Über mehrere Monate haben die rund 7.600 Beschäftigten der fünf Kita-Eigenbetriebe des Landes Berlin immer wieder tageweise gestreikt. Die Gewerkschaften ver.di (Vereinte Dienstleistung) und GEW (Gewerkschaft Erziehung Wissenschaft) wollen einen Tarifvertrag „Pädagogische Qualität und Entlastung“. Im September haben, nach langer Mobilisierung, 91,7 % der ver.di-Mitglieder und 82 % der GEW-Kolleg:innen für einen unbefristeten Erzwingungsstreik gestimmt. Aber das Land Berlin hat gerichtlich den Streik verbieten lassen.
Arbeitskämpfe für Entlastung sind nichts Neues. In der Krankenhausbewegung wurden in Berlin und in Nordrhein-Westfalen bereits für Krankenhäuser Tarifverträge zur Entlastung erstreikt. Die Berliner Lehrkräfte versuchen seit drei Jahren einen Tarifvertrag „Gesundheitsschutz“, der die Klassengröße regeln soll, zu erkämpfen. Dabei stehen sie, wie die Erzieher:innen, demselben Senat als Gegner gegenüber. Seit Jahren weigert sich der Berliner Senat (egal ob rot-rot-grün oder schwarz-rot), über Forderungen zur Entlastung überhaupt nur zu verhandeln.
Warum die Erzieher:innen so sauer sind, lässt sich kurz umreißen: zu wenig Personal, Gruppen müssen teilweise zusammengelegt werden, keine Zeit für Entwicklungsgespräche, Elternabende oder Dokumentation, dem pädagogischen Anspruch kann man kaum noch gerecht werden. Erzieher:innen sind durchschnittlich 10 Tage pro Jahr mehr krank als Beschäftigte in anderen Berufen. Schon seit Jahren warnen Wissenschaftler:innen und Pädagog:innen davor, dass die Zustände in Deutschlands Bildungseinrichtungen unhaltbar sind. Immer mehr Kolleg:innen verlassen den Beruf oder werden durch die Belastung langzeitkrank, was die Lage nur noch mehr verschärft.
Der Normalzustand in deutschen Bildungseinrichtungen ist bereits untragbar. Die Sparpolitik der letzten Jahre hat vor allem die Jugend getroffen: Mit rund 4,4 % des Bruttoinlandsprodukts liegt Deutschland im letzteren Drittel für Bildungsausgaben in der EU. Die Ausgaben stagnieren seit Jahren, obwohl marode Schul- und Kitagebäude, Anforderungen an den Bildungsberuf und Integration mehr Investitionen benötigen. Aus der Krankenhausbewegung gibt es den bekannten Satz „Nicht der Streik gefährdet die Patient:innen, sondern der Normalzustand“ – dieser ist auch auf den Bildungsbereich anwendbar.
Doch anstatt diese Misere anzuerkennen, sei es deutschlandweit oder in Berlin, wird von den Erzieher:innen und Lehrerkräften verlangt, die unzumutbaren Zustände auszubaden. Zum Wohl der Kinder? Doch wohl eher damit die Eltern nicht durch einen Streik gehindert werden zu arbeiten und um Geld zu sparen. Die Kitas werden – wie der öffentliche Dienst quasi überall – wie ein Unternehmen geführt mit kapitalistischen Methoden.
Ohne Streik keine Verhandlungen
Der unbefristete Streik, für den die große Mehrheit der Gewerkschaftsmitglieder gestimmt haben, wird stark von Medien und Politik angegriffen. Die Streiks werden als unverhältnismäßig, überzogen und realitätsfern beschrieben. Es wird aber auch nur am Rande erwähnt, dass ver.di seit April versucht in Verhandlungen mit dem Senat zu treten, dieser sich aber auf stur stellt und die Betreuungsmisere in seinen Eigenbetrieben nicht einmal anerkennt. Es werden fadenscheinige Begründungen geliefert warum nicht verhandelt werden könne: So würde die „Tarifgemeinschaft der Länder“ (das ist der Arbeitgeberverband) mit einem Rausschmiss drohen, wenn Berlin eigene Tarifverträge verhandelt. Doch wäre da ein politischer Wille, wäre da auch ein Weg.
