Ein lauwarmer Herbst

Nicht nur die Temperaturen waren aufgrund des Klimawandels diesen Herbst höher als gewöhnlich, auch die sogenannte Herbstlohnrunde brachte Unternehmen mehr ins Schwitzen als sonst. Ein heißer Herbst ist es allerdings wieder einmal nicht geworden. Die Führungen der Gewerkschaften feiern die Kollektivvertrags1-Abschlüsse in diversen Branchen als Riesenerfolge. Ein realistischer Blick zeigt jedoch: den meisten Arbeitenden stehen kurz- und langfristig deutliche Reallohnverluste ins Haus. Zudem wurde wieder einmal eine Chance, die Kampffähigkeit der Arbeiter:innenklasse zu stärken, bewusst in den Sand gesetzt. Ein Überblick und eine Bilanz.

Am Beginn der KV-Verhandlungen einigen sich Gewerkschaft und Wirtschaftskammer2 auf die sogenannte „rollierende Inflation“ (die Inflation der letzten zwölf Monate). Für ihre Lohnforderungen verwendet die Gewerkschaft dann die sogenannte Benya-Formel3: rollierende Inflation plus gesamtwirtschaftliches Produktivitätswachstum. Das implizite Ziel ist Verteilungsneutralität, also eine konstante Lohnquote. Man will der Wirtschaft weder durch zu hohe Löhne noch durch zu niedrige Löhne (sinkende Konsumnachfrage) schaden. Der Österreichische Gewerkschaftsbund (ÖGB) ist schließlich ein verantwortungsvoller Sozialpartner, der sich um die Stabilität des österreichischen Kapitalismus sorgt – und kein Verein wild gewordener Klassenkämpfer:innen!

Lasst die Spiele beginnen …

Traditionell haben auch dieses Jahr „die Metaller“ die Herbstlohnrunde „eröffnet“. Ihr Abschluss dient anderen Branchen üblicherweise als Richtschnur, wobei meist niedriger abgeschlossen wird als in der Metallindustrie. Die Verhandlungsgrundlage war eine Inflation von lächerlichen 6,3 % – mit der „Kampfansage“ deutliche Reallohngewinne erzielen zu wollen, also über „der Inflation“ abzuschließen. Nach etlichen Verhandlungsrunden und österreichweiten Betriebsversammlungen, auf denen der Weg für Streiks geebnet wurde, gab es am 4. November schließlich eine Einigung: 5,4 % plus 75 € pro Monat (in allen Gehaltsstufen), Laufzeit 12 Monate. Addiert ergibt das für untere Einkommensgruppen bis zu 8,9 % Lohnplus. Neben der Freude über dieses Ergebnis, das weit unter der aktuell realen Inflation liegt, konnte die Gewerkschaftsführung wieder mal froh verkünden, dass die für den 5. November geplanten Warnstreiks „abgewendet“ werden konnten.

Der Nächste bitte

Auch wenn Gewerkschaften vorher bereits angekündigt hatten, dass die diesjährigen KV-Verhandlungen, aufgrund der hohen Inflation, besonders schwierig werden würden, verhandelte jede Branche wie gehabt für sich. Statt mit vereinten Kräften zu kämpfen, war das Motto wieder einmal, mit geteilten Schwächen ohne wirklichen Kampf abzuschließen. So zumindest in den Bereichen Öffentlicher Dienst, Reinigung, Friseur:innen. Im gewerkschaftlich schwach organisierten Handel gab es Betriebsversammlungen. Im SWÖ-KV (siehe Kasten) gab es immerhin öffentliche Betriebsversammlungen und Demonstrationen. Im Bereich Telekom und Ordensspitäler kam es zu einmaligen Warnstreiks, Eisenbahn und Brauereien streikten gar für 24 Stunden. Bei der Bahn gab es das das letzte Mal vor rund 20 Jahren! Die Verhandlungen wurden unabhängig voneinander geführt, obwohl an einigen Tagen sogar Protestmaßnahmen mehrerer Bereiche stattfanden. Für wirklich gemeinsame Kämpfe fehlt(e) die Phantasie und der Wille. Für österreichische Verhältnisse war das ein scheinbar außergewöhnlich kämpferischer Herbst –aber angesichts der massiven Preissteigerungen noch immer viel zu kühl und vor allem inkonsequent.

Auf die einzelnen Abschlüsse kann hier aus Platzgründen nicht eingegangen werden, eine detaillierte Erläuterung ist aber auch schon alleine aufgrund der Unübersichtlichkeit mancher Abschlüsse schwierig. Die prozentualen Lohnerhöhungen bewegen sich meist zwischen 7 und 10 %. In vielen Branchen gibt es eine Erhöhung um einen fixen Mindestbetrag, der für untere Einkommensgruppen stärkere Erhöhungen bringt. Einzelne Abschlüsse sind mehrjährig und/oder sehen schrittweise Erhöhungen vor.4 In einigen Verhandlungen, die später als die Metaller starteten, legte die Gewerkschaft bereits eine höhere rollierende Inflation als die 6,3 % der Metallindustrie zugrunde.

