Myanmar: Arbeiter*innen im Kampf gegen den Militärputsch

Seit Anfang Februar geht die Bevölkerung von Myanmar auf die Straße, um gegen einen Militärputsch vorzugehen. Hunderttausende Menschen aus verschiedenen Bevölkerungsgruppen treffen sich dabei besonders in den Großstädten Yangon und Mandalay aber auch in der Hauptstadt Naypyidaw und vielen kleineren Städten. Bemerkenswert ist die Teilnahme von Arbeitenden an den Protesten. Daher wollen wir uns die Proteste und die Situation der Arbeiter*innenklasse in Myanmar genauer ansehen und auf ihre Perspektiven eingehen.

Am 1. Februar, dem Tag, an dem eigentlich das im November gewählte Parlament zusammentreten sollte, putschte die Armee unter dem Vorwand, es habe Wahlbetrug gegeben. Sie verhängte unmittelbar für ein Jahr den Ausnahmezustand. Die Gründe für den Putsch sind nicht ganz klar, jedenfalls kann es nicht daran liegen, dass die bisherige Regierung unter Aung San Suu Kyi dem Militär gefährlich gewesen wäre. Denn die Friedensnobelpreisträgerin, die im Westen als Demokratie-Ikone gefeiert wird, war durchaus bereit, sich mit dem Militär zu arrangieren. So hat sie beispielsweise die ethnischen Säuberungen gegen die muslimische Minderheit der Rohingya, die das Militär ab 2017 durchführte, mitgetragen. Auch gab es vor dem Putsch kein wirklich frei und unabhängig gewähltes Parlament, da das Militär über 25 % der Parlamentssitze verfügen konnte. Aber bei den Wahlen im November ist die parlamentarische Partei des Militärs abgestraft worden, während die „Nationale Liga für Demokratie“ (NLD) von Aung San Suu Kyi deutlich gewonnen hat. Vor diesem Hintergrund hatte das Militär, das auch über eine große wirtschaftliche Macht verfügt, eventuell Sorge, an Einfluss im Land zu verlieren. Es kann auch ganz einfach an den persönlichen Ambitionen des Oberbefehlshabers Min Aung Hlain liegen, der nach der bisherigen Verfassung im Sommer in den Ruhestand hätte gehen müssen, während er nun als starker Mann des Militärputschs die Macht ergreifen konnte.

Die Vielfalt des Widerstands

Zügig begann eine Kampagne des zivilen Ungehorsams. Zuerst streikten die Ärzt*innen sowie Pfleger*innen von staatlichen Krankenhäusern, darauf folgte das Lehrpersonal von Schulen und Universitäten sowie Bergarbeiter*innen und Textilarbeiter*innen. Mittlerweile schließen sich auch einige Mitarbeiter*innen aus Ministerien und Behörden den Streikenden an, da sie die Herrschaft des Militärs ebenfalls nicht gut heißen und für diese Regierung nicht arbeiten wollen. Auch die junge Bevölkerung aus Myanmar beteiligt sich an den Protesten. Mit Sprüchen wie „ihr legt euch mit der falschen Generation an“ verbreiten sie ihren Standpunkt – und das besonders im Internet. Auf Twitter kursieren Hashtags wie #WhatsHappeningInMyanmar, unter denen ständig Neuigkeiten über den Widerstand oder die Repression geteilt werden. Auch wenn die Putsch-Regierung kurzerhand den Internetzugang sperrt, wissen sich die jungen Leute zu helfen, indem sie zum Beispiel SIM-Karten aus Nachbarländern nutzen, um sich dennoch zu organisieren. Unerwartet schließen sich auch Polizist*innen der Protestbewegung an. An einigen Stellen zeigten sie nun auch den 3-Finger-Gruß der Bewegung und räumten ihre Barrikaden, um den Demonstrierenden den Weg frei zu machen. Berichte Anfang März sprachen von 900 Polizist*innen, die ihren Dienst verweigerten.

