Deutschland hat sich seit den 90er Jahren zwar verstärkt aber eher „diskret“ an militärischen Einsätzen beteiligt. Die von Bundeskanzler Scholz mit Beginn des Krieges in der Ukraine verkündete „Zeitenwende“ ist der Anfang einer Beschleunigung und Ausweitung der Kriegseinsätze der Bundeswehr. Seit der Niederlage der Wehrmacht war die Kriegsrhetorik nie so scharf wie jetzt. Wie weit sind wir schon?
Die Ankündigung des 100-Milliarden-Aufrüstungsprogramms war für Scholz ein gewisses Wagnis, denn sie stand im Gegensatz zur Stimmung in der Bevölkerung, die mehrheitlich gegen Aufrüstung war. Das Stänkern der CDU in den letzten Tagen, der die ersten konkreten Pläne der Bundesregierung nicht weit genug zugunsten der Bundeswehraufrüstung gingen, bedeutete genau genommen Rückenwind für Scholz‘ Programm. Die Mega-Koalition aus SPD, Grünen, FDP und CDU ist sich schließlich handelseinig geworden: das Grundgesetz wurde geändert und die 100 Milliarden fest als „Sonder-vermögen“ reingeschrieben, so dass die Rüstungskonzerne sicher mit milliardenschweren Aufträgen planen können.
Ob Luftwaffe oder Landstreitkräfte, das Geld wird in die Luft gejagt
Künftig sollen so jedes Jahr 2 % des Bruttoinlandsproduktes, mehr als 70 Milliarden Euro, für die Bundeswehr eingeplant werden, was ein fetter Anstieg ist. Dafür sollen sowohl das 100 Milliarden-Sondervermögen als auch der allgemeine Bundeshaushalt angezapft werden. Finanzminister Lindner von der FDP ist auch zufrieden, denn für das „Sondervermögen“ der Bundeswehr wird der Staat zwar neue Schulden machen (volle Zustimmung von Lindner), aber sonst bleibt es bei der „Schuldenbremse“ im Grundgesetz. Das heißt für den Öffentlichen Dienst und Soziales dürfen keine Schulden gemacht werden, was nach Logik der FDP und der anderen Parteien (die auf keinen Fall Konzerne und Superreiche besteuern wollen) bedeutet: Dafür ist dann kein Geld da. Die Einkaufsliste der SPD-Verteidigungsministerin ist voll modernster Militärtechnik, darunter US-Tarnkappenjets F-35, mit denen sich Atomsprengköpfe transportieren lassen, und bewaffnete Heron TP-Drohnen.
Deutschland bleibt bislang im Verhältnis zu seiner Wirtschaftsmacht militärisch noch wenig engagiert. Aber Scholz hat Visionen und erklärte gegenüber der Presse, Deutschland werde in Europa bald über die größte konventionelle Armee im Rahmen der NATO verfügen. Das Aufrüstungsprogramm passiert in beängstigendem Tempo.
Neu ist auch, dass Deutschland offen (und nicht nur versteckt wie bisher) Waffen in Kriegsgebiete liefert, denn nichts anderes passiert in Bezug auf die Ukraine. Zur Frage, was genau da geliefert wird und vor allem wann, gibt es fast täglich widersprüchliche Aussagen in der Presse. Mit der neuesten Ankündigung von Scholz, dass High-Tech-Flugabwehrsysteme geliefert werden, sehen wir eine Eskalation, die vor wenigen Monaten unvorstellbar schien. Deutschland hat der Ukraine auch Milliardenkredite zugesagt, damit sie bei deutschen Rüstungsfirmen Waffensysteme kaufen können. Aber was, wie viel? Waffengeschäfte waren noch nie besonders transparent. Doch in Bezug auf Ukraine-Geschäfte hat die Bundesregierung nun das letzte bisschen Scheindemokratie abgelegt und ausdrücklich die „kommerziellen Kriegswaffenausfuhren“ besonders strenger Geheimhaltung unterworfen. Die Bundesregierung nennt das „Sicherheit“. Für wen?
