Kreditvergabe und Geldschöpfung – Kernproblem des Kapitalismus?

In der letzten Aurora gab es einen Artikel zu den Pleiten und Fast-Pleiten verschiedener Banken in diesem Frühjahr. Von einem Leser bekamen wir eine kritische Rückmeldung dazu, wie die Kreditvergabe von Banken in unserem Artikel dargestellt wurde. Wir wollen den Anlass nutzen, uns hier nochmal ausführlicher mit dem Thema auseinanderzusetzen.

Wir hatten geschrieben: „Privatpersonen oder Unternehmen bringen ihr Geld zu den Banken. Die Banken behüten das natürlich nicht fürsorglich, sondern investieren es in andere Unternehmen, kaufen Staatsanleihen oder vergeben Kredite, Hypotheken oder was auch immer. (…) Zu Problemen kann es kommen, wenn – warum auch immer – die Leute oder Unternehmen ihr Geld massiv zurück haben wollen, die Bank aber das Geld – natürlich – nicht sofort zur Verfügung hat, weil es ja woanders angelegt ist.“

Die Leserzuschrift kritisierte, dass wir den Mechanismus der Kreditvergabe und die Ursache von Bankenkrisen falsch erklären würden: „Das Bankensystem funktioniert nicht so, dass Menschen ihr Geld zur Bank bringen und dieses Geld dann investiert wird, Geschäftsbanken können Giralgeld quasi unbegrenzt (nur durch schwache Mechanismen wie die Mindestreserve begrenzt) durch Kreditvergabe neu schöpfen.“

Verschiedene Arten des Geldes

In der Tat ist das moderne Geldsystem recht komplex, und es gibt unterschiedliche Formen von Geld. Natürlich gibt es das uns allen bekannte Bargeld mit Scheinen und Münzen. Lange Zeit war (Bar-)Geld prinzipiell Edelmetall (Gold und Silber) und auch Papiergeld zunächst nur ein praktischer Ersatz, der an Stelle des Goldes von Hand zu Hand ging. Noch bis 1971 war so der Dollar als weltweite Leitwährung fest ans Gold angebunden und die USA waren gegenüber ausländischen Notenbanken die Verpflichtung eingegangen, Dollar jederzeit gegen Gold einzutauschen. Inzwischen ist ein solcher „Goldstandard“ des Geldes aufgehoben. Trotzdem halten die Zentralbanken weltweit Goldreserven von über 35.000 Tonnen (sie haben seit der Finanzkrise 2008 diese Reserven deutlich erhöht), was ein Indiz dafür ist, dass das Gold seine Rolle als letztendlicher Garant für unser Geld noch nicht wirklich verloren hat. Doch auch das Bargeld in Scheinen und Münzen macht nur einen Bruchteil des vorhandenen Geldes aus, denn das meiste Geld besteht nur als „Buch(ungs)geld“ oder „Giralgeld“ auf Bankkonten: So sind laut der Europäischen Zentralbank EZB 1,57 Billionen Euro in Scheinen und Münzen im Umlauf. Aber je nachdem, welches Giralgeld mitgezählt wird (ob nur das sofort verfügbare, zum Beispiel auf Girokonten oder auch längerfristig angelegtes), beträgt die gesamte Geldmenge im Euroraum 11,33 Billionen oder sogar 16,09 Billionen Euro (Stand Ende 2022).

Geldschöpfung aus dem Nichts?

Während beim Bargeld klar ist, dass es im Auftrag der EZB gedruckt bzw. geprägt wird, woher kommt all das Giralgeld auf den Konten? Tatsächlich wird es nicht von irgendeiner Notenbank wie der EZB geschaffen, sondern, da hat unsere Leserzuschrift vollkommen Recht, von den „normalen“ Geschäftsbanken – in dem Moment, in dem sie einen Kredit gewähren. Nehmen wir an, Bank xy gewährt Frau Müller einen Kredit von 10.000 Euro. Dann schreibt sie ihr diesen Kredit als Summe auf ihrem Konto gut und Frau Müller hat nicht nur 10.000 Euro Schulden, sondern kann das gutgeschriebene Geld einsetzen um alles Mögliche zu kaufen oder zu bezahlen. Auch in der Bilanz der Bank taucht der Betrag doppelt auf – positiv als Forderung gegenüber Frau Müller, negativ, weil die Bank ja den Kredit ausgibt. Die Bank hat die Möglichkeit, ihre Forderung gegenüber Frau Müller selbst weiterzuverkaufen – denn schließlich ist diese Forderung Geld wert, vorausgesetzt Frau Müller ist eine kreditwürdige Schuldnerin, die ihren Kredit zurückzahlt. Insofern ist durch den Kredit das Geld scheinbar aus dem Nichts gleich doppelt entstanden, es kann von Frau Müller und auch von der Bank in Umlauf gebracht werden. Allerdings verschwindet es auch wieder, in dem Moment, wo der Kredit zurückgezahlt wird.

