„Femizide – Frauenmorde in Deutschland“

Von Femi(ni)ziden wird gesprochen, wenn ein Mord an Frauen* geschlechtsspezifisch motiviert ist. Wenn also Männer Frauen* töten, weil sie glauben, ein Recht auf das Leben oder den Körper einer Frau* zu haben. In den letzten drei Jahren findet dieser Begriff in Deutschland und Österreich zu Recht größere Verbreitung – in Medien, Gewaltschutzorganisationen und Politik. Denn die Verwendung des Begriffs beinhaltet auch die Anerkennung, dass die alltägliche Gewalt, die Männer gegenüber Frauen* ausüben und die nicht selten in einem Mord oder Mordversuch endet, systematisch und gesellschaftlich angelegt ist. Jeden dritten Tag wird in Deutschland eine Frau* getötet, weil sie eine Frau* ist (2020: 139 Fälle), und fast täglich wird versucht, eine (Ex-)Partnerin zu töten (2020: 319 Fälle).

Das Buch „Femizide – Frauenmorde in Deutschland“ ist Anfang 2022 erschienen. Ausgang für die Recherche der beiden Autorinnen war ein Mord am helllichten Tag an einer jungen Frau in einem Stadtwald im Frühjahr 2020 durch ihren Ex-Partner. Die junge Frau wurde brutal erschlagen, während sie ihr kleines Kind auf dem Arm hielt.

Julia Cruschewitz und Carolin Haentjes erklären in ihrem Buch komplexe Zusammenhänge leicht verständlich – auch für Personen, die sich bisher nicht mit den Themen Gewalt gegen und Morden an Frauen beschäftigt haben. Neben einem konkreten Bezug zur Praxis wird dies auch dadurch erreicht, dass verschiedenste Personen zu Wort kommen: Überlebende, Zeug:innen, Sozialarbeiter:innen, Wissenschaftler:innen, Psycholog:innen, Anwält:innen etc.

Die Autorinnen beschreiben in zehn Kapiteln, was Femizide sind und was geschlechtsspezifische, sexualisierte und häusliche Gewalt sind. Sie berichten anhand konkreter Fallbeispiele davon, welche Behörden (Polizei, Gerichte, Jugendämter etc.) und Institutionen (Opferschutzberatungen, Frauenhäuser, Täterberatungen etc.) bei häuslicher Gewalt involviert sein sollten und warum sie viel zu selten zusammen-arbeiten. Sie zeigen auf, warum z. B. Jugendämter den gewalttätigen Kindsvätern trotz vorausgegangener häuslicher Gewalt Umgangsrecht für die Kinder ermöglichen, ohne dabei die Auswirkungen der Gewalt für die Ex-Partnerin oder für die Kinder zu berücksichtigen.

Die Autorinnen berichten aber auch, dass es für von häuslicher Gewalt betroffene Frauen und ihre Kinder nur halb so viele Plätze in Deutschlands Frauenhäusern gibt, wie nötig, und was es für fatale Folgen haben kann, wenn eine Frau mit ihren Kindern dringend Hilfe benötigt, aber kein Frauenhaus-platz zur Verfügung steht. Außerdem zeigen sie einmal mehr, wie ungerecht die deutsche Rechtsprechung ist: Hat es eine Frau geschafft, eine gewaltvolle Beziehung zu überleben, sich aus ihr gelöst und gegen ihren Ex-Partner Anzeige erstattet, so zeigen deutsche Richter:innen oft mehr Verständnis für gewalttätige (Ex-)Partner als für die Opfer. Dies äußert sich vor allem in milden Urteilen gegen die Täter: Denn oft wird eine enge emotionale Bindung zum Opfer absurderweise als strafmildernd, nicht als straf-verschärfend, gewertet.

Das Buch macht deutlich, dass es sich bei den aufgezeigten Fallbeispielen nicht um Einzelschicksale handelt, sondern dass geschlechtsspezifische Gewalt gegen und Morde an Frauen* eine logische Konsequenz der bestehenden, ungleichen Geschlechterrollen in unserer Gesellschaft sind. Sie zeigen erste Lösungsansätze und Handlungsschritte auf und betonen, dass auch Männer bei der Überwindung der bestehenden Geschlechterrollen dringend mit ins Boot geholt werden müssen. Unerwähnt bleibt leider, dass einer Aufhebung der Geschlechterrollen im Kapitalismus Grenzen gesetzt sind, denn letztendlich profitiert das Kapital von der Spaltung der Gesellschaft – also auch von der Frauenunterdrückung, durch die sich sowohl Geld sparen als auch Geld verdienen lässt. Doch unabhängig davon ist dies informative Buch sehr lesenswert.

Lovis Aldonathea, Berlin

Fußnoten

* Unter dem Begriff „Frau“ werden an dieser Stelle weiblich gelesene Personen verstanden, also Personen, die als „Frau“ wahrgenommen werden.

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