Die Revolution 1923, wann kommt sie?

Im Jahre 1923 reihen sich mehrere einschlagende Ereignisse aneinander, welche die Kommunistische Partei Deutschlands, die erst vier Jahre zuvor unter Mitwirkung von Rosa Luxemburg gegründet worden war, vor gewaltige Aufgaben stellen. Trotz oder gerade wegen des Scheiterns der versuchten Revolution im Oktober 1923, ist diese Vorgeschichte von großem Interesse für Revolutionär:innen. Heute können wir auf diese Zeit zurückblicken um viel darüber zu lernen, wie eine revolutionäre Situation eingeschätzt werden kann und welche Schritte wann unternommen werden könnten. Dieser Artikel ist der erste von zweien und wird sich mit den historischen Hintergründen und einer Einschätzung der revolutionären Lage von 1923 beschäftigen, insbesondere während des Streiks, welcher die Regierung Cuno im August stürzte.

Am 11. Januar besetzten französische Truppen das Ruhrgebiet, um mit Zwang die Reparationszahlungen einzufordern, die nach dem Ersten Weltkrieg im Versailler Vertrag festgelegt wurden. Die deutsche Regierung und die Unternehmen sahen es als nicht möglich an sich wirtschaftlich zu erholen, solange sie durch die hohen Reparationszahlungen erdrückt würden. Dem damaligen konservativen Ministerpräsidenten Cuno war es erstmals seit 1919 gelungen, ohne Beteiligung der SPD eine Regierung zu bilden. Sie verfolgte einen wirtschaftsliberalen Kurs mit dem Ziel, Errungenschaften der Arbeiterinnenbewegung wie den Achtstundentag rückgängig zu machen.

Die Hyperinflation

Nun rief die Regierung den „passiven Widerstand“ gegen die französische Besatzung aus und erklärte ihn zur nationalen Pflicht. Gleichzeitig begann sie massiv Geld zu drucken, was den Wert des Geldes schon im Januar monatlich um ein Fünftel abfallen lies. Im April erreicht der Wert der Währung ein neues Tief und wird bis August nur noch viel weiter abstürzen, Hungerrevolten sind an der Tagesordnung. Dies beides schadete jedoch nicht unmittelbar den großen Unternehmen, welche die Situation ausnutzen, um ihre Fabriken im Ruhrgebiet zu modernisieren und es auch nicht so ernst mit dem Kontaktverbot zu den französischen Besatzern nehmen, von denen sie sich Garantien aussprechen lassen. Die Lohnkosten und Sozialabgaben sind durch die Inflation sehr niedrig und werden über das Jahr nur noch weiter sinken, während die Unternehmen ihre Produkte im Ausland absetzen. Es ist vor allem das Vermögen des Mittelstands, welches durch die Hyperinflation massiv zerstört wird, so dass viele, die vorher ihren Lebensstandard als gesichert angesehen hatten und sich nicht als Teil der Arbeiterinnenklasse sahen, nun definitiv in diese abstürzen. Kein Kleinbürger oder Beamter war sicher vor der schärfsten Form der Armut.

Durch diese beiden Krisen gewannen einerseits die Nationalisten und Faschisten Aufwind, andererseits bekamen revolutionäre Ideen Zulauf. Das gesamte bürgerlich demokratische und kapitalistische System konnte wenig überzeugen, wo es doch nicht einmal den Schein erwecken konnte, irgend wessen Interessen außer denen der Kapitalisten zu nützen. Auch die Rolle der Gewerkschaften und ihr Apparat, als Verhandlungspartner der Arbeiter mit den Unternehmern verliert mit der Inflation an Autorität, weil die Löhne und das Streikgeld nichts mehr wert sind. Allein der Besitz an Produktionsmitteln oder Immobilien hat Wert und diese sind in den Händen der Unternehmer. Der Klassencharakter der Gesellschaft wird für jeden greifbar, allumfassend und steht ganz vorne auf der Tagesordnung.