Eine junge, überausgebeutete Arbeiter*innenklasse

Myanmar war lange landwirtschaftlich geprägt und ist noch heute eines der ärmsten Länder der Welt (auf Platz 162 von 194 Ländern, was die Wirtschaftsleistung pro Kopf betrifft). Doch in den letzten Jahren gab es eine deutliche Entwicklung: 2001 waren noch 70 % der Arbeitskräfte in der Landwirtschaft beschäftigt und 7 % in der Industrie. 2017 war nur noch knapp die Hälfte landwirtschaftlich tätig (49 %) und 11 % in der Industrie. Diese Industrie arbeitet hauptsächlich für den Export. Insbesondere der Textilsektor hat sich entwickelt, da Myanmar als Billiglohnland sogar den Nachbarländern Konkurrenz macht. Es gibt zwar einen offiziellen Mindestlohn in Myanmar, doch von dem kann man kaum leben (umgerechnet 99 US-$[1]). Zum Vergleich: der Mindestlohn in angrenzenden Staaten wie Kambodscha oder Vietnam liegt bei 120-170 US-$, in Thailand bei 280 US-$.[2] Diese billige Arbeitskraft macht den Standort Myanmar gerade beim ausländischen Kapital attraktiv. Von 2012 bis 2017 hat sich so der Export von Textilien verdreifacht.[3] Aber auch Erdgas ist vorhanden, das u. a. vom französischen Total-Konzern ausgebeutet wird.

2011 zeichnete sich die sogenannte „demokratische Öffnung“ des Landes ab, was sich besonders durch den Einzug von westlichem Kapital und chinesischen Investor*innen zeigte. Trotz des Wirtschaftswachstums verbesserten sich die Lebensumstände für die Arbeiter*innen nicht. Die Inflation lässt die Lebensunterhaltskosten dermaßen in die Höhe schießen, dass ihre Löhne diese nicht decken und sie oft hohe Schulden aufnehmen müssen.

Die „Demokratisierung“ konnten die Arbeiter*innen dennoch für sich nutzen: Gewerkschaften wurden legalisiert und so konnten sie sich in Fabriken und Unternehmen leichter organisieren, was ihre Kampfbedingungen verbessert. Schon vor 2011 gab es gewerkschaftliche Strukturen, jedoch mussten die Gewerkschafter*innen mit Polizeirepressionen und gerichtlicher Verfolgung rechnen, einige gingen in den Untergrund oder ins Exil. Seit über 50 Jahren leiden die Arbeiter*innen Myanmars unter der Unterdrückung des Militärs. Sowohl vor, als auch nach 2011 kam es zu Streiks, da die Schikanen des Managements weiter gingen. Die Arbeiter*innen berichten über Lohnklau, erzwungene Überstunden und miserable Arbeitsbedingungen. In der Covid-19-Pandemie haben sie mit massivem Stellenabbau zu kämpfen, 60 000 Arbeiter*innen verloren schon in der ersten Welle ihren Job.[4]

Die Organisierung von Gewerkschaften wurde auch von der Internationale Arbeitsorganisation (ILO) und großen westlichen Gewerkschaftsverbände gefördert. Dabei greifen sie zu Strategien der Versöhnung mit Unternehmensführungen und dem Staat und begünstigen gleichzeitig das Entstehen von Gewerkschaftsbürokratien. Nachdem 2011 Gewerkschaften legalisiert wurden, formalisierten sie 2012 die Tarifverhandlungen, auch um „wilde Streiks“ einzudämmen. Anstatt zum Streiken zu ermutigen, erhoffen sie durch Austausch und Schlichten Konflikte zu lösen. Die Arbeiter*innen jedoch empfinden dies als unzureichend und nutzen die „Demokratisierung“ lieber um sich zu organisieren.

Kräftemessen mit der Repression

Seit dem Putsch werden in den westlichen Medien vor allem die jugendlichen und kreativen Proteste sowie die starke Repression und die Straßenkämpfe gezeigt. Trotzdem ist eins der größten Probleme des Militärregimes sicherlich die Teilnahme der Arbeiter*innenklasse, weil dies direkten ökonomischen Druck ausübt und auch ausländische Investor*innen abschrecken könnte, auf die das Militär angewiesen ist. Es gab am Montag, dem 22. 2. 2021 einen ersten Generalstreik, am „Tag der fünf Zweien“, der an einen anderen Aufstand am 8. 8. 1988 (Tag der vier Achten) erinnert. Neben dem öffentlichen Dienst und Minenarbeitern haben sich auch die vorwiegend weiblichen Beschäftigten im Textilsektor beteiligt – Hunderttausende waren auf der Straße. Seitdem gab es zwei weitere Aktionstage mit Generalstreik.

