Wenn nur ein Teil willkommen ist …

 Wenn man den Krieg in der Ukraine kurz ausgeblendet hat, reicht es an den Berliner Hauptbahnhof zu gehen, um sich der Nähe und der drastischen Lage bewusst zu werden. Jeden Tag kommen hier tausende Menschen an, sie haben eine lange und strapaziöse Reise schon hinter sich und die meisten wollen weiter. Stand jetzt sind es insgesamt 3,5 Millionen Menschen, davon knapp über 200.000 in Deutschland. Ein Großteil der Arbeit wird von einer Schar an freiwilligen Helfer:innen übernommen. Die Lage scheint unübersichtlich und improvisiert und erinnert stark an 2015. Dennoch ist es deutlich erkennbar, dass zwar die staatliche Unfähigkeit der Situation im Weg steht, aber nicht dieselbe Unwilligkeit wie noch vor sieben Jahren.

 Vor dem Hauptbahnhof steht ein großes Zelt, mit vielleicht zufälligem aber sicher nicht unpassendem Blick auf das Reichstagsgebäude. Es wird die „Welcome Hall Land Berlin“ genannt. Hier wird essen verteilt und vor ein paar Tagen kam auch hoher Besuch: Bundes­präsident Steinmeier kam von Schloss Bellevue vorbeispaziert und warf sich ins Getümmel, um die guten Absichten der Bundesrepublik zu bekräftigen. Er betonte den Dank für die Helfenden – Dank bekam man auch 2015 ohne Ende, dass sich der Ausbau der Infrastruktur für Geflüchtete seitdem kein Stück ver­bessert hat, geht offensichtlich unter.

Ohne Freiwillige geht mal wieder nichts

Denn das ist unschwer erkennbar, die Lage gerät mehr und mehr außer Kon­trolle. Koordinator:innen von Organi­sationen wie „Moabit hilft“ und anderen Verbänden weisen auf immer mehr Missstände in der Versorgung in Berlin hin. Weder die Essensversorgung noch die medizinische Betreuung des Senats würde funktionieren. Die neu einge­richtete Notunterkunft am Flughafen Tegel läuft schleppend (Tegel: Die eier­legende Wollmilchsau des Berliner Leer­standes – von Flughafen über Impf­zentrum bis Notunterkunft in unter zwei Jahren). Unternehmen, wie die Telekom und die Deutsche Bahn stellen ihre Hilfsbereitschaft unter Beweis: Zug­fahrten Richtung Deutschland sind kostenlos, am Hauptbahnhof werden Züge als Notschlafplätze bereitgestellt. Die Telekom verteilt Simkarten und gestattet kostenfreie Anrufe in die Ukraine. So viel Hilfsbereitschaft, nach­dem eines der Hauptprobleme der Men­schen 2015 war, nachzuvollziehen, das Geflüchtete im Besitz eines Smart­phones sind. Jetzt scheint offen­sichtlich auf Wirtschaftsebene die Bereitschaft groß zu unterstützen.

Doch auf Regierungsebene spricht man mal wieder über den „Verteilungsschlüssel“. Also welches Bundesland kann wie viele Menschen aufnehmen. Steinmeier betonte, dass man dieses Mal besser vorgehen wolle und Streitigkeiten bei der Verteilung Schutzbedürftiger auf die Bundesländer, wie es sie in der Vergangenheit gab, ver­meiden wolle.

Eines muss an dieser Stelle betont werden: Natürlich haben die Menschen, die gerade aus der Ukraine fliehen An­recht auf Hilfe und auf das, was man in Deutschland brechreizerregend „Willkommenskultur“ nennt. Aber ge­nauso sollten alle Menschen ein Anrecht darauf haben. Und wie sehr das nicht stimmt, wird einem gerade zunehmend vor Augen geführt. Die Beispiele sind zahlreich und sicherlich nicht nur in Deutschland so krass zu erkennen, aber bleiben wir vorerst bei den Absurditäten der Bundesrepublik. Es beginnt schon bei den Begriffen. In Bezug auf aus der Ukraine geflohene Menschen spricht man in der deutschen Politik mittler­weile von Vertriebenen, bei denen, die 2015 kamen oder im letzten Winter in Belarus an der Grenze erfroren, von Mig­rant:innen. Damit wird die Haltung schon recht klar vermittelt. Einem Ver­triebenen bleibt ja schon begrifflich nichts anderes übrig, als zu fliehen, Migrant:innen scheint das aber frei zur Wahl zu stehen.