Wie verhält sich die kommunistische Partei in dieser Situation, wie schätzt sie die Lage ein? Sie versucht nicht, wie alle anderen Parteien einschließlich der SPD in den Chor der Vaterlandsverteidiger einzustimmen und erkennt, dass die Last beim „passiven Widerstand“ durch die Arbeiter:innen getragen wird, dass diese gleichzeitig nur geopfert werden, während die Bourgeoisie die ihren zu Helden des Vaterlandes stilisiert, so wie den Großindustriellen Fritz Thyssen, als dieser im Januar von den Besatzern festgenommen wird. Die KPD ist jedoch zu sehr mit der internen Diskussion beschäftigt, ob es mit den linken Teilen der SPD eine Einheitsfront an der Basis oder in Form einer Arbeiterregierung geben soll. Die aktuelle politische Situation im Ruhrgebiet und die Suche nach Partnern und Aktionsformen fällt anfangs vom Tisch. Die Linken der KPD im Ruhrgebiet schlagen übereilt auf eigene Faust los, besetzen ein paar Rathäuser und Gruben, werden aber isoliert geschlagen.

Eine revolutionäre Situation …

Die Kommunist:innen gewinnen dennoch überall in Deutschland massiv an Zulauf, selbst in ländlichen Regionen können sie bei Wahlen mit der SPD gleichziehen und bei einer gewerkschaftsinternen Abstimmung bei den Metallarbeiter:innen in Berlin erhält die KPD 54.000 Stimmen gegenüber den 22.000 der Sozialdemokraten. Arbeitermilizen und Fabrikausschüsse entstehen, die nicht durch die Gewerkschaftsbürokratie kontrolliert werden, sondern offen zur KPD stehen und auch bereit sind, sich gegen die extreme Rechte zu verteidigen. Ein antifaschistischer Kampftag wird für den 29. Juni vorbereitet, als diese Demonstration verboten wird fügt sich die KPD-Führung, weil sie fürchtet, die Auseinandersetzung mit dem Staat nicht gewinnen zu können. Die zurückgehaltenen Massen kritisieren das Abwägen, sind in jedem Fall aber ein Zeichen dafür, dass es eine gewaltige Dynamik gibt. Überall im Land gibt es kleinere und größere Brände des Widerstandes gegen die kapitalistische Misere. Betriebsbesetzungen von Bergwerken in Zwickau bis hin zu streikenden Landarbeiter:innen in Ostpreußen. Schließlich streiken auch die Arbeiter:innen der Staatsdruckerei, und ohne die gedruckten Geldscheine wird das ganze Land gelähmt.

In Berlin treten auf Initiative der Kommunist:innen die oben erwähnten Fabrikausschüsse zum Fünfzehnerausschuss zusammen und rufen zum Generalstreik auf, der die gesamte Hauptstadt lahmlegt. Die SPD als Partei hält sich zurück, die führenden Gewerkschaftsbürokaten in Berlin, hin- und hergerissen zwischen den Massen und dem Druck der staatstragenden Elemente ihrer Partei, enthalten sich. Die Bewegung breitet sich über das ganze Land aus. Die Regierung Cuno wird gestürzt. Eine neue Regierung soll unter Beteiligung der SPD gebildet werden durch Gustav Stresemann von der Deutschen Volkspartei. Die KPD-Führung interpretiert dies als Zeichen, dass die Zeit der Revolution noch nicht gekommen sei. Die Arbeiterinnenklasse in Deutschland müsse erst noch Erfahrungen und Kämpfe machen um tatsächlich zur Revolution in der Lage zu sein. Dass die Sozialdemokratie an der neuen Regierung beteiligt ist und immer noch ein gewisses Vertrauen genießt, lässt die KPD-Führung daran zweifeln, welchen Wert das Fortführen der Bewegung, gegen die Sozialdemokratie, statt wie vorher unter deren Beteiligung oder Billigung, hat. Statt den Streik weiter auszubauen und die revolutionäre Situation zu nutzen, interveniert sie in den Fabrikausschüssen und überzeugt die Delegierten davon, dass das unmittelbare Ziel, die Regierung Cuno zu stürzen erreicht sei und die Arbeit wieder aufgenommen werden soll.