Die anhaltenden Massenproteste lassen sich auch von massiven Repressionen nicht aufhalten. Weiterhin gehen Hunderttausende Menschen auf die Straße, obwohl schon seit einigen Wochen die Militärjunta und die Polizei massiv durchgreifen. Es kommt gehäuft zu Zusammenstößen, in denen die Polizei Gummigeschosse und Tränengas nutzt, um die Demonstrant*innen auseinander zu treiben oder sogar Demonstrant*innen erschießt. Zahlreiche Internet-Videos zeigen die Repressionen: Die Polizei verfolgt Demonstrant*innen, schlägt sie zusammen und nimmt sie am laufenden Band fest. Berichte der Gefangenenhilfsorganisation AAPP sprechen von fast 2000 Festnahmen. Dazu berichten sie mittlerweile von 60 Toten.

Die Militärjunta veranlasst militärische Straßensperren, um die Beteiligung an den Protesten zu verhindern und blockiert immer wieder das Internet. Offensichtlich erhoffen sie sich davon, die Organisation der Proteste sowie die Verbreitung von Bildern und Videos über die staatliche Gewalt zu erschweren. Die nächtliche Sperrstunde ist inzwischen für viele Bewohner*innen der Städte zum Alptraum geworden: Bewaffnete Kräfte des Regimes fahren durch die Straßen und terrorisieren die Bevölkerung mit Blendgranaten, Schüssen, Verhaftungen und der Zerstörung von Fahrzeugen.

Doch all das schreckt die Demonstrant*innen nicht ab. So geht der Protest weiter und fordert auch die Freilassung der politischen Gefangenen. Die Militärjunta reagiert darauf mit klaren Drohungen und kündigt weitere Morde an, wenn der Protest weitergeht.

Es kommt immer wieder zu Razzien, unter anderem in Unterkünften von Arbeiter*innen der Bahn, denn viele von ihnen haben sich der Bewegung des zivilen Ungehorsams angeschlossen. Auch auf die Arbeiter*innen des Gesundheitswesens und auf Lehrer*innen übt das Militär weiter Druck aus. So hat das Militär in Yangon und Mandalay einige Hochschulen und Krankenhäuser besetzt. Außerdem versuchen sie die Arbeiter*innen des Gesundheitswesens und der Verwaltung wieder zur Arbeit zu locken, indem sie Gehaltszuschläge anbieten oder die zweite Impfung gegen Corona.

Für die Arbeiter*innenklasse Myanmars, die eine so große Rolle in den Protesten spielt, geht es nicht nur darum, den Putsch zurückzuschlagen. Sicherlich ist der erneute Militärputsch, der alle demokratischen Rechte abschafft, für sie eine Gefahr, die es abzuwehren gilt. Doch auch unter der Herrschaft von Aung San Suu Kyi sah ihre Lebensrealität miserabel aus. Das ehemalige Staatsoberhaupt kooperierte lange mit dem Militär und liberalisierte die Wirtschaft im Interesse der multinationalen Konzerne und ihrer Hungerlöhne. Für die Protestbewegung ist die Freilassung von Aung San Suu Kyi trotzdem ein Hauptbezugspunkt, auch wenn weder sie selbst, noch die NLD die Proteste bislang kontrollieren können. Damit die Proteste eine wirkliche Verbesserung der Lage der Arbeitenden erkämpfen können, wäre es dringend nötig, dass diese sich auf der Grundlage ihrer eigenen Interessen organisieren!


[1] https://www.irrawaddy.com/news/burma/thousands-myanmar-workers-demand-higher-minimum-wage.html

[2] https://www.aseanbriefing.com/news/mindestlohne-in-den-asean-staaten/

[3] https://www.gtai.de/gtai-de/trade/branchen/branchenbericht/indonesien/suedostasien-wird-als-bekleidungslieferant-immer-wichtiger-22340

[4] https://www.mmtimes.com/news/covid-19-leaves-over-60000-workers-jobless-myanmar.html

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert