Zwischen fliegenden Träumen, Karlspreisen und EU-Milliarden geht das Sterben weiter

Anfang Mai wurden dem ukrainischen Präsidenten Selenskyj im Rahmen seiner Auslandsreise nach Westeuropa überall Geschenke gemacht. In London kam das Versprechen der Ausbildung an westlichen Kampfflugzeugen, aus Paris Kampfpanzer, von den Deutschen weitere Waffenhilfen von 2,7 Mrd. Euro. Wer solch spendable Freund:innen hat, kann leicht vom „Frieden erst nach dem Sieg“ und der „vollständigen Befreiung“ der Krim und des Donbass sprechen. Dabei ist offensichtlich, dass das Schicksal der Ukraine allein am Willen der westlichen Großmächte hängt, diesen Krieg weiter politisch und materiell zu unterstützen… koste es an Leben, was es wolle.

Profitmacherei als „Solidarität“ verkleidet.

Die Rüstungsschmieden Europas und der USA jubilieren bei solchen Profitaussichten. Die Düsseldorfer Firma „Rheinmetall“ zum Beispiel ist als Kriegsgewinnler im März in den Aktienindex DAX aufgestiegen. Das Unternehmen, das u.a. die Kanonen für den Leopard 2 Panzer fertigt, plant sogar den Aufbau einer Panzerfabrik in der Ukraine. Obwohl die Interessen von Rheinmetall offensichtlich sind, wird diese Expansion nun geradezu als „gute Tat“ gepriesen. Dabei ist die Tat vor allem für die Aktionär:innen gut: Die Nachfrage in Ukraine ist bei einem langen Krieg ja sicher. Außerdem sind die Ausbeutungsbedingungen in der Ukraine nach
Selenskyjs Angriffen auf Arbeitssicherheit, Gewerkschaftsrechte und den
Lebensstandard sehr gut. Und auch über diesen Krieg hinaus lohnt sich die Fabrik für Rheinmetall, das dafür bekannt ist, Waffenexporte unter Umgehung der – mehr als löchrigen – deutschen Ausfuhrbeschränkungen über ausländische Tochterfirmen in Ungarn oder Italien zu betreiben.

Öffentliche Gelder für die Produktionskapazitäten?

Das blühende Geschäft der Rüstungsindustrie bleibt auch in diesem Krieg, was es immer war: ein Geschäft. Um die Produktionskapazitäten für Munition zu steigern, will die EU zusätzlich zu ihren Waffenkäufen jetzt auch den Ausbau der Fabriken und die Erhöhung des Ausstoßes dieser Industrie mit einer Milliarde Euro subventionieren. Während sonst immer „der Markt“ beschworen wird, übernimmt die EU also die Investitionsrisken für die Industrie. Dabei braucht die Rüstungsindustrie diese Milliarde nicht, liegt hinter ihr doch ein Rekordjahr. Aber offensichtlich ist den Unternehmen eine solche Investition zu teuer, zu unsicher oder sie sind schlicht gute Verhandler:innen und lassen sich ihre Kosten aus den Steuergeldern der Arbeitenden bezahlen. Immer tiefer rutschen die imperialistischen Staaten auf diese Weise in den Krieg und stellen dessen finanzielle wie menschliche Kosten als „Notwendigkeiten“ dar. Damit die Arbeitenden heute mit ihren Steuern und morgen vielleicht mit ihrem Leben für die Kriege der Herrschenden zahlen, braucht es auch im Westen Propaganda.

Kriegspropaganda

In Aachen erhielt der Ukrainer Selenskij im Mai „für sein Volk“ den Karlspreis für „Verdienste um die europäische Einigung“. Der Namensgeber „Karl der Große“ einte Mitteleuropa Ende des 8. Jahrhunderts … durch Eroberungen und einen brutalen Krieg gegen die Sachsen im Osten. Wenn die Präsidentin der EU-Kommission, Ursula der Leyen, in ihrer Preisrede vom gerechten Kampf der Ukraine für die „Werte Europas“ fabuliert, greift sie damit auf das alte Bild vom „Abwehrkampf“ gegen „asiatische Horden“ zurück, mit dem mindestens seit dem Ersten Weltkrieg die Soldaten Russlands zu animalischen Monstern gemacht worden sind. Ohne die abscheulichen Kriegsverbrechen des Putinregimes klein zu reden, muss es doch als Heuchelei bezeichnet werden, wenn die EU, die Menschen im Mittelmeer ertrinken lässt und in Libyen oder der Türkei Diktatoren und Warlords unterstützt, von der Verteidigung „ihrer Werte“ faselt.

Perspektiven im System: Fehlanzeige

Jenseits aller schönen Worte sind die Wahrheiten über diesen Krieg der Imperialismen kaum zu ertragen. Die russischen Versuche, die Stadt Bachmut zu erobern, haben diese in eine Hölle verwandelt. Ähnlich wie die deutsche Armee 1916 versuchte, Frankreich in Verdun „weißbluten“ zu lassen, durch massiven Artillerieeinsatz gefolgt von immer wiederholten Angriffswellen der Infanterie, lässt das russische Regime seit Monaten seine „Wagner“-Söldner gegen Bachmut anrennen. „Sie kommen in Wellen. Die erste Welle der Russen, 10, 15 Mann, läuft auf unsere Stellungen zu. Fast alle von denen werden erschossen. Ab da wissen die russischen Aufklärer, wo wir sind. […] Dann fängt die russische Artillerie an, unsere Gräben zu beschießen. Anschließend kommt die nächste Welle. Und noch eine. Manchmal ein Dutzend in 24 Stunden.“ berichtet ein ukrainischer Soldat dem Magazin Spiegel. Die angreifenden Soldaten werden hier wie „Fleisch“ – so der russische Begriff für „Kanonenfutter“ – hingemetzelt. Russlands Gefängnisse – viele der Wagner-Söldner sind Strafgefangene, die sich Begnadigung erhoffen – sind voll von Nachschub und zusätzlich wird vor allem in den besonders benachteiligten, oft asiatischen Regionen Russlands unter nationalen Minderheiten geworben.

Ob ein rasches Kriegsende angesichts der Siegesphantasien Selenkskijs aber auch der westlichen Imperialismen kommen kann, ist hochspekulativ. Seinerseits hat Putin vielleicht 200.000 Tote junge Männer geopfert. Es ist fraglich, ob er den Krieg ohne Landgewinne – von Verlusten ganz zu schweigen – beenden kann. Eine Eskalation mit wachsender Gefahr, dass die NATO durch russische Verzweiflungsaktionen auch mit eigenen Soldat:innen in den Krieg eingreift, ist nicht auszuschließen. In ihrer Menschenverachtung tun sich die Herrschenden in Washington, Berlin und Moskau nichts.

Jakob Erpel, Düsseldorf  und
Lorenz Wassier, Berlin

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