Drei Monate Krieg in der Ukraine – Im Westen was Neues?

Seit dem Überfall der Ukraine durch russische Truppen sind schon mehrere Zehntausend Menschen gestorben, sowohl auf ukrainischer, als auch russischer Seite. Die wirtschaftlichen Sanktionen gegen Russland gehen voran, die Inflation steigt überall, nicht zuletzt in Russland, wo die Diktatur Putins scheinbar unangetastet den westlichen Mächten trotzt. Die Logik des Imperialismus schreitet voran: Auf militärischer Ebene wächst die NATO, die Aufrüstung hat ein enormes Tempo und niemand kann sicherstellen, dass das Schlimmste uns nicht erst noch bevorsteht …

 Die Staaten suchen sich ihr Lager – nicht ganz einfach, aber doch …

Die Politik von Putin hat die deutsche Regierung dazu gezwungen, sich enger mit seinen Verbündeten in der NATO zu­sammenzuschließen. Der Weg war tat­sächlich lang, bis Bundeskanzler Scholz die Entscheidung traf, auch schwere Waffen an die Ukraine zu liefern. Als mächtigstes Wirtschaftsland Europas war es einige Wochen unangenehm, öffentlich von der Ukraine getadelt zu werden. Dann am Abend des 19. April verkündete Scholz schließlich die Lieferung von schweren Waffen an die Ukraine, was dann aber u. a. alte Panzer waren und ein Ringtausch mit osteuro­päischen EU-Ländern. Das brachte die nächste Schelte ein, nicht nur vom ukra­inischen Botschafter in Berlin, der Scholz Anfang Mai noch eine „beleidigte Leberwurst“ nannte, sondern auch von den Grünen, die sich in ihrer partei­politischen Pubertät mal in der Frie­densbewegung rumgetrieben hatten und jetzt die größten Lobbyisten von Rüs­tungsindustrie und NATO sind. Die nicht ganz einfache Beziehung zwischen Deutschland und der Ukraine besserte sich aber deutlich, denn für Außen­ministerin Baerbock (Grüne) war am 10. Mai ein Besuch in der Ukraine wieder er­laubt, und sie hat den Außenminister der Ukraine zum Treffen der G7-Außenminister:innen eingeladen – die Freunde sind wieder zusammen ge­kommen. Das besiegelte die Bundes­regierung nach kurzer Zeit jetzt mit der neuen Ankündigung, das beste Flug­abwehrsystem, das Deutschland habe, zu liefern sowie ein modernes Ortungs­radar. Zeitgleich verkündete US-Präsident Biden die Lieferung von Mehr­fachraketenwerfern des deutschen Her­stellers Diehl, was Scholz ausdrücklich unterstützen wird… Nachdem Scholz, was das Ziel der NATO angeht, bislang eher vage blieb, Russland dürfe den Krieg nicht gewinnen, ist Baerbock am 1. Juni klarer: „Natürlich darf Russland diesen Krieg nicht gewinnen, sondern muss ihn strategisch verlieren … Die Ukraine muss gewinnen.“ Aber was bedeutet es wirklich, wenn sie von einem „Sieg der Ukraine“ reden und gleichzeitig alle Großmächte massiv aufrüsten, Waffen und Finanz­mittel schicken?

Gleichzeitig passiert eine Verbreiterung der NATO: Schweden und Finnland haben ihre ohnehin geheuchelte „Neutralität“ ganz über Bord geworfen und wollen Mitglied werden. Außer Putin nörgelt nur der türkische Präsi­dent Erdoğan, der nur zustimmen will, wenn er dafür den Segen der NATO-Länder für seinen Krieg gegen die Kur­den bekommt. Dänemark hat sich nun auch der EU-„Verteidigung“ ange­schlossen und damit ebenfalls das mili­tärische Lager des Westens gestärkt.

Und die USA rüsten massiv auf

Als der Krieg begann, gab es ein kurzes Zögern. Aber als die Ukrainer:innen Widerstand leisteten und nicht über­rannt wurden, änderte die Regierung ihre Politik in Richtung aggressiver Kriegsrhetorik gegen Putins Russland und beispielloser Aufrüstung. Wie andere Länder auch werden die USA massiv ihre Rüstungsausgaben erhöhen: Der Militärhaushalt soll auf 813 Milliarden Dollar anwachsen. Gegenüber der Ukraine haben die USA (Stand 19. Mai) 53 Milliarden Dollar Finanzhilfen zugesagt und ohne Ende Waffen. Zeit­gleich mit Scholz‘ Flugabwehrsystemen kündigte Biden die Lieferung moderns­ter Raketenwerfer an … so geht das im Wochentakt. Gegenüber der New York Times erklärte Biden die Kriegsziele so: „Wir wollen eine demokratische, unab­hängige, souveräne und wohlhabende Ukra­ine, die über die Mittel zur Abschreckung und zur Verteidigung gegen weitere Angriffe verfügt.“ Und: „Wenn Russland für sein Vor­gehen nicht einen hohen Preis bezahlen muss, wird das anderen möglichen Aggres­soren signalisieren, dass auch sie Gebiete einnehmen und andere Länder unterwerfen können.“ Was genau heißt das? Kann uns das beruhigen? NATO-Generalsekretär Stoltenberg zerstörte gleich mal alle Er­wartungen auf ein schnelles Ende und hat klar gemacht, dass der Krieg in der Ukraine „Jahre dauern“ kann.

