Enteignen? Ja, bitte!

Seit gut zwei Jahren sorgt die Bürger*inneninitiative Deutsche Wohnen & Co. enteignen für Wirbel. Sprechen sie doch ein Thema an, welches Hunderttausende Berliner*innen betrifft. Ziel der Initiative ist es, einen Volksentscheid in die Wege zu leiten, welcher die Vergesellschaftung der Wohnungen von privaten Wohnungsgesellschaften mit mehr als 3.000 Berliner Wohnungen vorsieht. Die Wohnungen sollen von einer Anstalt öffentlichen Rechts übernommen werden.

Die Rahmenbedingungen

Besonders im Fokus steht die Deutsche Wohnen, die allein in Berlin rund 111.000 Wohnungen besitzt. Dieses Unternehmen ist besonders verhasst, weil es seit Jahren seine Häuser verfallen lässt und sie nur saniert, um die Mieter*innen zu verdrängen. Immer wieder beklagen Bewohner*innen, dass im Winter Heizungen ausfallen oder man stundenlang in der Servicewarteschlange steckt, bevor man einen Hausmeister erreicht. Hinzu kommt, dass die Deutsche Wohnen alle Tricks ausnutzt um die Mieten, so oft es geht, zu erhöhen. Das Ergebnis lässt sich sehen: 422 Millionen Euro Gewinn im Jahr 2019.

Ziel der Initiative

Wohnungen sind eine besondere Ware im Kapitalismus1, auf die man nicht einfach verzichten kann. Selbst das bürgerliche Recht sieht einige Schutzmaßnahmen vor. So ist der Berliner Senat (die zurzeit rot-rot-grüne Landesregierung) durch die Verfassung verpflichtet, dafür zu sorgen, dass für alle Bürger*innen ausreichend “angemessene” Wohnungen vorhanden sind – aber wir wissen ja, wie geduldig Papier ist.

Als “angemessen” gelten Wohnungen, deren Bruttowarmmiete 30 % des Einkommens nicht übersteigt. Jetzt kann sich jede Berlinerin oder jeder Berliner fragen, ob man mehr oder weniger für die Miete bezahlt … Weiter heißt es: „Jeder Missbrauch wirtschaftlicher Macht ist widerrechtlich.“ (Verfassung von Berlin, Artikel 24). Das klingt fast nach einer Aufforderung zur Abschaffung des Kapitalismus. Aber nicht ganz.

In Wirklichkeit setzt der legale Rahmen der Initiative sehr enge Grenzen. Es geht bei einer „Enteignung“ letztlich nur darum, die Konzerne zu einem Verkauf der Wohnungen zu zwingen, für den sie Entschädigungen in Milliardenhöhe erhalten sollen. Im Erfolgsfall wird die Höhe der Entschädigung auch entscheiden, wie teuer die Mieten in den nächsten Jahren sein werden, denn der Kaufpreis soll über künftige Mieten (teil-)finanziert werden. Der Senat setzt 29 Milliarden Euro an, den geschätzten aktuellen Marktwert, der seit Jahren durch Spekulation in die Höhe getrieben wurde.

Doch es gibt selbst im Rahmen des Kapitalismus viele gute Argumente, weniger zu zahlen. Erstens wird bei Enteignungen zum Autobahnbau oder für Kohletagebaue, wenn ganze Dörfer platt gemacht werden, selten der Marktwert gezahlt; zweitens wurden viele Wohnungen, die heute im Besitz der Deutschen Wohnen sind, vor zwei Jahrzehnten für einen Bruchteil des heutigen Werts vom Senat verscherbelt und die Deutsche Wohnen hat viele Wohnungen seitdem verfallen lassen; drittens haben die Immobilienkonzerne durch sogenannte share deals (googlen lohnt sich) sich allein in Berlin um Hunderte Millionen an Grunderwerbssteuer gedrückt. Also wenn man den Konzernen überhaupt etwas zahlt, dann doch bitte möglichst wenig!

Nur Mobilisierung zahlt sich aus!

Dass die Regierung kein Interesse daran hat, Immobilienkonzerne zu enteignen, sieht man an ihrem Umgang mit der Initiative. Vorab wurde alles unternommen, den Volksentscheid rechtlich zu verhindern. Auch mit dem Berliner Mietendeckel, der Mietobergrenzen vorsieht, wollte der Senat der Bewegung den Wind aus den Segeln nehmen. Seit dem 26. Februar sammelt die Initiative nun Unterschriften, verbunden mit einer großen Plakataktion in der ganzen Stadt. Wildes Plakatieren in Berlin ist eine Grauzone. Normalerweise gilt es als Ordnungswidrigkeit und für Kultur- und Konzertveranstaltungen ist es in Berlin sogar ein Job. Oft wird es von den Behörden toleriert oder ignoriert. Anders dieses Mal: Die Polizei beschlagnahmte Plakate und nahm Personalien auf, sogar der Staatsschutz ermittelt. Es wird gegen politische Aktivist*innen, die ein rechtlich zugelassenes Volksbegehren unterstützen, besonders hart vorgegangen: Grüße gehen raus an Rot-Rot-Grün!

Über Tausend Menschen beteiligen sich am Unterschriften sammeln, Plakate kleben, Infostände aufbauen usw. Ihr Engagement führt dazu, dass die Kampagne in der ganzen Stadt sichtbar und die Frage von Enteignungen in vieler Munde ist. Überall in Deutschland und sogar in Österreich gab es Solidaritäts-aktionen.

Wenn der Volksentscheid erfolgreich ist, soll der Senat „Maßnahmen einleiten, die zur Überführung von Immobilien sowie Grund und Boden in Gemeineigentum (…) erforderlich sind.“ Doch rechtlich bindend ist das nicht.

Letztlich hängt alles vom Druck auf der Straße ab. Daher sollten wir uns keine Illusionen über legale Möglichkeiten im Kapitalismus machen, sondern die Kampagne dazu nutzen, den Kampf gegen Mietwucher durch breite Mobilisierungen zu unter-stützen!

Referenzen

1 Eine ausführliche Erörterung dieser besonderen Ware aus marxistischer Sicht findet man in der immer noch sehr lesenswerten Broschüre “Zur Wohnungsfrage” von Friedrich Engels aus dem Jahr 1873. Auch damals gab es schon Wohnungsnot und “Gentrifizierung”! (www.mlwerke.de/me/me18/me18_209.htm)

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