House of Kurz – oder: was im Kapitalismus hinter den Kulissen passiert

Anfang Oktober ist Sebastian Kurz dann doch als Bundeskanzler Österreichs zurückgetreten –  oder besser gesagt, zur Seite getreten: er bleibt Partei- und Klubobmann. Die jüngst veröffentlichten Chatnachrichten, in denen Kurz‘ engste Mitstreiter die systematische Manipulation von Umfragen und gekaufte Zeitungsberichte besprechen, war es dann doch zu viel. Wir werfen einen Blick auf Aufstieg und Fall des Sebastian Kurz und diskutieren, was das über die bürgerliche Demokratie verrät.

 Kurz` Aufstieg in der Österreichischen Volkspartei (ÖVP) begann vor mehr als zehn Jahren. Er studierte Jura und trat der Jungen Volkspartei (JVP) bei, deren Vorsitz er bald übernahm. 2011 wurde er mit 24 Jahren zum Staatssekretär für Integration. 2013 stieg er zum Außen­minister auf und feilte weiter an seinem Image als junger Politiker neuen Stils. Die Umfragewerte und Wahlergebnisse der ehemals dominierenden Groß­parteien SPÖ und ÖVP, die seit 2008 auch gemeinsam die Regierungen stellten, deuteten weiter nach unten. Kurz sollte das mit einem „Neustart“ ändern.

„Projekt Ballhausplatz“

Gemeinsam mit einem Kreis loyaler Mit­streiter und Karrieristen wurde das „Projekt Ballhausplatz“ geschaffen: ein ausgearbeiteter Plan, wie Kurz die Macht in der ÖVP übernehmen, Neuwahlen vom Zaun brechen und aus diesen als neuer Bundeskanzler hervorgehen soll (die Dokumente wurden später geleakt). Aus der schwarzen ÖVP wurde die türkise Neue Volkspartei, damit einher gingen weitreichende Vollmachten für Kurz selbst. Die ÖVP inszenierte sich in einem pompösen Wahlkampf als junge, neue Bewegung. Die rassistischen Parolen der FPÖ wurden übernommen, aber mit einem freundlicheren Gesicht versehen.

FPÖ, Ibiza und Grüne

Nach den Wahlen kam es wenig über­raschend zur Bildung einer Rechtsaußen Koalition aus ÖVP und FPÖ, die gegen Migrant:innen und „Sozial-schmarotzer:innen“ hetzte und Politik machte. Dazu gab es Gesetze und Steuererleichterungen für Reiche und Großunternehmen – die Groß­spender:innen des teuren Kurz-Wahlkampfs wurden dankend bedient. Die Koalition endete nach der Veröffent­lichung des Ibiza-Videos, in dem FPÖ-Vizekanzler HC Strache Ideen wälzte, wie er von Reichen und Konzernen Geld­geschenke organisieren und das rechte Boulevardblatt Kronen Zeitung kaufen will. Was damals zu breiter Empörung führte, wirkt heute, angesichts der un­zähligen Chats und Aktionen von Kurz‘ türkiser Truppe, wie eine Kinderjause peinlicher Amateure. Während die FPÖ bei den folgenden Neuwahlen abstürzte, konnte Kurz` ÖVP weiter zulegen und vor allem enttäuschte FPÖ-Wähler:innen für sich gewinnen.

Anfang 2020 wurde die Koalition aus ÖVP und Grünen angelobt, die im        We­sentlichen die rassistische und autoritäre Politik der türkisen ÖVP fort­setzte, aber vorgab auch eine ökologische Wende herbeiführen zu wollen (siehe den Artikel auf Seite 16). Bereits nach wenigen Wochen wurde die Pandemie zum beherrschenden Thema. Während die Krankenhäuser und Schulen bis heute auf mehr Personal und bessere Arbeitsbedingungen warten, wurden große Unternehmen mit allerlei groß­zügigen Förderungen bedacht.

Ibiza U-Ausschuss

Wirklich spannend wurde es durch den parlamentarischen Ibiza-Untersuchungs-ausschuss „betreffend mutmaßliche Käuflichkeit der türkis-blauen Bundes-regierung“, der im Juni 2020 seine Arbeit aufnahm. Ging es zu Beginn um das Ibiza-Video mit HC Strache, lag der Fokus sehr bald auf den Türkisen und ihren Netzwerken. Die Er­mittlungen der Wirtschafts-Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) und die Enthüllungen im U-Ausschuss drangen immer weiter ins türkise Machtzentrum um Kurz und seine engsten Vertrauten vor. Über Monate kam es zu etlichen Hausdurch­suchungen, der Beschlagnahmung von Handys und anderer Datenträger sowie der Sicherstellung von E-Mails. Ein Teil davon fand seinen Weg in Zeitungen und wurde so breit bekannt.

In diesen Chats wurde allerhand ersicht­lich. So bat der Chef des Glücksspiel­konzerns Novomatic um einen Termin bei Kurz „1) wegen Spende 2) wegen des Problems, das wir in Italien haben“ (mit drohenden Steuerrückzahlungen). Be­hauptete Strache im Ibiza-Video noch „Die Novomatic zahlt alle!“ tauchten nun Belege für Spenden der Novomatic an zahlreiche parteinahe Vereine und Per­sonen auf. Zum Beispiel auch an ein Or­chester, dass vom ÖVP-Mann Wolfgang Sobotka geleitet wird, der als erster Nati­onalratspräsident auch den Vorsitz des Ibiza-U-Ausschusses übernahm – einen Interessenskonflikt sieht er bis heute nicht … Die offene Steuernachzahlung von Novomatic in Österreich (300 Mio. Euro) wurde von diversen ÖVP-Finanzministern auch nie eingetrieben …

