Deutsche Bahn: Eine gescheiterte Urabstimmung mit Folgen

Ende Februar dieses Jahr begannen die Lohnverhandlungen in der Bahn- und Busbranche, für die die Eisenbahnverkehrsgewerkschaft EVG zuständig ist. Nach nur zwei Warnstreikaktionen bei der Deutschen Bahn und vielen unverschämten sogenannten „Angeboten“ der Deutschen Bahn vereinbarte der Vorstand der EVG dann noch ein „Schlichtungsverfahren“ mit weiteren geheimen Verhandlungen und Verzicht auf Streiks. Das ganze Verhandlungstheater erreichte seinen peinlichen Höhepunkt, als oberster DB-Personalchef Seiler (der sehr zufrieden wie immer auftrat), EVG-Chef Loroch (der sich, als er seine Zustimmung erklärte, ein zerknirschtes Gesicht aufzwang) und die beiden sehr vergnüglich wirkenden Schlichter Mitte August ein „Ergebnis“ bekanntgaben, das Proteste bei Bahner:innen und Busfahrer:innen auslöste, aber auch Zustimmung. Der Vorstand der EVG organisierte eine Befragung der Gewerkschaftsmitglieder bei der Deutschen Bahn (=Urabstimmung) für ca. 110.000 Leute. Wieviele „nein“-Stimmen würde es geben, das war eine spannende Frage, bis das Ergebnis am 28. August bekanntgegeben wurde.

Der folgende Artikel erschien zuerst am 1. September auf unserer website unseres Betriebsflugblattes „Zugfunke“:

Bei der Abstimmung über das Schlichtungsergebnis haben fast 67.000 Bahner:innen der DB teilgenommen; die Wahlbeteiligung lag damit bei 65%. Von denen, die abgestimmt haben, haben 52,3% für den Schlichtungsvorschlag gestimmt und 47,7% dagegen. Das ist eine Niederlage für den EVG-Vorstand und für die DB.

Der EVG-Vorstand verdreht das völlig und behauptet, dass es ein klares Votum für den Abschluss gegeben hätte. Naja, 52,3% sind jetzt auch nicht soooo klar. Und was ist mit dem Drittel, das gar nicht erst abstimmt hat? Wieviele sind gegen den Abschluss, aber haben sich nicht beteiligt, weil der EVG-Vorstand sowieso die Devise rausgegeben hat, besser kann es nicht werden, nein sagenmacht alles nur schlimmer? Und dazu kam die ganze Kampagne des EVG-Apparates, der vor allem die positiven Seiten hervorgehoben hat, Verschlechterungen eher verschwiegen oder kleingeredet hat. Und dazu das Problem gemeinsamer Versammlungen. Man kann sich nur eine Meinung bilden, wenn man zusammen kommt und diskutiert. Wo und wie oft gab es das? Eine Versammlung der verschiedenen Berufe, von allen, die von dem Abschluss betroffen sind? Eine Versammlung, um zwischen Fahrdienstleiter, Service, Busfahrerin, Lokführerin, DB Cargo, DB Dialog usw. zu diskutieren, für wen warum das Ergebnis ok wäre und ob man lieber gemeinsam streiken will? Wo hat es solche Versammlungen mit ergebnisoffenen Diskussion gegeben? Noch dazu im Sommer während der Ferienzeit…? Es gab allerdings ein paar offene Briefe, die die verbreitete ablehnende Stimmung gut sichtbar gemacht haben.

Tatsächlich ist die Ablehnung des Schlichtungsergebnisses heftig. Sie ist eine Misstrauenserklärung gegen den EVG-Vorstand und den DB-Konzern. Bei der Tarifrunde bei der Post dieses Frühjahr waren die Leute auch voll auf Streik aus. Dort hatten am Ende 38% den Kompromiss, den verdi mit der Post ausgehandelt hatte, abgelehnt. Jetzt haben 48% abgelehnt! EVG-Burkert spricht immer von 70.000 Bahner:innen, die vom Abschluss super profitieren würden. Wo ist deren Begeisterung?

Der EVG-Vorstand und der DB-Vorstand haben schnell deutlich gemacht, dass sie zur Tagesordnung übergehen wollen. Husch, husch an die Arbeit, als wär nichts gewesen. Was solls: für den DB-Vorstand gab es 100% Lohnerhöhung, für andere Führungsetagen 14%… Die Daumenschraube soll an vielen Stellen angezogen werden. DB-Seiler nennt das Steigerung der Produktivität – wir nennen das Verschärfung der Ausbeutung. Nach den super Streikerfahrungen bei den Warnstreiks im März und April und der wirklich hohen Ablehnung des Schlichtungsvorschlags ist aber nichts mehr wie vorher. In vielen Betriebsgruppen in der EVG gab es erstmals Diskussionen über eine Urabstimmung, wobei einige BG sogar klare Positionen gegen die Schlichtungsempfehlung veröffentlicht haben. Da ist eine kämpferische Stimmung in der EVG, die jetzt nicht erlöschen darf. Die Wut ist da und sie bleibt.

Was machen wir mit der Wut? Wenn jeder für sich allein jetzt entscheidet, dann hat die DB gewonnen. Wenn wir uns zusammentun, verabreden, Treffen organisieren, über das Geschehene quatschen, werden auch die Ideen entstehen, wie man zusammen bleiben und den Kampf gegen die DB fortführen kann, für die kommende Zeit mit dem stressigen Alltag. Es gibt viele Lehren zu ziehen aus der Tarifrunde – für alle Bahner:innen, egal ob EVG oder GDL oder in keiner Gewerkschaft. Die Kolleg:innen selbst müssen von Anfang an die Kontrolle über das Geschehen bei den Tarifverhandlungen haben und nichts den Gewerkschaftsspitzen überlassen, das ist offensichtlich eine Lehre. Lasst uns auch die Tarifrunde der GDL gemeinsam angehen, damit mehr für alle Eisenbahner:innen hinten bei raus kommen. Zusammen arbeiten, zusammen organisieren, zusammen streiken!

Beitragsbild: Kundgebung der EVG-Mitglieder verschiedener Bus- und Bahnunternehmen am 14. März 2023 in Berlin am Hauptbahnhof

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