Direkte Kriegseinsätze … auch das geht voran
In Bezug auf die Ukraine versucht die Bundesregierung noch den Schein zu wahren, nicht direkter Beteiligter zu sein. Aber anderswo ist die Bundeswehr längst an Einsätzen beteiligt: mal unter dem Etikett der UNO, mal der EU. Schwer zu wissen, was sich hinter den wechselnden Einsätzen und „Operationen“ wirklich verbirgt. Die offizielle Zahl der beteiligten Soldat:innen scheint niedrig und die geringe Beteiligung Deutschlands löst immer wieder Vorwürfe bei NATO-Partnern aus. Aber der Anteil der Bundeswehr mit ihrer Luftwaffe, Kriegsschiffen und Logistik ist nicht zu vernachlässigen. Ohnehin spielen bei der NATO längst Strategien des „kleinen Fußabdrucks“ oder „remote control“ eine größere Rolle: Einsatz flexibler Spezialkräfte, Drohnen, private Sicherheitsfirmen und Ausbildung von Soldat:innen vor Ort, die die Drecksarbeit machen. Auf ihrer Website listet die Bundeswehr Einsätze unter anderem im Irak, Südsudan, Mali, Baltikum, im Mittelmeer (gegen Flüchtlinge), im Libanon (der UNIFIL-Einsatz wird von einem deutschen Admiral geführt) und in Litauen auf (seit 2017 die „Ostflanke der NATO“ gegen Russland), wo Deutschland die Führung der Battle Group innehat. Gleichzeitig hat Deutschland eine zentrale Rolle bei der 2014 aus Anlass der Annexion der Krim durch Russland ins Leben gerufenen speziellen Eingreiftruppe der NATO (Very High Readiness Joint Task Force), für die von 2022 bis 2024 insgesamt mehr als 16.000 Soldat:innen aus Deutschland bereitgestellt werden. Diese Truppe übt gerade den Krieg in Niedersachsen in einem der vielen NATO-Manöver. Ein deutscher Brigadegeneral lobte die diesmal besonders auffällige Ernsthaftigkeit der Soldat:innen und dass die Beschaffung von Material dieses Mal so einfach sei, man habe Rückenwind…
Imperialistische Kriege werden nicht nur an einer Front geführt. Scholz war gerade in Senegal, Niger und Südafrika, nachdem Baerbock und Lambrecht vor einigen Wochen schon in Mali und Niger waren. Da Frankreich sich entschieden hat, Mali militärisch zu verlassen, hat Deutschland dort die Hauptrolle übernommen. Der Bundestag hat gerade den Bundeswehreinsatz in Mali bei der MINUSMA unter der Fahne der UNO für ein Jahr verlängert und die Obergrenze von 1.100 auf 1.300 Soldat:innen erhöht. Die ausländischen militärischen Einsätze in den Nachbarländern Burkina Faso und Niger sind auch sehr lebendig. Die Sahelzone ist bereits seit 2013 von Militär aus den USA, Frankreich, aber auch Deutschland überschwemmt, alles unter der Fahne des „Anti-Terrorkampfes“. So ist die Bundeswehr schon lange unter der MINUSMA-Flagge auch in Nigers Hauptstadt aktiv und sichert den logistischen Lufttransport zusammen mit Frankreich. Die Bundeswehr bildet zudem nigrische Spezialkräfte aus.
Weil die frühere Kolonialmacht Frankreich bei vielen Menschen der Region verhasst ist und die Deutschen „diskreter“ und „neutraler“ erscheinen, eignen sie sich besser dafür, den Polizisten in der rohstoffreichen und strategisch wichtigen Region zu spielen. Sind die Operationen der Bundeswehr im Sahel also ein Erfolg? Laut Bundesregierung ja. Doch die Attacken verschiedener bewaffneter Milizen, vor allem islamistischer Gruppierungen, nehmen seit Jahren zu und terrorisieren die Bevölkerungen. Gerade haben Dschihadisten wieder ein Massaker in Burkina Faso angerichtet. Den malischen Streitkräften wird vorgeworfen, Ende März ein Massaker an Zivilisten mit 300 Toten verübt zu haben. In den Bevölkerungen gibt es einen Mix aus leeren Hoffnungen, dass ausländische Kräfte Schutz bieten könnten, und gleichzeitig Wut über deren Dominanz. Es gibt immer mal wieder Proteste gegen die ausländischen Besatzungstruppen.
Auch Russland und China erscheinen seit kurzer Zeit auf dem afrikanischen Kontinent. Was Russland angeht, ist deren Aktivität nicht nur wirtschaftlich, sondern auch militärisch. Das hat zum Beispiel in der Sahelzone etwas geändert: die Wagner-Group, ein Netzwerk russischer privater Sicherheitsfirmen, ist aktiv. Angesichts drohenden Hungers verhandelt Mali direkt mit Russland über Getreidelieferungen. Ein Faktor, der die EU und die USA stört, die weiterhin die Oberhoheit für sich beanspruchen. Die Bevölkerung der Sahelzone findet sich nun zunehmend wieder im Kräftemessen großer Wirtschaftsverbände. Gewalt und Not haben immer die Beziehungen Afrikas mit den Großmächten gekennzeichnet. Und Deutschland ist bereits jetzt Teil dieses permanenten Kriegszustands, mal mit eigenen Interessen, mal zur Unterstützung von Partnern, aber immer für imperialistische Ziele. Schluss damit!
03.06.2022
Sabine Müller und Lorenz Wassier, Berlin
Zu Hintergründen des Bundeswehreinsatzes in Mali siehe auch: https://www.sozialismus.click/soldatinnen-der-deutschen-bundeswehr-und-des-oesterreichischen-bundesheeres-in-mali-warum-wofuer/ bzw. Aurora Ausgabe 23