Aber welches Ziel wurde wirklich erreicht? Die neue Regierung hat ihr Programm gegen die Arbeiterinnenklasse und zur Stabilisierung des kapitalistischen Systems, sowie den Willen es mit der Waffe zu verteidigen. Gleichzeitig zieht sich die Arbeiterinnenbewegung unter Führung der KPD zurück, ohne etwas gewonnen zu haben. Selbst ohne Führung und gegen die KPD geht der Streik noch für eine Woche weiter, bevor er vom neuen SPD-Innenminister durch das Auflösen des Fünfzehnerausschusses auch offiziell beendet wird.

… die von der KPD verpasst wurde

Eine revolutionäre Situation war 1923 während des Anti-Cuno-Streiks definitiv gegeben. Hätte sie aber auch zur Revolution geführt, wenn der Versuch unternommen worden wäre? Es ist leicht in belletristische Alternativweltgeschichte zu verfallen, besonders wenn man sich als Revolutionärinnen die Weltrevolution herbeiwünscht. Kann eine Revolution nur erfolgreich sein, macht der Aufstand, die Bewegung nur Sinn, wenn es sowohl eine Dynamik in den Massen gibt, als auch die Revolutionärinnen die Logistik der Waffen und ihre Organisation penibel geplant haben? Wenn der Erfolg feststeht? Und wann kann dies wirklich mit Sicherheit gesagt werden? Die Kalkulation dieser Rechnung wird nicht einfacher dadurch, dass es auch jene gibt, die immer zum Aufstand aufrufen, selbst wenn es dafür keinen Rückhalt in den Massen gibt und es auch nicht strategisch sinnvoll ist.

Die Führung der KPD war geprägt durch die traumatischen Erfahrungen zahlreicher Niederlagen ihrer Klasse, sowie durch den Verlust wichtiger Persönlichkeiten wie Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht. Wenn ein Aufstand scheitert, so ist es nicht leicht gesagt, dass er erneut unternommen werden kann, vielleicht lebt niemand mehr um ihn auszurufen. Die Revolutionärinnen in der KPD, die hingegen immer wieder den Aufstand forderten, waren verbittert über die Rolle der SPD, sahen häufig keinen Sinn in Gewerkschaften zu arbeiten oder zu versuchen, politische Partner unter linken Sozialdemokrat:innen zu gewinnen. Stattdessen sollten die sozialdemokratischen Arbeiter:innen in KPD-Organisationen eintreten und der Aufstand lieber heute als morgen stattfinden.

Wenn wir für heute versuchen wollen daraus etwas zu lernen, dann wäre es wohl, sich bewusst dessen zu sein, dass, was uns möglich erscheint, dadurch geprägt wird, was bisher gelang. Dass es aber auch entscheidend ist, sich selbst als Revolutionär:innen nicht darüber zu täuschen, was der Kampfeswille der Arbeiter:innenklasse ist. Dies gilt sowohl dafür, wenn er größer ist oder kleiner als der der Revolutionärinnen und wenn die Arbeiterinnen vielleicht eine andere Vorstellung davon haben was schon eine Revolution ist und was nicht. Es wäre im August 1923 wohl kein zweites Sowjetrussland entstanden, aber vielleicht ein wichtiger Schritt in Richtung von Räten und der Diktatur des Proletariats.

In einem späteren Artikel zu 1923 werden wir über den tatsächlichen Versuch der Revolution im Oktober 1923 schreiben, wo das Problem das umgekehrte ist. Die Dynamik der Massen ist nicht mehr da, aber der kommunistische Apparat versucht die Revolution herbeizuzwingen.

Kira Harper, Düsseldorf und

Dimitri Otto, Berlin

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert