Wieso Arbeiter*innen noch keine Pipelines in die Luft jagen

Der aus Schweden stammende Klimaaktivist (Ex-Anarchosyndikalist und Trotzkist) Andreas Malm hat kurz vor der Corona-Pandemie ein neues Buch geschrieben, das nun auf Deutsch vorliegt.

 Völlig richtig weist Malm darauf hin, dass uns die Zeit verlorengeht, die Erwärmung unter zwei Grad zu halten. Trotz aller Klimademos erhöhen die Fossilkonzerne den CO2-Ausstoß jährlich. Angesichts der Gewalt, die die Klimakatastrophe durch Überschwemmungen, Dürren, Hunger und Flucht vor allem über die Arbeitenden und Menschen im globalen Süden bringen wird, wundert er sich über die geduldige Gewaltlosigkeit der Klimabewegung. Es dürfe nicht mehr gewartet werden und jede Aktion, die den Klimawandel verlangsamt, sei geboten – seien es Angriffe gegen die extrem klimaschädlichen SUVs, seien es Blockaden oder Sabotage an Pipelines als Ergänzung zu Massendemonstrationen. Klimawandel bedeute Massensterben wie ein Dritter Weltkrieg – dagegen ist Gewalt gegen Eigentum erlaubt.

In „Wie man eine Pipeline in die Luft jagt“ geht es aber keinesfalls um technische Anleitungen für Aktionen. Wohl aber liefert Malm eine gute Darstellung der weltweiten Klimabewegung und eine fundierte Kritik am gewaltfreien politischen Konzept von Fridays For Future und Extinction Rebellion (XR).

Überzeugend widerlegt Malm die Argumentation von Pazifist*innen historisch insgesamt und holt sogar Gandhi von seinem Thron. Weiter greift er auch die „Blindheit“ des akademischen Milieus von XR gegenüber den Arbeitenden an, dessen Aktionen sich – wie bei der Blockade der Londoner U-Bahn 2019 – bisweilen direkt gegen Arbeitende richten.

Paradoxerweise weicht Malm trotzdem zentralen Fragen aus: Wie kann es gelingen, die Arbeiter*innenklasse dafür zu gewinnen, mit der ihr eigenen Kampfform des Streiks den Klimawandel nachhaltig zu begrenzen? Oder genauer: Wie können wir den vielen Klimaaktivist*innen, die bereits heute aus der Arbeiter*innenklasse kommen, bewusst machen, welche Macht und Möglichkeiten ihre Klasse hat? So sehr Malm fordert „klassensensibel“ zu sein, so wenig Ideen zeigt er hier. Dabei beweist sein eigenes Beispiel zweier US-Arbeiterinnen, die für ihre individuelle Sabotage von Pipelines und Bohrmaschinen von der US-Klassenjustiz lebenslang eingesperrt wurden, wie wichtig kollektive Aktionen sind.

Das ist die große Schwäche seines Buches. Denn so fördert es die Illusion, dass ohne die bewusste Massenaktion der Arbeitenden ein Aufhalten oder nur Verlangsamen des Klimawandels möglich sei.

Aber das Buch gibt trotzdem genug Anlass zum Nachdenken. Daher eine unbedingte Empfehlung!

Malm Andreas: Wie man eine Pipeline in die Luft jagt. Kämpfen lernen in einer Welt in Flammen. Matthes & Seitz, 211 S., gebunden, 18 €.

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