2020 konnte er 8 % dazugewinnen. Er setzt auf eine Mischung aus Sozialpolitik (Anhebung der Mindestlöhne für Landesbedienstete, Anstellung pflegender Angehöriger beim Land, Förderung des sozialen Wohnbaus…), Populismus und rechten Positionen beim Thema Migration. Mit der Mischung aus populistischer Sozialpolitik und Rassismus sollen Wähler:innen von der FPÖ zurückgeholt werden – im Burgenland scheinbar erfolgreich. Für manche in der SPÖ ist das auch ein Erfolgsgeheimnis für den Bund.

Rendi-Wagner und Doskozil stehen für zwei Flügel: einen urban-liberal-modernistischen (der auf eine Ampelkoalition mit Grünen und Neos schielt) und einen traditionell-populistisch-rechten (der gegenüber einer Zusammenarbeit mit der FPÖ offen ist). Für den tatsächlich linken Flügel geht Andreas Babler ins Rennen.

Wofür steht Babler?

Babler ist in der Sozialistischen Jugend1 groß und sozialisiert worden. Genauer gesagt in deren Strömung „Stamokap“ (Staatsmonopolistischer Kapitalismus), die eine sozialistische Ausrichtung hat, realpolitisch mit Ländern wie der Sowjetunion, Kuba, Serbien und Belarus sympathisiert(e) und statt auf eine Revolution gegen den Kapitalismus gemeinsam mit der „antimonopolistischen Bourgeoisie“ auf die Rettung der bürgerlichen Demokratie setzt. Seit 2014 ist Babler Bürgermeister von Traiskirchen, einer traditionellen Industriestadt mit rund 20.000 Einwohner:innen in der Nähe von Wien, in der sich ein großes und bekanntes Asylbewerber:innen-Erstaufnahmezentrum befindet. In der „Flüchtlingskrise“ 2015 protestierte er aufgrund der überfüllten Unterkünfte gegen die zuständige Ministerin, zeigte sich aber gleichzeitig solidarisch gegenüber den Geflüchteten. In Traiskirchen setzt er als Bürgermeister exemplarisch auf soziale und ökologische Maßnahmen, wie ein kostenloses Mittagessen für Kinder armer Familien, einen Sozialmarkt und ökologische Bauweise bei öffentlichen Gebäuden. Bei den niederösterreichischen Landtagswahlen Anfang 2023 konnte er knapp vier Prozent dazugewinnen. Das alles macht ihn zu einem linken Aushängeschild und einer „linkspopulistischen“ Alternative zum rechten Doskozil.

Babler bezieht sich in seinen Reden auf die Sozialdemokratie der Zwischenkriegszeit und das Rote Wien2. Gleichzeitig erwähnt er in seinen Reden das sozialistische Ziel nicht, aber spricht davon, die Systemfrage zu stellen. Sein Programm umfasst Forderungen für rechtsstaatliche und schnellere Asylverfahren sowie legale Fluchtmöglichkeiten, gleichen Lohn für Frauen und höhere Löhne in der Sorgearbeit, einen umfassenden Fond zur Dekarbonisierung der Industrie, Mietobergrenzen/Mietendeckel und eine Energiegrundsicherung. Ebenso wird eine Arbeitszeitverkürzung auf 32h/Woche bei vollem Lohnausgleich gefordert. Finanziert werden sollen die Maßnahmen mit Steuern auf (Über)Gewinne, Erbschaften und Schenkungen. Der Staat solle den öffentlichen Sektor stärken und in den Markt eingreifen.

Wählen oder Kämpfen?

