Gewöhnlich gilt die deutsche Sozialpartnerschaft mit seiner mächtigen, tief in den Staats- und Unternehmensapparate verwickelten Gewerkschaften als Modell des „sozialen Friedens“. Doch der Angriff von VW, ohne Umweg über die üblichen Verhandlungen, und das Ausmaß der Angriffe und Stellenstreichungen könnte die Gewerkschaftsapparate vor Widersprüche stellen, zwischen der Wut von unten und der Verachtung von oben.
Die ersten Reaktionen der IG Metall nach den Ansagen von VW klangen noch kämpferisch: Streikdrohungen und Ablehnung jeglicher Werksschließung. Normalerweise müsste die IG Metall bei Standortentscheidungen auch ihre Zustimmung geben, selbst wenn das VW-Gesetz praktischerweise wesentlicher unklarer ist, was Schließungen angeht, als Neueröffnungen oder Verlegungen von Standorten. Mit einer – wichtigen – Ausnahme: 35 Jahre nach der „Wende“ ist unklar, ob diese Regelung auch in Ostdeutschland gilt. Mit einer der Gründe, dass das Werk in Dresden auf der Abschussliste steht?
Doch nach den ersten Reaktionen hat sich die IG Metall schnell auf den üblichen Diskurs besonnen. In den Verhandlungen der allgemeinen Tarifrunde in der Metall- und Elektroindustrie wurde wie gewöhnlich in Ruhe verhandelt, und nun eine erste Vereinbarung getroffen. Mit Forderungen wie 7 % Lohnerhöhung, mehr Geld für Auszubildende – kein Wort über Streik, Werksschließungen und Kündigungen, soviel ärgerliche Themen! Wenn es um Arbeitszeit geht, schlägt die IG Metall von selbst die 4-Tage-Woche als Alternative zu Kündigungen vor – ohne Lohnerhalt, versteht sich -, was den Plänen der Konzernvorstände für mehr Flexibilisierung gut passt. Die allgemeine Tarifrunde in der Metall- und Elektroindustrie endete nach sehr überschaubaren Warnstreiks mit sehr geringen Lohnerhöhungen (2% und 3,1% in zwei Etappen). Der Tarifvertrag läuft bis Ende Oktober 2026, was den Vorständen sicherlich wichtig war, denn die IG Metall wird – wie stets – das Heiligtum der sogenannte „Friedenspflicht“ solange wahren und nicht zu Streiks aufrufen. Komme was da wolle. Für die Unternehmen sieht der Tarifvertrag zudem einige Möglichkeiten vor, Gelder nicht zu zahlen, wenn die Profitmargen unter eine bestimmte Grenze sinken. Das bedeutet eine Reallohnsenkung angesichts der weiterhin hohen Preise. Aber vor allem hat die IG Metall die Story der Konzernchefs übernommen, dass in wirtschaftlich schwierigen Zeiten einfach alles schwierig sei für die Unternehmen. Die Lohnverhandlungsrunde endete denn auch in ewiger Verbundenheit mit einer Forderung von IG Metall und Arbeitgeberverband Gesamtmetall an die Politik, „schnellstmöglich die richtigen Weichen zu stellen. um die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands im internationalen Vergleich zu verbessern.“ Gemeint sind mehr staatliche Unterstützung für die Unternehmen. Die Löhne bleiben stattdessen eingefroren.
Was VW angeht, war während der allgemeinen Lohnrunde in der Metallindustrie Stille. Lediglich prangert die Gewerkschaftsbürokratie die schlechten Entscheidungen der Konzernleitung an, denn wie Chefin des Konzernbetriebsrates, Daniela Cavallo, sagt, was die Analyse der Situation angehe, gebe es keine Differenzen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmerseite. „Natürlich haben wir aktuell heftige Probleme aufseiten der Wirtschaftlichkeit“. Und schnell noch ein paar gute Ratschläge hinterher : Man müsse zurück an die « Technologiespitze », und es gebe doch « andere Variablen, um die Kosten zu kürzen » als Stellen zu streichen. Man muss die Konzernleitung ja nur zur Vernunft rufen, « nach jahrzehntelanger Kompromissbereitschaft der Beschäftigten, […] guter Arbeit […] und der aktiven Teilnahme an der Wirtschaftlichkeit des Konzerns. » Ein anderer Gewerkschaftschef vom Werk in Osnabrück – das zu den drei Standorten gehört, die VW schließen will – fasst die Rolle der IG Metall gut zusammen: „Man muss manchmal auch wieder etwas Ruhe reinbringen. Die Kollegen können nicht alles glauben, was in Whatsapp-Gruppen rumgeschickt wird.“ Immer mit der Ruhe, wir verhandeln! Man hat schon furchteinflößendere Kriegserklärungen gesehen…
Und so gingen die Verhandlungen zunächst auch routiniert weiter bis die Chefin des Konzernbetriebsrats verkündete, dass die „Arbeitnehmerseite“ selbst einen Sparvorschlag erarbeitet habe. Konzernbetriebsrat und IG Metall wären bereit, auf Entgelterhöhungen ganz zu verzichten und das so „gesparte Geld“ dem Konzern zur Verfügung zu stellen als Fond für nicht ausgelastete Werke. Dieser „Zukunftsplan“ bringe dem Konzern 1,5 Milliarden. Soviel Entgegenkommen ohne überhaupt gekämpft zu haben, hat den VW-Vorstand sicher entzückt. Jedenfalls hat er abgelehnt. Er verlangt pauschal 10% Lohnkürzungen – nach Berechnungen des Handelsblattes ist das eher mehr – und die Schließung von Werken sowie Stellenabbau.