Auf den ersten Blick wirken viele der Abschlüsse gar nicht schlecht, sie liegen aber wohl alle unter der realen Inflationsrate – und 2023 werden die Preise nicht sinken. Dennoch wurde am Konzept der rollierenden Inflation festgehalten, selbst als die Preise ständig weiter nach oben schnellten. Hinzu kommt, dass in vielen Branchen, vor allem in den unteren Einkommensgruppen, schon vor der aktuellen Rekordinflation die Gehälter viel zu niedrig waren. Von anderen Problemen wie Personalmangel, dauerhaft zu hoher Arbeitsbelastung oder hoher Fluktuation in den Belegschaften gar nicht zu reden… Etliche Branchen und Kolleg:innen fahren seit Jahren am absoluten Limit – für sie bedeuten diese Abschlüsse keinerlei Verbesserung, sondern nur, dass ihre Reallohnverluste nicht noch höher ausgefallen sind!

Klassenkampf statt Sozialpartnerschaft!

Nach dem kampflosen Start im Metall-KV sorgten die anderen Branchen mit (angedrohten) Streiks, Betriebsversammlungen und Demonstrationen für etwas Bewegung. Ein Aufbruch oder eine Trendwende in den Gewerkschaften ist das aber keine. Die Gewerkschaftsbürokratie feiert ihre „Erfolge“ in selbstzufriedener Genügsamkeit und lobt die „intakte“ Sozialpartnerschaft, also dass sie selber noch was zu sagen, sowie gut bezahlte Jobs und die Kontrolle hat. In allen Branchen wurde abgeschlossen ohne das tatsächliche Kampfpotential auszuschöpfen, häufig ganz klassisch am Tag vor geplanten Warnstreiks. Die Belegschaften sind der Gewerkschaftsführung doch am liebsten als stille Verschiebemasse – das Risiko, dass sich unter den Arbeiter:innen in Streiks und Versammlungen eine eigenständige kämpferische Dynamik entwickelt, soll unbedingt vermieden werden. Deswegen sollen die Verhandlungen in verschiedenen KVs und Branchen auch weiterhin isoliert und unkoordiniert stattfinden. Das Ziel ist eine Verwaltung des eigenen Niedergangs und von jenem des Krisenkapitalismus. Die Gewinnung von neuen, zahlenden Mitgliedern mittels pseudo-radikaler Rhetorik und oberflächlichen „Erfolgen“ ist dafür das Mittel der Wahl. Im Windschatten dieser abgehobenen Selbstbemitleidung formieren sich aber größere und kleinere Initiativen und Gruppen von Kolleg:innen, die sich für eine selbstorganisierte, demokratische und kämpferische Ausrichtung vernetzen und organisieren.

SWÖ, Arbeitszeitverkürzung und die Linke

In der Sozialwirtschaft Österreich, dem privatwirtschaftlich organisierten Gesundheits- und Sozialbereich, fielen die Lohnerhöhungen mit zumindest 175 Euro pro Monat mitunter am Höchsten aus. Das ist auch der Bereich in dem kämpferische und linke Aktivist:innen am meisten Einfluss haben.5 Seit Jahren wird von diesen die Forderung nach einer Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich aufgestellt – zusätzlich zur Inflationsabgeltung. Eine erste Reduktion auf 37 Stunden ist in diesem Jahr umgesetzt worden. In den aktuellen Verhandlungen konnte keine weitere Verkürzung erreicht werden, am Tag vor geplanten Streiks wurde, trotz der Gegenstimmen linker Betriebsrät:innen, abgeschlossen.

Auch im kleinen Kollektivvertrag Werbung und Marktkommunikation, der nur für Wien gilt, gab es am Abend vor bereits organisierten Betriebsversammlungen einen Abschluss. Dabei wurde nur eine geringe Inflationsabgeltung von ca. 6 % ausverhandelt, zusätzlich eine Reduzierung der Vollzeitwochenarbeitszeit um 3,75 % (ca. 1,5 Std.), was für Teilzeitkräfte weitere 3,75 % Lohnerhöhung bedeutet. In der Linken wurde der Abschluss teilweise begrüßt oder sogar abgefeiert. Für Beschäftigte, die auf ein Vollzeitgehalt angewiesen sind, bedeutet der Abschluss Arbeitsverdichtung und Reallohnverlust. Hier darf den Chefs nicht auf den Leim gegangen werden, wenn sie die Beschäftigten für Arbeitsverdichtung auch noch zur Kasse bitten.

Johannes Wolf, Wien

1 In Österreich: Kollektivvertrag (KV), in Deutschland wird gesagt: Tarifvertrag (TV)

2  Halbstaatlicher Verband der Unternehmen/Arbeitgeber

3  Nach Anton Benya: über 20 Jahre Präsident des ÖGB, 15 Jahre Nationalratsabgeordneter der SPÖ und Nationalratspräsident, Träger des Großen Goldenen Ehrenzeichens der Republik Österreich und unzähliger weiterer Orden

4  Ein unkritischer Überblick findet sich hier: https://www.oegb.at/kollektivvertrag2022

5  Siehe dazu:

    http://sozialabernichtbloed.blogspot.com/

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