Volksentscheide zu Klimaneutralität – Ist Klimaschutz wählbar?

Der letzte IPCC-Bericht hat erneut gezeigt, wie dringend es eine wirkliche Wende in der Klimapolitik braucht. Eine solche wollte der Klima-Volksentscheid in Berlin im März erzwingen, ist jedoch gescheitert. Im Juni sind nun alle Schweizer:innen aufgerufen, für „mehr Klimaschutz“ abzustimmen.

Am 26. März wurde in Berlin der Volksentscheid „Berlin 2030 klimaneutral“ abgestimmt. Mit 442.000 Ja-Stimmen befürwortete eine knappe Mehrheit der Teilnehmenden die Initiative. Allerdings wurde das notwendige Quorum (die Beteiligung) nicht erreicht, damit der Volksentscheid gültig ist. Offenbar ist es nicht gelungen, genug Menschen zur Abstimmung beim Volksentscheid zu mobilisieren. Auf der politischen Ebene fiel das Projekt des Volksentscheids dadurch auf, dass die Finanzierung der hohen Ziele ungeklärt blieb. Das Projekt war so kalkuliert, dass es mit der bestehenden Politik einigermaßen kompatibel sein sollte. Aber gerade die Frage, wer die Zeche zahlen soll, haben die Gegner:innen des Gesetzentwurfs angepackt! Die karikaturhafte Argumentation für ein „Nein“ klang manchmal wie ein schlechter Scherz: „620.000 Berliner müssten bis 2030 auf ihr Auto verzichten und dieses gegen ein Fahrrad eintauschen“. Diese Propaganda setzte auf populistische Töne, wie sie von der AfD (Alternative für Deutschland) schon länger propagiert werden.

Eine Wahl zwischen “schlecht“ und „schlechter“?

Der Gegensatz kam kurz vor dem Volksentscheid bei einer bekannten Aktivistin von Fridays for Future in einem Video zum Ausdruck, wo sie erklärte, dass … „natürlich […] Klimaschutz aufwendig und teuer“ sei, aber „die Klimakrise im Vergleich“ noch schlimmer. So war die Logik des Projekts alles in allem gut zusammengefasst. Und nach so einem Wahlkampf haben die ärmeren Wahlbezirke Berlins eher mit „Nein“ gestimmt, die reichsten Bezirke hatten eine höhere Beteiligung und stimmten eher mit „Ja“. Laut prominenten grünen Landesvorsitzenden zeigt das Scheitern des Volksentscheids, „dass die nötige Veränderung […] Ängste auslöst“. „Ängste“ steht hier als typische Abwertung der Politik gegenüber dem Misstrauen der Bevölkerung. Die zahlreichen „Nein“-Stimmen sind zwar keine gute Nachricht, aber die Bevölkerung, die seit gut einem Jahr die Politik der Bundesregierung (mit Beteiligung der Grünen) erlebt, hatte auch gute Gründe, den Volksentscheid misstrauisch zu sehen.

Wer bezahlt?

Solange nicht klargestellt wird, dass die Reichen die notwendige ökologische Transformation von Industrie, Infrastruktur und Gesellschaft zahlen sollen, werden konservative Kräfte einen Teil der Bevölkerung gegen die nötigen Maßnahmen mobilisieren können. In der Schweiz wird gerade der Wahlkampf gegen die Klimaneutralität von der rechtspopulistischen Schweizerischen Volkspartei geführt, mit dem Argument, die Bevölkerung vor dem „Wahnsinn der rot-grünen Linken“ zu schützen. Gegen die Scheinheiligkeit der bürgerlichen Parteien, egal ob rechts, rot oder grün, muss klar dargestellt werden, wie Klimakrise und Ausbeutung eng zusammenhängen. Dem Kapitalismus ein Ende zu setzen mag eine riesige Aufgabe bedeuten. Aber die Klimakrise lässt sich weder leichter noch schneller lösen, als die wirtschaftliche Struktur der Gesellschaft sich ändern lässt. Das Verhältnis der Menschheit mit der Natur hängt mit dem Verhältnis der Menschen untereinander zusammen: Solange beide auf Ausbeutung beruhen, bleiben wir ohne Zukunft. Sowohl Wahlen wie Volksentscheide – die jetzt infolge zahlreicher Krisen immer öfter in Betracht gezogen werden – sind unfähig das Problem zu lösen. Auch wenn sie die soziale Realität widerspiegeln, können Wahlen oder Volksentscheide nicht das nötige Kräfteverhältnis aufbauen. In dieser Ausgabe der Aurora berichten wir über zahlreiche Situationen, in denen Beschäftigte durch Streiks und Demos das Wort ergreifen. Der Weg gegen die Klimakatastrophe muss auch einen solchen Weg einschlagen!

Lorenz Wassier, Berlin

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