Es ist grundsätzlich positiv, dass Fragen wie Arbeitszeitverkürzung und Finanzierbarkeit des Sozialstaats öffentlich diskutiert werden und Anknüpfungspunkte liefern. Aber wie soll das durchgesetzt werden? Babler spricht davon, sich die SPÖ zurückzuholen. Er will eine Partei von aktiven Mitgliedern, die „von unten“ der Partei Leben einhauchen und so die Interessen der Lohnabhängigen glaubhaft nach innen und außen vertreten. Von verschiedenen Seiten gab es Aufrufe in die Partei einzutreten und mitzubestimmen bzw. einen bestimmten Kandidaten zu unterstützen. Und tatsächlich konnte die SPÖ in den letzten Wochen rund 10.000 neue Mitglieder verbuchen, was einem Zuwachs von rund 7 % der Gesamtmitgliedschaft von circa 140.000 entspricht. Der Altersdurchschnitt der Parteimitglieder dürfte aber weiterhin bei über 60 Jahren (!)
liegen.

Was bei Babler und seinen Fans fehlt, ist eine politische Strategie zur Umsetzung der Forderungen. Die geforderten Reformen, selbst wenn sie dem Kapitalismus noch nicht mal gefährlich werden, könnten nur durch Kämpfe in den Betrieben und auf der Straße erreicht werden. Den Parteivorsitz zu erringen und dann womöglich die nächsten Wahlen zu gewinnen, wird da bei weitem nicht ausreichen. Selbst wenn Babler heute Säle füllt und Menschen mobilisiert, hat er keine klassenkämpferische Bewegung im Rücken. Diese gibt es in Österreich derzeit schlichtweg nicht – und er verliert auch kein Wort dazu, eine solche aufbauen zu wollen. Zwar gab es im Herbst 2022 einige Streiks und scheinbar hohe Lohnzuwächse, es wäre aber weit mehr möglich gewesen. Ein entscheidender Faktor, der die Weiterentwicklung von kämpferischen Ansätzen und Stimmungen in Belegschaften behindert, sind die sozialdemokratischen Führungen der Gewerkschaft selbst.

Perspektiven

Aktuell touren Babler und Doskozil durch Österreich, bis 10. Mai soll die Mitgliederbefragung durchgeführt werden und am 3. Juni beim Parteitag der neue Vorsitz gewählt werden. Inwiefern das Ergebnis der Befragung interpretiert und einbezogen wird ist unklar, aber jedenfalls ist es unverbindlich.

Sollte Rendi-Wagner weiter Vorsitzende bleiben, wird es für die SPÖ wohl weiter abwärts gehen. Mit Doskozil an der Spitze würde sich der politische Rechtsruck fortsetzen und eine rot-blaue Koalition mit der FPÖ nach den nächsten Wahlen wäre eine realistische Option.

Babler ist jedenfalls der Außenseiter, dem geringe Chancen zugerechnet werden. Selbst nach einem Sieg hätte er in der eigenen Partei schwer zu kämpfen. In einer von ihm angestrebten Koalition mit den Grünen und den neoliberalen Neos würde von seinem Programm wohl wenig übrig bleiben, vom Gegenwind der herrschenden Klasse und gekaufter, ÖVP-naher Massenmedien gar nicht zu sprechen. Bei einer Niederlage von Babler bliebe die Frage, ob sein sozialistisches Milieu innerhalb oder außerhalb der SPÖ weiter aktiv bleibt und sich organisiert, oder ob das Phänomen Babler schnell wieder verhallt. Den Aufbau einer eigenen Bewegung außerhalb und gegen die SPÖ wird es mit Babler wohl nicht geben – dazu glaubt er selbst zu sehr an die traditionelle Erzählung von der sozialdemokratischen Familie und Einheit.

Es bleibt die Aufgabe, in dieser ohne Zweifel interessanten Phase die Entwicklungen gut zu beobachten, in Diskussionen einzugreifen und hinsichtlich klassenkämpferischer, antikapitalistischer und revolutionär-sozialistischer Perspektiven Chancen zu ergreifen.

Johannes Wolf, Wien

1 Jugendorganisation der SPÖ

2 Im „Roten Wien“ setzte die regierende Sozialdemokratie in der Zwischenkriegszeit eine weitreichende und radikale Sozialpolitik um (massenhafter Bau von Gemeindewohnungen, Kindergärten, Schwimmbädern, Bibliotheken etc., finanziert unter anderem mit Reichensteuern auf Luxuskonsum.)

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