Der Nächste bitte!

Im Oktober ist Bundeskanzler Sebastian Kurz, nach monatelangen Korruptionsvorwürfen und der Veröffentlichung belastender Chats, „zur Seite“ getreten. Er blieb zunächst Chef der ÖVP1, um sich ein mögliches Comeback offen zu halten. Im Dezember zog er sich ganz aus der Politik zurück. Der bisherige Innenminister und Scharfmacher Karl Nehammer wurde Bundeskanzler und Parteiobmann. Ist das manipulative und korrupte System Kurz damit am Ende?

Sebastian Kurz galt vielen konservativen Parteien als große Zukunftshoffnung, weil er den ständigen Abwärtstrend bei den Wahlergebnissen stoppen und in Zugewinne verwandeln konnte. Aus der schwarzen Volkspartei machte er die türkise neue Volkspartei. Er übernahm die rassistische Anti-Migrations- und Recht&Ordnung-Propaganda der rechtsextremen FPÖ2 und gab ihr ein freundlicheres Gesicht. Damit gewann er nicht nur Stimmen von rechts außen zurück, sondern sorgte für einen deutlichen Rechtsruck in Österreich.

Sein Team entwickelte ein ausgeklügeltes System der Message Control: eine Medienstrategie, die auf offensive Dominanz setzte und nichts dem Zufall überließ. Kritische Medien wurden finanziell ausgehungert, während Kurz-freundliche Medien Inserate und Förderungen bekamen. Die türkise ÖVP vergrößerte und systematisierte ihr Netzwerk an Großspender:innen, die sich einen noch unmittelbareren Draht direkt in die Regierung und ein Veto gegen jegliche Reichensteuern sicherten. Kurz zentralisierte die Macht in der Partei um sich, die bisher mächtigen Länderorganisationen und Bünde verloren an Einfluss.

Ein Skandal zu viel

Nach monatelangen Korruptionsenthüllungen und einer Hausdurchsuchung in der ÖVP-Zentrale brachten neu veröffentlichte Chatprotokolle, in denen sich Kurz und sein engster Kreis über manipulierte Umfragen und gekaufte Berichterstattung austauschten, das Fass zum Überlaufen. Die ÖVP wendete sich schrittweise von ihrem Hoffnungsträger ab, dessen Image bereits zu sehr angeschlagen war und wohl wissend, dass in weiteren Chats und Ermittlungen noch einiges mehr auftauchen wird. Neben Kurz räumten auch seine engsten Mitstreiter3 das Feld. Außenminister Schallenberg übernahm für zwei Monate das Bundeskanzleramt von Kurz, machte dann für Karl Nehammer Platz.

ÖVP geschwächt?

Der Aufbruch der ÖVP dürfte erstmal beendet sein, in Umfragen verliert sie rund 12 % und könnte ihren ersten Platz wieder an die SPÖ verlieren. Kurz hat für gute Wahlergebnisse gesorgt und damit für die Möglichkeit Regierungen anzuführen. Statt der traditionellen großen Koalition mit der SPÖ, regierte Kurz flexibel zuerst mit der FPÖ, dann mit den Grünen – auch um die verhasste Sozialpartnerschaft zu schwächen. Er hat Politik, die bewusst spalterische Propaganda vorantreibt und gleichzeitig dem Großkapital den roten Teppich ausrollt, zwar nicht erfunden, aber deutlich verfeinert und vorangetrieben. Es ist gut, dass Kurz weg und die ÖVP weniger dominant ist. An den grundlegenden Kräfteverhältnissen hat sich dadurch aber nichts geändert.

Nehammer sieht sich als weder türkis noch schwarz, sondern „beides“ (wie er in einem Interview verrät). Und irgendwie stimmt das auch. Die ÖVP kann Kurz und das türkise Experiment nicht ungeschehen machen und die Zeit zurückdrehen. Auch im neu eingesetzten parlamentarischen „ÖVP-Korruptions-Untersuchungsausschuss“ wird die ÖVP Kurz wohl weiter die Stange halten, auch um sich selbst zu verteidigen. Die Partei wird aber wieder stärker „schwarz“, insofern Länderorganisationen und Bünde wieder an Macht und Einfluss gewinnen und mit dem Verschwinden der Slim-Fit-Anzüge gleichzeitig auch der Altersschnitt deutlich steigt.

H … für die Reichen“

Bei Vielem wird sich aber nichts ändern. Der stramme Anti-Migrations-Kurs und die rechte Law & Order-Politik werden fortgesetzt. Bei den Themen Klimaschutz, transparente Parteienfinanzierung, Anti-Korruption und Medienförderung steht die ÖVP weiter auf der Bremse. Die Volkspartei wird auch weiterhin die Hauptpartei des österreichischen Kapitals bleiben. Neben dem direkten Draht superreicher Großspender:innen, könnte der indirekte Draht über parteinahe Interessensvertretungen (Wirtschaftskammer, Industriellenvereinigung, Bünde …) wieder stärker an Bedeutung gewinnen. Die Wege der Herren sind unergründlich. Oder wie Thomas Schmid, türkiser ÖVP-Karrierist und zentrale Person der Korruptionsaffären, es in einer Chatnachricht ausdrückt: „Vergiss nicht – du hackelst (arbeitest, Anm. d. Red.) im ÖVP-Kabinett!! Du bist die Hure für die Reichen.“

Johannes Wolf, Wien

Referenzen

1 Österreichische Volkspartei

2 Freiheitliche Partei Österreichs

3 Tatsächlich nur weiße, junge Männer in Slim-Fit-Anzügen

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