Was die Sanktionen angeht, haben die EU-Regierungschefs auch an der Eskala­tionsspirale gedreht und sich auf ein Embargo gegen russisches Öl geeinigt, das allerdings erst Ende des Jahres gilt. Nachdem Wirtschaftsminister Habeck von den Grünen – offensichtlich erfolg­reich – um die Welt getourt ist, um Alter­nativen zu russischem Erdöl zu finden, von dem die deutsche Wirtschaft bisher abhängig war, war der Weg für Sank­tionen frei. Dass nur Öltanker davon er­fasst sind, ist Ausdruck davon, dass viele EU-Länder weiter wirtschaftlich von Russland abhängig sind. Bezahlen werden die Folgen nicht nur die russischen Arbeitenden, sondern auch die Bevölkerungen der EU mit stei­genden Preisen. Die EU-Staaten und die USA hat das wiederum wirtschaftlich enger zusammengeschweißt.

Kürzlich telefonierten Macron und Scholz medienwirksam ganze 80 Minuten mit Putin. Ein Zeichen dafür, dass sie – anders als die USA und Groß­britannien – moderatere diplomatische Töne bevorzugen und zeigen wollen, dass sie doch eine unabhängige Rolle haben? Nicht sicher. Die Vertreter der imperia­listischen Länder waren schon immer in der Lage, die ganze Klaviatur der „Diplomatie“ zu spielen. Und zum Ver­handeln gehört bei ihnen auch immer Gewalt oder zumindest Drohung damit. Andererseits sitzt Scholz durchaus die Wirtschaft im Nacken. Die Geschäfte deutscher Konzerne in Russland waren bis zum Angriff Russlands nicht margi­nal. Aber echtes Kopfzerbrechen dürfte Scholz die Abhängigkeit von russischem Erdgas bereiten, das für die deutsche, sogar die europäische Wirtschaft, die Basis für Stromerzeugung und praktisch alle chemischen Produkte ist. Inflation und eine handfeste Rezession sind auf der Tagesordnung. Da sollte der Ge­sprächsfaden mit Putin vielleicht doch nicht so schnell abreißen … Dass nur drei Tage nach dem Telefonat Scholz und Biden die Lieferung der Luftabwehr­systeme bekannt geben, ist ein Zeichen ihrer grundsätzlichen Einigkeit.

Drohungen nach Drohungen auch am anderen Ende der Welt

Für die USA steht im Vordergrund zu beweisen, dass sie immer noch der Platz­hirsch auf der Welt sind, auch wenn die US-Wirtschaft nicht mehr ganz so unan­gefochten ist. Sie wollen das nicht nur gegenüber Russland zeigen, sondern vor allem gegenüber China – niemand soll (ohne Erlaubnis der USA) seinen Macht­bereich ausweiten können. Nicht zufällig besuchte Biden in den letzten Wochen wieder Japan und Taiwan, um seine „Freundschaft“ aufzudrängen, Handels­verträge abzuschließen und ein paar Drohungen gegen China auszusprechen. Biden selbst hat Parallelen zwischen der Ukraine und Taiwan gezogen. Auf einer Pressekonferenz bejahte er die Frage, ob die USA Taiwan militärisch unterstützen würde, wenn China angriffe.

Die Vertreter der Großmächte bereiten uns einerseits auf einen langen Krieg in der Ukraine vor – andererseits haben sie eine enorme Rüstungsspirale in Gang ge­setzt. Jetzt werden Waffen gekauft, von denen man nicht weiß, wann sie wie ge­gen wen eingesetzt werden, aber wenn nötig, dann sind die Armeen der großen Wirtschaftsmächte aufgerüstet – es geht also um künftige Kriege. Tatsächlich könnten sich die Rivalitäten weiter zu­spitzen, und das erhöht das Risiko eines allgemeinen Krieges. Dass Russland auf das Zusammenrücken und die Aufrüs­tung der Ukraine (wieder) mit Tests seines Atomwaffenarsenals reagiert, ist beängstigend. Wer weiß schon, welche Dynamik diese oder die nächste Eskalation entwickelt. Die Lagerbildung, die wir seit drei Monaten sehen, hat Folgen für die ganze Welt.

Wir haben keine Wahl, als unsere Sorgen umzuwandeln in Entschlossenheit und uns diesen Kriegshetzern gemeinsam und organisiert entgegenzustellen. Viel­leicht wird es „diplomatische Lösungen“ für die Ukraine geben, irgendwann, aber verbunden mit welchen Kosten, an Men­schenleben und Leiden? So oder so, sicher planen sie keine friedliche Zukunft für uns. Der Kapitalismus trägt den Krieg in sich wie die Wolke das Gewitter. Es liegt an uns, den arbeitenden Klassen hierzulande, in der EU und den USA, zusammen mit den Arbeitenden in Russland, von denen nicht wenige auch gegen den Krieg opponieren, den ganzen Irrsinn ein für allemal zu stoppen.

Sabine Müller und Lorenz Wassier, Berlin

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