Doch ganz voraussetzungslos ist diese Geldschöpfung von Privatbanken nicht. Denn sobald Frau Müller Geld aus ihrem Kredit auf ein Konto einer anderen Bank überweist, muss die kreditgebende Bank Geld an die andere Bank zahlen. Auch das erfolgt nicht in bar, sondern dieser Interbankenhandel wird in der Regel über Konten bei der Zentralbank vermittelt. Außerdem gibt es Regulierungsvorschriften für die Kreditvergabe von Banken.

Einflussmöglichkeiten der Zentralbank

Zum einen die Mindestreserve. Sie betrifft den Teil der Kredite, die eine Bank tatsächlich mithilfe der bei ihr deponierten Gelder (Einlagen) ihrer Kund:innen vergibt. Sie darf nicht alle Einlagen für ihre eigenen Geldgeschäfte nutzen, sondern muss einen vorgeschriebenen Anteil bei der EZB als Sicherheit hinterlegen. Dieser Anteil wurde allerdings 2012 auf 1 % halbiert, was nicht besonders viel ist. Sodann die Eigenkapitalregelungen, die im Prinzip vorschreiben, wie viel eigenes Geld eine Bank besitzen muss, um Kredite zu vergeben – sie kann nicht alle Kredite auf Pump finanzieren.5 Obwohl nach der Finanzkrise 2008 viel davon die Rede war, dass die Regulierungen verschärft werden müssten, ist praktisch nicht viel passiert. Das liegt auch daran, dass es gar nicht so einfach ist festzulegen, was denn überhaupt als Eigenkapital zählt und anerkannt wird, da die Banken ja viel mit ihren Bilanzen tricksen können.

Neben diesen Regulierungsvorschriften steuern die Zentralbanken durch ihre Zinspolitik die Geldmenge, das heißt vor allem das durch Kreditvergabe entstehende Giralgeld. Wenn die „Leitzinsen“ erhöht werden, wie es die EZB zuletzt am 4. 5. 2023 gemacht hat (auf nun 3,75 %, wobei sie noch vor einem Jahr bei oder sogar unter Null lagen), dann heißt das, dass die Banken selbst mehr Geld bezahlen müssen, um von der Zentralbank zu leihen. Dementsprechend lohnt es sich für sie nur noch Kredite mit einer ebenfalls höheren Verzinsung zu vergeben, die wiederum weniger Kund:innen in Anspruch nehmen wollen oder können – die Kredite und damit die geschöpfte Geldmenge gehen zurück.

Das ganze System ist das Problem

Es stimmt also nicht, dass die Banken „quasi unbegrenzt“ Geld schöpfen können, sonst würden sie ja auch nicht pleite gehen, wie wir es bei der Silicon Valley Bank im Frühjahr sahen. Die Menge an Krediten, die sie vergeben können, hängt über verschiedene Mechanismen mit der Menge an Geld zusammen, über die sie schon verfügen, sei es als Eigenkapital oder als Kundeneinlagen. Wie in der letzten Aurora beschrieben, bringt ein Abfluss von Kundeneinlagen – weil die Kund:innen ihr Geld brauchen – oder eine Verringerung des Eigenkapitals – weil Wertpapiere in ihren Bilanzen im Kurs sinken, Banken in eine echte Zwickmühle.

Natürlich ist es absurd, dass private Banken mit privaten Interessen Geld schöpfen können (und das natürlich nur tun, um selbst Geld zu verdienen), aber das ist nur Teil der großen Absurdität, dass im Kapitalismus alle Wirtschaftsbeziehungen nach privaten Profitinteressen funktionieren und damit regelmäßig gegen die Interessen der breiten Mehrheit umgesetzt werden. Und es gibt kein Entkommen aus den Widersprüchen des Kapitalismus, wenn man nur um Bankensystem herumdoktern will. So gibt Kritiker:innen des heutigen Finanzsystems, die in der Geldschöpfung durch Privatbanken eines der Hauptprobleme sehen und vorschlagen, die Mindestreserve sehr stark zu erhöhen (manche schlagen 100 % vor, so dass Banken gar nicht mehr das Geld ihrer Kund:innen verleihen könnten, sondern nur noch Geld, dass sie sich selbst von der Zentralbank leihen oder eigenes Geld). Doch das würde, wenn man sonst den Kapitalismus nicht in Frage stellt, nur dazu führen, dass Kredite für die sogenannte „Realwirtschaft“ fehlen würden. Vor einem ähnlichen Dilemma stehen die Notenbanken, mit ihrer Zinspolitik: Höhere Zinsen „um die Inflation zu bekämpfen“ würgen die Konjunktur ab. Es geht also darum, diese profitgesteuerte Wirtschaftsweise insgesamt zu überwinden!

Richard Lux, Berlin

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert