S-Bahn Berlin: Keine Häppchen für Investoren!

Die Berliner Landesregierung aus Sozialdemokraten, Die Linke und Grünen hat im November – wie erwartet – beschlossen, zwei Drittel des Berliner S-Bahnnetzes auszuschreiben, nachdem das erste Drittel bereits Investoren angeboten worden war. Bislang fährt nur die S-Bahn Berlin GmbH, eine Tochter der Deutschen Bahn, auf dem Netz. Das soll sich ändern. Zur Bahnreform in Deutschland zählt auch die Übertragung der Organisation der regionalen Personenverkehre in die Hände der Bundesländer, Landkreise und von diesen gegründeter Verkehrsverbünde. Seitdem lautet das Mantra: mehr und mehr Wettbewerb.

Seit vielen Jahren werden Regionalstrecken ausgeschrieben. Das heißt, einzelne Linien werden von Bundesländern bzw. Verkehrsverbünden „angeboten“ und Bahnunternehmen können sich darauf „bewerben“. Dem Gewinner winkt ein Verkehrsvertrag von 10 bis 15 Jahren – Eine Garantie für Gewinne, bislang jedenfalls. Denn in dieser Zeit hat das Bahnunternehmen ein Monopol auf dieser Strecke.

Je nach Vertragsgestaltung stehen ihnen zum Beispiel die Ticketeinnahmen zu. Gefüttert werden sie zusätzlich mit üppigen Beträgen der Bundesländer. Die Bahnindustrie, zum Beispiel Bombardier und Siemens, wiederum freut sich über Großaufträge, denn bei Neuvergaben werden in der Regel auch neue Züge angeschafft. Finanzinstitute verdienen an notwendigen Krediten.

Dieser sogenannte Wettbewerb bedeutet, dass der Staat die Grundlage für private Bereicherung schafft.

Die Einsparungsmaschinerie läuft auf Hochtouren

Die DB mit ihrer Bahntochter Regio fährt heute nur noch etwa 60% der Strecken deutschlandweit. Den Rest teilen sich diverse Tochterunternehmen europäischer Staatsbahnen, kommunale Betreiber oder sog. Privatbahnen. Anfangs schien es – jedenfalls von außen betrachtet – dass das mehr und neuere Züge auf die Gleise bringt. Doch die Nachteile wurden schnell klar. All das geht in erster Linie auf Kosten der Bahnbeschäftigten, denn die ManagerInnen sehen „Potenziale“ für ihre „Kostenkalkulationen“ in erster Linie bei ihnen.

Die Folgen davon sind fehlendes Personal, vor allem bei den LokführerInnen, unglaublich anstrengende Arbeitsbedingungen mit flexiblen Schichten rund-um-die-Uhr und hohem Arbeitsstress, und ungenügende Wartung der Züge. Frühschichten, die um 4 Uhr beginnen und 10 oder 12 Stunden dauern, sind keine Ausnahme.

Zugausfälle sind Normalität. Alles das ist auch Alltag bei der Berliner S-Bahn. Auf dem Land führen Privatisierung und Einsparungen auch dazu, dass Linien und Fahrzeiten der unterschiedlichen Unternehmen nicht mehr aufeinander abgestimmt sind, wodurch für Fahrgäste oft lange Wartezeiten entstehen. Das bringt die Menschen dazu, dem Auto den Vorzug zu geben…

Ausschreibung – auf ein Neues hoch Drei!

Trotz dieser Erfahrungen huldigt der Senat von Berlin mit einer „grünen“ Verkehrssenatorin (!) weiterhin dem “heiligen Wettbewerb“ und setzt dem ganzen noch die Krone auf: die beschlossene Mega-Ausschreibung der beiden Teilnetze beinhaltet neben dem Betrieb der Teilsysteme auch eine separate Ausschreibung für neue Fahrzeuge und deren Instandhaltung. Das Land Berlin ist bereit, für mehrere Milliarden Euro die Züge für die nächste Ausschreibung zu kaufen und Eigentümer zu werden. Für die BahnbetreiberInnen, die die Fahrzeuge zur Verfügung gestellt bekommen, ist das eine große Unterstützung, denn die Verkehrsverträge laufen kürzer als die Züge halten. Das Land Berlin will auch große landeseigene Grundstücke für neue Werkstätten zur Verfügung stellen – neben den längst bestehenden, für deren Beschäftigte die Zukunft nun unklar ist.

Am Ende könnten sich auf diese Weise drei Bahnunternehmen, mehrere Fahrzeughersteller, nebst Werkstätten, Berlin als Betreiber eines Fahrzeugpools und eine Beschäftigungsgesellschaft für Werkstattpersonal (ein Art Leiharbeitsbetrieb) auf dem S-Bahn-Netz tummeln. Aber sicher ist derzeit nichts. Die S-BahnerInnen wissen, diese Zerstückelung in portionsgerechte Häppchen für InvestorInnen würde die bestehenden Probleme nur noch potenzieren.

Ausnahmezustand und Verschlechterung der Arbeitsbedingungen

Vor und nach jeder Ausschreibung herrscht außerdem zusätzlicher “Ausnahmezustand“. In den Werkstätten drehen die ManagerInnen an der Zeitschraube und machen Druck wie bei den LokführerInnen, bei denen vor allem Arbeitsorte, -beginn und -ende noch flexibler gestaltet werden sollen.

An der Ausbildung wird gespart, genauso wie bei der Technik. Einzelne Bereiche, wie z.B. Aufsichten, wurden bereits ganz weggespart. Angesichts dessen gehen immer mehr KollegInnen „freiwillig“ zu anderen Bahnunternehmen.

Die Behandlung des „Patienten“ Bahn mit der Methode Ausschreibung hat den Gesundheitszustand verschlechtert. Die Antwort der Politik als Handlangerin der Bahnindustrie und Finanzinstitute (und der Autoindustrie…) heißt: Erhöhen wir die Dosis, auch wenn sie tödlich ist!

Was die S-BahnerInnen in den Pausenräumen diskutieren, ist das komplette Gegenteil: die Gleise müssten ausgebaut und die Taktung erhöht, die Wartung verbessert, massiv eingestellt und die Schichten entlastet werden. Wenn dazu der Nahverkehr kostenlos wäre, wäre das ein echter Segen: für die BahnerInnen, die Fahrgäste und das (soziale und sonstige) Klima!

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Buchempfehlungen

Bernhard Knierim/Winfried Wolf: Abgefahren. Warum wir eine neue Bahnpolitik brauchen, PapyRossa Verlag, 2019

Arno Luik: Schaden an der Oberleitung. Das geplante Desaster der Deutschen Bahn, Westend Verlag, 2019

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