Eine der komplizierten Regeln des deutschen Streikrechts verlangt eine Mindestbesetzung während der Streiktage. Als die Gewerkschaften eine solche Notdienstvereinbarung abschließen wollten, forderten die Eigenbetriebe ganz unverschämt, dass so viele Kolleg:innen während des Streiks arbeiten müssten, dass 80% der Betreuung gewährleistet sind. Das ist ein schlechter Witz, weil schon im Regelbetrieb 80 % fast nie erreicht werden. Im Streik sollen die Kinder also besser betreut werden als im Regelbetrieb – ein Grund mehr zu streiken. Diese überzogenen Forderungen der Chefs sind nichts Ungewöhnliches. Bereits bei den Streiks im Krankenhaus wurde in der Notdienstvereinbarung eine bessere Betreuung als im Regelbetrieb gefordert. Die Geschäftsführungen der Kita-Eigenbetriebe haben auch gut überlegt, wie sie die Eltern gegen die Kita-Beschäftigten aufhetzen können, und eine online-Petition gegen den Streik gestartet. In Briefen an die Beschäftigten haben sie außerdem vorgerechnet, in welcher Krise die Kitas stecken, dass ein Personalüberhang bestehe, der nicht gegenfinanziert sei und jetzt alle doch wirklich zusammen stehen müssten… Methode Angst schüren. Und vorsorglich haben sie Leiharbeiter:innen rangeholt, um den Streik zu torpedieren. Das lief bei den Streiks bei den Bahnen genauso wie bei den Krankenhäusern. Der Kita-Streik hat viele Parallelen. Es geht gar nicht spezifisch um die eine oder andere Berufsgruppe. Die Arbeitenden sollen einfach nicht auf die Idee kommen, dass man kollektiv die eigene Situation verbessern könnte. Daher: Was bleibt den Kolleg:innen außer Streik, wenn die Geschäftsführungen und die Berliner Politik nicht hören wollen?
Streikrecht? Aber bitte nicht zu viel …
Das Streikrecht in Deutschland ist kompliziert und hat wunderliche Regeln, über die viele Unternehmensanwält:innen, Professor:innen und Richter:innen sehr viel nachgedacht haben. Dazu gehört, dass während des Bestehens eines Tarifvertrages (also wenn sich Gewerkschaften und Arbeitgeberverband über ein Thema geeinigt haben) nicht gestreikt werden darf. Das nennt sich „Friedenspflicht“. Was die Geschäftsführungen nicht davon abhält, währenddessen Stellen einzusparen und Arbeitsbedingungen zu verschlechtern. Aber im Gestrüpp der immer komplexeren Tarifverträge lässt sich sicher irgendwo eine „Friedenspflicht“ herzaubern. Mit diesem Argument hat jetzt das Landesarbeitsgericht den Streik verboten. Mit welchem Recht sitzen da eine Handvoll Richter:innen und treffen eine so weitreichende Entscheidung? Eine große Mehrheit stimmt für Streik und eine winzige Minderheit entscheidet, dass das zu verbieten ist? Das ist völlig undemokratisch und ein Angriff auf die Arbeiter:innenklasse. Es ist bezeichnend, dass dies gerade in einer Zeit passiert, in der wieder vermehrt über die Einschränkung des Streikrechts diskutiert wird. Die Geschäftsführungen der Kita-Betriebe und der Berliner Senat haben jedenfalls den Beschäftigten und den Kindern in Wahrheit den Krieg erklärt. Die sozialen Probleme spitzen sich immer weiter zu in unserer Gesellschaft und das ist die Antwort der Politik und Bosse: Streikrecht einschränken, Rassismus, Spaltung und die Aufforderung, den Gürtel immer enger zu schnallen. Aber die Ursache sind weder Streikende, noch Migrant:innen oder die Armen in unserer Gesellschaft! Es ist der Kapitalismus, der diese Probleme hervorbringt und immer weiter verschärft.
Solidarität mit dem Kita-Streik! Jetzt erst Recht!
Trotz der medialen Hetze gibt es viel Solidarität. Eltern, Lehrer:innen oder andere Kolleg:innen sozialer Berufe: Sie alle erleben die tägliche Misere und unterstützen den Streik! Es haben sich Eltern in der Initiative „Einhorn sucht Bildung“ zusammengetan. Am 27. September gab es eine Demonstration der Initiative. Die Personalversammlung der Lehrkräfte in Neukölln hat ein großes Solidaritätsfoto gemacht und „Care Revolution Berlin“ versucht verschiedene Initiativen zu vernetzen. Bei anderen Kita-Trägern sieht es doch mit den Bedingungen auch nicht besser aus. Entlastung ist ein Thema, welches uns alle betrifft und deswegen ist die Solidarität so wichtig. Für die Kita-Beschäftigten stellen sich jetzt viele Fragen: Die erste ist, wie es weitergeht. Um Verhandlungen betteln ist jedenfalls eine schlechte Option. Man kann sich schlecht vorstellen, dass die Kita-Beschäftigten, die jeden Tag so viel Energie und Kreativität bei der Betreuung der Kinder an den Tag legen, nicht auch viele Ideen entwickeln, um sich Gehör zu verschaffen für die eigenen Forderungen. Und ganz sicher gibt es dabei viele Verbündete.
Paula Anders und Sabine Müller, Berlin