Kurz nach Ausbruch des Krieges warfen Gäste der Sendung „Hart aber fair“ mit Formulierungen wie „unser Kulturkreis“, die Opfer dieses Krieges seien „blond und blauäugig“, um sich. Innen­ministerin Nancy Faeser bekräftigte, man würde sich um ein unbürokratisches Aufnahmeverfahren bemühen, es solle kein klassisches Asylverfahren geben, der Zugang zu Arbeitsmarkt und Krankenversicherung soll gewährleistet werden. Und das ist gut so, keine Frage. Es gibt starke Unterschiede in der Behandlung der Menschen, die kamen, und die jetzt kommen. Das liegt auch an einer verzerrten Wahrnehmung, wie sie die Berliner Bürgermeisterin Franziska Giffey unlängst schilderte: Gerührt spricht sie in einem Interview davon, dass die ukrainischen Geflüchteten nach der Ankunft nur Fragen, wo man arbei­ten könne – und nicht nach Sozial­leistungen. Woher sie diese Infor­mationen nimmt, ist nicht klar, was sie aber impliziert, doch sehr deutlich: die weithin beliebte Erzählung von „gutem Flüchtling, bösem Flüchtling“.

Die Erzählung von „guter Flüchtling – böser Flüchtling“

Eine Erzählung, die sich europaweit immer wieder wiederholt. Deren Effekte deutlich zu sehen und zu spüren sind und waren, denn die Behandlung, die selbstverständlich einem Geflüchteten aus der Ukraine zuteil wird, ist bei nicht-weißen Geflüchteten auf einmal über­haupt nicht mehr selbstverständlich, selbst wenn sie aus der Ukraine fliehen. Denn auch diese Berichte gibt es immer wieder: nicht-weiße Menschen, die aus den Zügen gedrängt werden, getrennte Einreiseschlangen an den Grenzen zu Rumänien oder Polen, aber auch klare Zurückweisung an den Grenzen.

Aber nicht nur in Deutschland bewegt sich gerade auch viel an Stellen, an denen bis vor wenigen Monaten noch viele Dinge sehr unbeweglich schienen. Noch im Dezember harrten tausende Menschen am Grenzzaun zwischen Belarus und Polen aus, weil man sie eben nicht reinlassen wollte. Und wo sich 2015 bei der Frage um die Auf­teilung von ca. einer Millionen Geflüchteter aus Syrien um die Vertei­lungsschlüssel gestritten wurde, herrscht nun beeindruckende Einigkeit. Denn nicht nur Polen und Ungarn haben bei der Aufnahme von Geflüchte­ten rassistische Vorlieben, sondern alle. Begründet wird das dann mit ver­meintlich größerem Integrationswillen, dem „geteilten Kulturkreis“ oder stumpf: der Haut- und Haarfarbe.

Kriege und Krisen weltweit

Man sieht sich fähig, damit fertig zu werden, heißt es aus allen Richtungen der EU, und passt die europäische Geset­zeslage an. Dieses Mindestmaß an Schutz aufzubringen, war an so vielen anderen Stellen in der Vergangenheit nicht möglich. Erst letztes Jahr, als die Taliban nach Kabul vorrückten, überließ man so viele Menschen einfach ihrem Schicksal. Es wurde sich in Ausreden und Unwissen geflüchtet und auch Ortskräfte wurden einfach zurück gelassen. Und auch hier wieder: über Spenden und freiwillige Arbeit wird mit der Luftbrücke Kabul versucht, Menschen, die zurückgelassen wurden, zu retten.

Es sind diese Konflikte im globalen Süden, die Kriege und Hungersnöte, die durch deutsche Politik und Waffen­handel ausgelöst, verschlechtert und immer weitergetrieben werden. Zuletzt machte ein etwas zerknirscht aussehender Robert Habeck eine globale Shoppingtour auf der Suche nach Kohle, Öl und Gas. In Russland könne und wolle man diese Rohstoffe nicht mehr einkaufen – aber nur in Demokratien kann man ja auch nicht kaufen. So kauft man also bei Katar ein – Katar? Ah ja, Katar. Gerade bekannt durch eine recht blutige WM-Baustelle mit dem Stich­wort moderne Sklaverei – und auch dafür, im Krieg im Jemen die Finger im Spiel zu haben. Geld überweist die Bundesregierung nun also an ein anderes Land, das Krieg führt, und die Menschen, die vor diesen Kriegen fliehen, werden leider nicht Vertriebene sein; sondern Migrant:innen.

Gegen jeden Rassismus

So ist der Rassismus aus dieser Situation nicht wegzudenken – er prägt die Lage. Rassismus gegen Geflüchtete, die in den vergangenen Jahren nicht so aufge­nommen wurden, wie man es sich wünschen würde, Rassismus gegen nicht-weiße Geflüchtete aus der Ukraine und Rassismus gegen Russ:innen, die in Deutschland leben, die angegriffen werden für Putins Krieg. Gegen all diese Spaltungen gilt es einzutreten, und sie zu bekämpfen. Kein Mensch ist illegal!

Maria Brücke, Berlin

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