Am 12.10. demonstrierten in Wien unter dem Motto „Jetzt reicht’s!“ ca. 5000 Beschäftigte unterschiedlicher Privatkindergärten. Wir haben eine Kindergartenpädagogin interviewt, die an der Betriebsversammlung teilgenommen hat.
Kannst du uns bitte kurz die Forderungen der Versammlung zusammenfassen?
Die Forderungen lassen sich auf mehr Personal, Lohnerhöhungen, kleinere Gruppengrößen mit Verbesserungen des Erwachsenen-Kind-Schlüssels und höhere finanzielle Mittel für Kindergärten sowie Ausbildung herunterbrechen. Neben einer Lohnerhöhung wird zudem ein gleichwertiges Entlohnungssystem gefordert. Denn je nach Träger:innenverein und Bundesland verdienen Beschäftigte in Kindergärten unterschiedlich viel.
Wie würde die Umsetzung dieser Forderungen deinen Arbeitsalltag verbessern?
Ich würde endlich mehr zur pädagogischen Arbeit kommen, für die ich eigentlich ausgebildet wurde. Mein Arbeitstag besteht meistens darin, dass ich eine Gruppe von 20 Kindern durch den Alltag von Essen, Schlafen und Wickeln bringe, das ohne Pause und oft auch ohne Unterstützung. Für die Eingewöhnung sehr junger Kinder, Elterngespräche oder eine angemessene Förderung der Kinder nach ihren individuellen Bedürfnissen bleibt keine Zeit.
Häufig kann ich aufgrund der verordneten Aufsichtspflicht nicht einmal aufs Klo gehen. Kein Wunder also, dass viele Berufseinsteiger:innen innerhalb eines Jahres wieder kündigen und nicht wenige von Burnout betroffen sind.
Wie hat sich die Pandemie auf diesen stressigen Alltag ausgewirkt?
Die Bedingungen haben sich durch die Pandemie verschärft. Bevor wir unsere Schutzimpfung erhalten haben, mussten wir zum Teil mit mehreren COVID erkrankten Kindern in der Gruppe bleiben. Gruppen wurden erst geschlossen, wenn sich das Personal infizierte. Dadurch, dass Kindergruppen nicht gemischt werden durften, hat sich der Personalmangel besonders stark ausgewirkt. Anstatt Urlaub gab es zahlreiche Überstunden und Krankenstände konnten nicht einmal ansatzweise einberechnet werden.
Während viele Eltern den gemeinsamen Urlaub mit ihren Kindern aufgrund von Pandemie abgesagt haben, konnten wir wegen der vollen Gruppen unseren Urlaub nicht konsumieren. Das macht wütend, aber vor allem müde.
Glaubst du, dass sich durch die Proteste etwas verbessern wird?
Natürlich hoffe ich das. Ich glaube allerdings, dass mehr Druck vonseiten der Beschäftigten nötig sein wird. Es wird argumentiert, dass die Kinder aufgrund der schlechten Rahmenbedingungen am meisten darunter leiden, was ich auch nicht entkräften will.
Ich wünsche mir aber mehr Fokus auf das Personal, mehr Raum und Zeit für die Solidarität untereinander. Wir Beschäftigten wissen, dass wir durch unsere professionelle Arbeit einen essentiellen Beitrag zur Gesellschaft leisten, doch die Politik ist nicht bereit, die Rahmenbedingungen zu verbessern. Den sich über die Jahre wiederholenden, heuchlerischen Zuspruch von Medien und Politik habe ich satt.
Wie sind die Proteste abgelaufen?
Die Proteste wurden als Betriebsversammlungen, also Streiks, während der Dienstzeit organisiert. Das Personal der Kindergärten besuchte eine Stunde während der Dienstzeit die Versammlung. Einer Schätzung zufolge waren wir ca. 5000 Personen und die Stimmung war gut, um Punkt 11:00 war der Spuk allerdings wieder vorbei. Nach der Auflösung der Versammlung, die von Seiten der Betriebsrät:innen und Gewerkschafter:innen lediglich als unterbrochen bezeichnet wurde, mussten wir uns in die überfüllten Verkehrsmittel quetschen, um keinesfalls zu spät den Nachmittagsdienst anzutreten. Denn vor den Betrieben warteten bereits Eltern mit ihren Kindern, die nach Betreuung verlangten. Der Protest war allgemein sehr top down organisiert und ließ zu wenig Raum für Selbstorganisierung unter uns Beschäftigten.
Wenn es bei dieser Inszenierung von Protest bleibt, werden mehr Kindergartengruppen schließen müssen. Und welche gesellschaftlichen Auswirkungen das mit sich bringen kann, wird klar, wenn wir darauf blicken, wer in unserer Gesellschaft die Mehrheit der unbezahlten Reproduktionsarbeit erledigt. Die Leidtragenden sind also nicht nur die Kinder und die Beschäftigten, sondern auch Mütter* bzw. Frauen*.
Raimund Müller, Wien