
Die „immerwährende“ Neutralität gilt als Grundlage der Unabhängigkeit des Österreichischen Staats. Der Ukraine Krieg hat in den Parlamentsparteien, aber auch in der Linken, neue Debatten über Verständnis und Zukunft der Neutralität aufgeworfen.
Mit Ende des Zweiten Weltkriegs wurde Österreich von den alliierten Siegermächten besetzt und in Besatzungszonen aufgeteilt. Die russische Führung wünschte sich ein neutrales Österreich als Pufferzone zwischen Sowjetunion, Warschauer Pakt Staaten und den westlichen Ländern. Am 26. Oktober 1955 (heute Nationalfeiertag) wurde die „immerwährende Neutralität“ in die Bundesverfassung aufgenommen und die Besatzung beendet. Mit anderen Ländern wurde die Neutralität nicht vertraglich vereinbart, sie ist eine einseitige Erklärung.
Entwicklung der Neutralität
Das Verständnis der Neutralität, die real eher einer militärischen Nichteinmischung entsprach, hat sich im Laufe der Zeit gewandelt. Unter dem sozialdemokratischen Kanzler Bruno Kreisky wurde ab den 1970ern eine aktivere Neutralitätspolitik vertreten, was eine vermittelnde Rolle bei internationalen Konflikten bedeutete. Wirtschaftlich hat sich diese Politik sowohl in Hinblick auf die Ansiedlung eines UNO Hauptsitzes, einer OPEC1 Niederlassung und der IAEO2 in Wien, als auch guter Beziehungen zu arabischen Staaten, gelohnt.
Österreich war seit Ende des Zweiten Weltkriegs durchgängig politisch und wirtschaftlich mit dem „Westen“, allen voran Deutschland, verbunden. Die Neutralität ermöglichte aber ein besseres Verhältnis zu osteuropäischen Ländern. Das waren ideale Startbedingungen, um die EU-Osterweiterung für imperialistische Geschäfte in Osteuropa und am Balkan zu nutzen.
Mit dem EU-Beitritt 1995 wurde die Neutralität aufgeweicht. Bereits 1991 trat Österreich der Nato-Partnerschaft für den Frieden bei. Waffenlieferungen durch Österreich wurden zunehmend ermöglicht, ebenso wie Waffenexport. Österreich beteiligt sich auch an verschiedenen EU-Battlegroups. Mit dem Drohnen Hersteller Schiebel und den Schusswaffen-Produzenten Glock und Steyr werden auch in beträchtlichem Ausmaß Waffen exportiert.
Aktuelle Debatten
Mit dem Ukraine-Krieg wurden Stimmen lauter, etwa in der ÖVP, welche die Neutralität für beendet erklären und der NATO beitreten wollen. Für die NEOS ist die Neutralität schon seit längerem überholt, sie pochen auf eine EU-Armee. Auch bei Grünen und in der Sozialdemokratie gibt es solche Stimmen.
Die SPÖ Vorsitzende Pamela Rendi-Wagner tritt hingegen deutlich für die Beibehaltung der Neutralität auf – ebenso wie die rechtsextreme FPÖ, die viele Jahre freundschaftlich mit Putins Partei Einiges Russland verbunden war und sich an der pro-ukrainischen Position der türkisgrünen Regierung stört. Auch wenn Kanzler Nehammer die Diskussion um die Neutralität für beendet erklärt und ihre Beibehaltung verkündet hat, wird das nicht vor Aufrüstung und Militarisierung, in Abstimmung mit anderen EU-Staaten, schützen.
Revolutionäre Perspektiven
Als Revolutionär:innen verklären wir die Neutralität nicht. Österreich war immer Teil „des Westens“ und hat immer auch von dessen Kriegen und imperialistischen Expansionen profitiert. Dank Neutralität konnte es auch mit der Gegenseite profitable Geschäfte machen, wie es jetzt auch nicht von den massiven Gaslieferungen Russlands abgehen möchte. Im Ukraine-Krieg ist Österreich klar Teil des westlichen Blocks – man liefert jedoch keine Waffen, sondern nur zivile Schutzausrüstung. Bei einer weiteren Verschärfung der innerimperialistischen Konflikte, die in einem umfassenderen Krieg münden könnten, wird auch Österreich klar Stellung beziehen und die Neutralität nicht mehr das Papier wert sein, auf das sie geschrieben steht.
Für uns ist klar, dass unser Hauptfeind der österreichische und EU-Imperialismus ist und wir uns gegen jegliche Aufrüstung und Kriegseinsätze stellen. Dabei gehen wir nicht von einer pazifistischen Position aus, sondern sehen in der Niederlage des eigenen Imperialismus das kleinere Übel und Mittel zum Sturz der Regierung und der Überwindung des Kapitalismus.
Florian Weissel, Wien
Fußnoten
1 Organisation erdölexportierender Länder
2 Internationale Atomenergie Organisation