Die Chats zeigten auch wie Thomas Schmid zum gut bezahlten Chef der staatlichen ÖBAG gemacht wurde – mit einer auf ihn maßgeschneiderten Stellenausschreibung. Scheinbar als Dank für seine vielfältige und loyale Un­terstützung des türkisen Projekts. So schrieb Schmid an Kurz: „Ich bin einer deiner Prätorianer [kaiserliche Schutz­garde] der keine Probleme macht son­dern löst.“ In Bezug auf Schmids ÖBAG-Posten versicherte Kurz: „Du kriegst eh alles was du willst“ – worauf Schmid ant­wortet: „Ich bin so glücklich. Ich liebe meinen Kanzler.“ Und Gernot Blümel (Kurz-Vertrauter und Finanzminister) lässt Schmid wissen: „Du bist Familie“.

Angriffe auf Justiz und Medien

Kurz und Konsorten ließen trotz erdrü­ckender Beweislage keine Möglichkeit aus, um die Untersuchungen und Er­mittlungen zu delegitimieren. Die WKStA wurde als „linkes, rotes Netz­werk“ verunglimpft und es war perma­nent von einer angeblichen „medialen Vorverurteilung“ die Rede. Beschuldigte der ÖVP und aus ihrem Umfeld fielen im U-Ausschuss durch umfangreiche Aus-sageverweigerungen und Erinnerungs-lücken auf – Finanzminister Blümel konnte sich über 80 mal „nicht erinnern“ und be­hauptete, gar keinen Laptop zu haben (um ihn nicht aushändigen zu müssen). Auf seinem Instagram-Account finden sich Bilder, wo er arbeitend am Laptop zu sehen ist, und als es zu einer Hausdurch­suchung an seiner privaten Wohn­adresse kam, verließ seine Frau mit sei­nem Laptop (verstaut im Kinderwagen) das Haus. Blümel weigerte sich auch wo­chenlang, dem U-Ausschuss Mails und Unterlagen aus seinem Finanz­ministerium zu liefern – erst nach einem Urteil des Verfassungsgerichtshofs und dessen Exekution durch den Bundes­präsidenten wurde geliefert: allerdings nur unvollständig und ausgedruckt auf tausenden Seiten Papier (was die Arbeit des U-Ausschusses natürlich erschwerte).

Hier geht es offensichtlich darum, Dinge zu verschleiern und die Ermittlungen zu erschweren – etliche weitere Aktionen in diese Richtung bleiben aus Platzgründen hier unerwähnt. Diese Angriffe gegen die WKStA und die Justiz im Allgemeinen sind aber auch Teil des autoritären Pro­jekts der türkisen ÖVP, die ihre Kontrolle über den Staatsapparat, Justiz und Medien ausbauen und festigen möchte.

Das lässt sich auch im Bereich der Medien nachvollziehen. Presseför­derungen und Inseratenvergabe durch Ministerien und Bundeskanzleramt pri­vilegier(t)en ganz klar rechte, ÖVP-freundliche Boulevardmedien, kritischere Medien sollen strategisch ausgehungert werden. Im jüngsten Skan­dal, der zum Rücktritt von Kurz führte, wird ersichtlich wie offen und direkt das funktioniert – Schmid schreibt in einem Chat stolz: „So weit wie wir bin ich echt noch nie gegangen.“ In der Tageszeitung Österreich wurden systematisch manipu­lierte Umfragen veröffentlicht und Be­richte direkt beim Zeitungschef Wolf­gang Fellner bestellt – im Gegenzug für Inserate. Kurz` Medienbeauftragte dik­tierten der „Meinungsforscherin“ Sabine Beinschab, was sie im Interview über be­stimmte „Umfragen“ sagen soll. Schmid bezeichnet sich auch als „Mr. Umfrage“ und freut sich: „Damit haben wir Um­fragen & Co im besprochenen Sinne :-))“.

Und jetzt?

Die jüngsten Veröffentlichungen dieser Chatnachrichten waren erstmal doch zu viel. In der Bevölkerung, bei den Grünen und auch ÖVP-intern stieg der Druck auf Kurz und sein Umfeld. Wie es nun wei­tergehen wird, ist offen. In diesem Arti­kel fand nur ein Bruchteil der bisher be­kannten Chats und Ermittlungs­ergebnisse Platz. Und wir können davon ausgehen, dass noch etliche Chatnach­richten und Ermittlungsergebnisse ver­öffentlicht werden und der Druck weiter steigen wird. Die Grünen setzen ihre Zu­sammenarbeit mit der ÖVP – wie schon nach allen vorherigen Skandalen – den­noch weiter fort.  Auch wenn es schwer zu glauben ist, heißt es im bürgerlichen Staat: Für alle Beteiligten gilt die Un­schuldsvermutung.

Die Skandale um die türkise ÖVP zeigen eines: Im Kapitalismus ist es ganz nor­mal, dass die herrschende „Familie“ hin­ter den Kulissen die Umgestaltung der Gesellschaft zu ihren Gunsten plant. Wir sollten hingegen ganz offen planen, wie wir eine Welt im Interesse der Arbeiten­den schaffen können.

Johannes Wolf, Wien

Links dazu:

https://www.sozialismus.net/2021/03/16/wer-spendet-schafft-an-ueber-den-oesterreichischen-korruptionssumpf/

Dokumentation der Chatprotokolle,  Ta­geszeitung Der Standard

https://www.derstandard.at/story/2000130406824/dokumentiert-die-chat-protokolle-der-causa-kurz?ref=rec

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