Der „Bruch der Ampel-Regierung“ war lange angekündigt. Eine Überraschung war das nicht mehr. Überrascht sein konnte man vielleicht vom Timing, gleich so schnell nach der Wahl von Trump in den USA. Aber alles ist kalkuliert. Die Entlassung des FDP-Finanzministers Lindner durch den SPD-Bundeskanzler Scholz war bereits der erste Akt im großen Wahlkampftheater, das uns nun in den nächsten Monaten droht.
Scholz erklärte staatsmännisch und zugleich „echt wütend“ und entschlossen wie nie, dass es ihm nur um die Wirtschaft gehe, die auf der Stelle trete und Unterstützung brauche und es gehe auch um Arbeitsplätze. Und um die Sicherheit Deutschlands, weswegen erheblich mehr in Verteidigung und Bundeswehr investiert werden müsse. In so unsicheren Zeiten wie diesen habe er zum Wohle des Landes entschieden… blablabla. Lindner wiederum schmeißt die Zitat-Kanone an und beklagt sich über die Erpressung durch Scholz, die ihm widerfahren sei. Denn er – Lindner – sei dem Grundgesetz verpflichtet und bei der Entscheidung zwischen Amt und Überzeugung muss er nun seiner Überzeugung folgen. Denn man müsse wirklich dringend auf die Wachstumsschwäche der Wirtschaft reagieren, denn die Wirtschaft…. Blablabla. Was für große Pläne dieses kleinen Mannes einer Splitterpartei, die weniger Prozente als die Tierschutzpartei bekommt. Und was herrscht doch für eine Selbstlosigkeit und Aufopferung unter dem Spitzenpersonal der Politik. Man kann es kaum glauben.
Aus Sicht der arbeitenden Bevölkerung hat das Spektakel nichts mit unserem Leben zu tun. Scholz und Lindner gleichermaßen stehen seit Jahrzehnten für eine Politik, die die Interessen der großen Unternehmen – solche wie Volkswagen, Lufthansa, RWE – an erste Stelle stellt. Deren Gewinne steigen seit Jahren, trotz der vielen Krisen. Aus jeder „Krise“ kommen sie mit noch mehr Gewinnen raus. Und jetzt, wo die Wirtschaft Deutschlands ein paar Schwierigkeiten auf dem Weltmarkt hat, sind sowohl Scholz als auch Lindner ganz offen für deren Forderungen. Beide unterscheiden sich in dieser Hinsicht kein bisschen.
Für die arbeitende Bevölkerung aber hat der Alltag zu tun mit viel zu niedrigen Löhne und Renten, zu hohen Mieten, unsicheren Arbeitsplätzen, Überlastung, fehlende Wertschätzung… nur: Darüber reden weder Scholz noch Lindner. Das meinen sie auch nicht, wenn sie von „Wirtschaft“ reden. Wenn sie von „Wirtschaft“ reden, meinen sie Volkswagen und Co.
Diese Unternehmen fahren seit Monaten ein Programm gegen die arbeitende Klasse auf. Sie wollen ihre Gewinne retten und sogar erhöhen. Sie verlangen massive Lohnsenkungen – im Fall von Volkswagen 10% pauschal und mehr (!). VW macht den Vorreiter. Aber VW gehört auch dem Land Niedersachsen, dieser Hochburg des SPD-Geklüngels. Von der SPD kommt ganz sicher keine Rettung für die Arbeitenden. Es gibt große Entlassungswellen in der Autoindustrie und anderen Branchen, neben vielen täglichen Entlassungen, die unter dem Radar laufen. Der öffentliche Dienst soll weiter unterfinanziert ausbluten. Die Unternehmen wollen am liebsten die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall einschränken und haben den Druck auf kranke Beschäftigte schon erhöht. Schon lange fordern sie flexiblere Regeln im Arbeitszeitgesetz. Sie wollen das Bürgergeld weiter kürzen, damit der Druck auf die Arbeitssuchenden steigt. Die sollen dann zu schlechteren Bedingungen arbeiten gehen und das Lohnniveau sinkt für alle. Und so weiter. Das ist die liberale Agenda, die die Unternehmen geschlossen gegen die Arbeitenden fahren und noch intensivieren wollen. Und das steckt eigentlich dahinter, wenn wieder so viel über die „Schwierigkeiten der Wirtschaft“ gesprochen wird. Das ist auch das Geheimnis der Regierungskrise. Denn die großen Unternehmen und ihre Vorstände haben den Druck erhöht. Und die Frage ist, mit welchen Parteien oder Parteikoalitionen sich diese neoliberale Agenda am besten durchpeitschen lässt. FDP und CDU haben dieses Programm der Wirtschaft längst eins zu eins übernommen. CDU-Merz, dieser Klassensprecher der Investmentbanker, hat sich als künftiger Kanzler längst in Stellung gebracht.
Aber lassen wir uns nicht ablenken: Je größer das Wahltheater, umso kleiner sind in Wahrheit die Unterschiede zwischen den Parteien. Die SPD wird im Vergleich zur CDU/FDP ein bisschen sozialer tun müssen. Aber auch das sind nur Worte.
Weder mit der „Chaos-Truppe der Ampelregierung“ noch ohne diese Ampelregierung hat die arbeitende Klasse irgendwas zu gewinnen. Die Ampelregierung ist zu Ende. Richtig so. Wir weinen ihr keine Träne nach. Aber wir werden in den kommenden Monaten einen Wahlkampf erleben, der unter dem Vorwand von „Wirtschaftskrise“, Krieg und „schwierigen Zeiten“ uns zwingen soll, zwischen SPD und CDU/FDP, also zwischen Pest und Cholera zu entscheiden. Sicher werden SPD/GRÜNE/CDU/FDP die Karte spielen, dass sie die einzigen „Demokraten“ wären gegen die AfD. So soll der letzte Zweifler doch wieder in die Arme von CDU oder SPD getrieben werden. Aber diese Erpressung werden wir nicht akzeptieren. Wir haben diese Masche schon x-Mal in anderen Ländern gesehen. Zuletzt in Frankreich. Dieser Wahlkampf wird auch die ätzende Hetze gegen unsere migrantischen Kolleg:innen und Freunde nochmals verstärken. In dieser vergifteten Atmosphäre soll jeder gegen jeden aufgehetzt werden. Wir haben überall gesehen, dass die rechten Parteien von solchen Manövern profitiert haben.
Die arbeitende Bevölkerung hat bei diesem ganzen Wahlkampf nichts zu gewinnen. Aber angesichts des massiven Gegenwindes, der sich um uns zusammenbraut, ist es umso nötiger, zusammenzuhalten und uns zu organisieren. Es ist nicht die Zeit abzuwarten, was kommen wird. Die Unternehmen und ihre Politiker:innen führen einen Klassenkampf von oben. Unsere Antwort muss der Klassenkampf von unten sein. Ein solidarischer entschlossener Kampf aller Schichten der arbeitenden Klasse, der Jugend, der Migrant:innen und der hier Geborenen. So wie die Arbeitenden bewusst gegen alle Spaltungen ankämpfen müssen und einen Weg finden müssen, um selbstorganisiert für eigene Forderungen kämpfen, so muss die antikapitalistische, klassenkämpferische Linke ihre Verantwortung in die Hand nehmen, und auch ihre Spaltungen überwinden. Eine Revolution ist dringend.
Beitragsbild: Foto: Reuter – https://www.n-tv.de/politik/Merz-schmeisst-Scholz-die-Tuer-ins-Gesicht-article24563659.html