Am Montag gab es denn – nach langer Ankündigung – Warnstreiks in allen VW-Werken. Aber bitte nur als „Warnung“ verstehen. Denn diese Aktionen waren auf wenige Stunden pro Werk begrenzt und haben ganz sicher nicht gestört. Die Konzernbetriebsratschefin beschrieb diese „Warnstreiks“ denn auch gut als ein Ventil, „um Dampf abzulassen“.
Und es bewegt sich doch etwas…
Dabei gibt es Kämpfe und Mobilisierungen. 16.000 Beschäftigte haben am 4. September bei der Vollversammlung des VW-Konzerns in Wolfsburg demonstriert. 10.000 andere warteten lautstark vor den Toren – die Leitung hatte offenbar mit einer etwas weniger vollen Betriebsversammlung gerechnet. Wenig später demonstrierten mehr als 20.000 Beschäftige von ZF Friedrichshafen in einem Dutzend Städte im Land. In der Stahlindustrie haben die Arbeiter:innen von ThyssenKrupp mehrfach demonstriert, darunter zu tausenden vor dem Firmensitz in Duisburg am 30. September. Nachdem sie den Sitz blockiert haben, organisieren sie nun eine « Wache », die sich bei jedem Schichtwechsel ablöst, und regelmäßige Arbeitsniederlegungen unter der Form von Gewerkschafts-Informationstreffen. 2.000 Beschäftigte von Ford-Köln haben am 21. November spontan die Arbeit niedergelegt und sind vor den Hauptsitz gezogen, wo gerade Verhandlungen zwischen Unternehmen und Betriebsrat liefen. Beim Warnstreik in den VW-Werken am 2. Dezember waren 66.000 Arbeiter:innen dabei. Es sind Zehntausende, die die Produktion eines Konzernriesen wie VW stilllegen können. Immer wieder war von den VW-Arbeiter:innen zu hören, dass man streikbereit ist.
Doch es wird wesentlich mehr brauchen, um dieser Dampfwalze der Konzerne standzuhalten. Und es braucht ein völlig anderes Aktionsprogramm als die ewigen „Zukunftspläne“ der Gewerkschaftschefetagen, die die Löhne weiter senken und doch nicht Arbeitsplätze sichern. Es braucht ein Aktionsprogramm für ein Verbot von Entlassungen, Erhöhung der Löhne und Absenkung der Arbeitszeit bei gleichem Lohn, wenn weniger Arbeit da ist.
Politisch könnten die Auswirkungen der Angriffslust der Konzernvorstände katastrophal sein: nach den Erfolgen der AfD bei den Landtagswahlen können die „wirtschafts-nationalistischen“ und protektionistischen Diskurse von IG Metall und Bossen einerseits, und das brave Begleiten der sozialen Angriffe durch SPD und Konsorten andererseits nur dafür sorgen, den Aufstieg der Rechtsextremen und des allgegenwärtigen Nationalismus noch zu verstärken. Aber das Spiel ist noch nicht aus. Denn auch wenn die deutsche Bourgeoisie mit der mächtigen Gewerkschaftsbürokratie einen ausgezeichneten Feuerlöscher bei Hand hat, spielt sie mit leicht entzündlichem Stoff. Das deutsche Industrieproletariat, mit seinen 5,6 Millionen Beschäftigten – davon allein 2,14 Millionen bei der IG Metall – könnte sich als Gegner darstellen, an der sich die Bosse mehr als nur einen Zahn ausbeißen, wenn es sich von den sanften Schlafliedern der Gewerkschaftschefetagen befreit.
Zum Weiterlesen:
Beitragsbild: IG Metall Wolfsburg – Warnstreik 2.12.2024