
Wir teilen die Einschätzungen und Argumente der NPA-R in deren Text „Angesichts der imperialistischen Rivalitäten zwischen den USA und China: Kein Krieg zwischen den Völkern, kein Frieden zwischen den Klassen!“.
Zugleich möchten wir einige spezifische Elemente in Bezug auf die Situation in Deutschland hinzufügen.
Alle angesprochenen Widersprüche finden sind auch in Bezug auf Deutschland wieder: Aufgrund des Verlustes billiger Energie aus Russland und der wirtschaftlichen Expansion Chinas gerät das deutsche Kapital in Bedrängnis und sieht zum Teil seine gewohnten Profite davon schwimmen. In der EU ist Deutschland zwar – neben Frankreich – Ton angebend, doch ist die EU selbst noch zu verkümmert, um in dem globalen Poker zwischen den USA und China mithalten zu können. Mit der neuen Weltlage, die sich durch die Trumpsche Zollpolitik noch zuspitzt, ist die deutsche Bourgeoisie gezwungen, schneller als gedacht zu reagieren. In dieser Situation gab es die Regierungskrise im letzten Herbst und die vorgezogenen Neuwahlen im Februar, die zu Gewinnen der konservativen CDU und extrem rechten AfD führten und großen Verlusten der sozialdemokratischen SPD und der Grünen. Letztere spielen aktuell politisch auf dem nationalen Parkett keine Rolle mehr. Von einer „grünen“ Wirtschaftspolitik ist auch kein Hauch übrig geblieben. Hingegen wird die SPD trotz ihrer Niederlage als Juniorpartnerin der CDU auch an der nächsten Regierung beteiligt sein – am 9. April wurde der Koalitionsvertrag beider Parteien veröffentlicht.
Die deutsche Politik steht unter dem klaren Zeichen einer bislang ungekannten massiven Aufrüstung. Seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine 2022 wurde (vom sozialdemokratischen Kanzler Scholz) von einer „Zeitenwende“ gesprochen. Sein Kriegsminister erklärte, Deutschland müsse „kriegstüchtig“ werden. Damals wurde ein Aufrüstungspaket von 100 Milliarden aufgelegt. Mickrig im Vergleich zu dem, was nun als möglich und nötig bezeichnet wird: Noch mit der alten Bundestagsmehrheit wurde ein fast 1 Billion teures Infrastruktur- und Aufrüstungspaket verabschiedet mit praktisch unbegrenzten Möglichkeiten zur Verschuldung des Staates zu Rüstungszwecken, während für soziale und andere Ausgaben weiter strikte „Haushaltsdisziplin“ gewahrt werden soll.
Mit dem Infrastruktur- und Rüstungspaket soll die deutsche Wirtschaft – Autoindustrie, Chemie- und Pharmaindustrie, Stahlindustrie, Maschinenbau, Bauwirtschaft – gepusht werden. Der neue Koalitionsvertrag zeigt schon die Richtung, wie der deutsche Staat die Industrieunternehmen mit Milliarden Euros subventionieren wird. Gleichzeitig versuchen sie Zeit zu gewinnen, um in Verhandlungen mit den USA Trumps Zölle so weit wie möglich abzuschwächen. Gleichzeitig soll versucht werden, mit anderen Staaten und Regionen, insbesondere Japan, Kanada, Mexiko, Indien, Südamerika und Afrika, Geschäftsbeziehungen auszuweiten.
Sicher ist, dass das 1 Billion-Strukturprogramm die deutsche Rüstungsindustrie vorantreibt und damit zu einem wichtigen Motor der Wirtschaft machen könnte. Die Aktienkurse von Rheinmetall, Diehl und anderen Rüstungsfirmen explodieren. Sie können auf staatliche Aufträge vertrauen, die ihnen für das nächste Jahrzehnt feste Abkäufe garantieren. Für die Beschleunigung des Aufbaus einer Kriegsindustrie laufen Verhandlungen mit der Autoindustrie oder auch der Bahnindustrie, um Fabriken für Rüstungsproduktion zu übernehmen, die ursprünglich geschlossen werden sollten, oder zum Austausch von Arbeitskräften über Unternehmensgrenzen hinweg, alles mit tatkräftiger Unterstützung der Gewerkschaftsapparate. Wenn manche in den letzten Jahren angesichts der Klimakrise von „Transformation“ der Autoindustrie hin zu klimafreundlichen Produkten sprachen, so waren das Wunschträume. Doch nun sehen wir den Beginn einer anderen Art von Transformation, einer Transformation hin zu einer Kriegswirtschaft. Auch große Chemiefirmen können von der Aufrüstung profitieren. Die Spitzen der Metallgewerkschaft IG Metall haben schon im Frühjahr 2024 zusammen mit der Rüstungswirtschaft und der SPD für den Aufbau einer deutschen „Verteidigungswirtschaft“ geworben … zur Sicherung deutscher Arbeitsplätze. Heute geht den Spitzen der Gewerkschaften „Aufrüstung“ und „Verteidigung“ noch lockerer über die Lippen.
Gleichzeitig bereiten sie den „Krieg nach innen“ gegen die Arbeiter:innenklasse vor. Die Flexibilisierung der Arbeitszeit steht ganz oben auf der Agenda, genauso wie Angriffe auf die Arbeitslosen und Empfänger:innen von Sozialleistungen. Im „Kampf gegen den Fachkräftemangel“ heißt die Devise: länger arbeiten. Länger arbeiten pro Tag und aufs Leben bezogen. Weitere Einschränkungen des Streikrechts schweben wie ein Damoklesschwert über der Arbeiter:innenklasse. Diese gesteigerte Ausbeutung nach innen und die Vorbereitung zukünftiger Kriege nach außen ist verbunden mit einer autoritären Wende: gesteigerte Repression gegen Klimaktivist:innen (einzelne Berufsverbote und Anklage gegen die Gruppe „Letzte Generation“ wegen „Bildung einer kriminellen Vereinigung“), gegen die palästinasolidarische Aktivist:innen (Kündigung von Beschäftigungsverhältnissen, Ausweisungen aus Deutschland für migrantische Studierende), vermehrter Einsatz von Polizei auf Unicampus. Wir sehen schon jetzt eine Ausweitung polizeilicher Eingriffsmöglichkeiten, Verbote von Demonstrationen, Ausweitung von polizeilichen Maßnahmen gegen Migrant:innen, geplante Einschränkungen der Verfahrensrechte vor Gerichten für Geflüchtete und NGOs, die Infragestellung der Finanzierung von NGOs und „zivilgesellschaftlicher“ Gruppen, massive Sparmaßnahmen in praktisch allen sozialen Bereichen. Das alles gehört zu der autoritären Wende, die in Deutschland begonnen hat und Fahrt aufnehmen wird. Dafür bedarf es keines Trump oder Milei. In Deutschland begann diese Wende unter einer rot-gelb-grünen Regierung und wird nun unter CDU und SPD fortgesetzt. Dieser Wende müssen wir uns selbstverständlich mit aller Kraft entgegenstellen.
April 2025
[Diesen Text haben wir zur Vorbereitung des internationalen Kongresses revolutionärer sozialistischer Gruppen 16. – 18. Mai 2025 in Paris geschrieben]
Dossier:
Über die praktische Intervention von Revolutionär:innen in Gewerkschaften und Betrieben
