Die deutsche Wirtschaft in der Corona-Krise

Für die Unternehmen ist seit Beginn der Corona-Krise nichts drängender, als die Produktion überall wieder hochzufahren und die „verlorenen“ Monate aufzuholen. Schon das erste Quartal 2020 entsprach nicht den Wachstumswünschen der Kapitalist*innen, das zweite Quartal brachte dann ein Minus von 10,1 % 1 . Die Wirtschaftsvertreter*innen werden nicht müde, auf dieses „Drama“ hinzuweisen und auf staatliche Finanzierungsprogramme und Verschlechterungen bei den Arbeitsbedingungen zu drängen. Mit der ständigen Drohung von massivem Stellenabbau – und das sind nicht nur Drohungen – soll ein Klima geschaffen werden, in denen die Beschäftigten bereit sind, große Einschnitte hinzunehmen. Dass die Gewerkschaftsführungen sich dabei ganz auf die Seite der großen Konzerne gestellt haben und viele Forderungen der Unternehmen – vor allem in der Autoindustrie – unterstützen und wiederholen, macht es für die Arbeiter*innenklasse in Deutschland nicht leicht, kämpferisch zur Verteidigung der eigenen Interessen dagegen zu halten.

Deutschland ist in Europa Vorreiter, was die finanziellen Hilfen für Unternehmen angeht. Bis Mai hatte die Bundesregierung 1.173 Milliarden Euro an Hilfen zur Verfügung gestellt. Das sind teilweise direkte Zahlungen, aber auch Kredite und Garantien. Anfang Juni kam ein Konjunkturpaket mit 130 Milliarden hinzu. Von den Geldern profitieren auch kleine Betriebe und Solo-Selbständige, aber die Großkonzerne sind die mit Abstand größten Profiteure. Ihnen stehen neben den Hilfspaketen noch andere Möglichkeiten zur Verfügung, wie im Fall der Lufthansa direkte staatliche Hilfen von 9 Milliarden Euro.

Dazu kommen die Corona-Hilfsprogramme der Europäischen Union und ihrer vielen Institutionen. Es ist nicht leicht, da den Überblick zu behalten. Auf dem EU-Gipfel Ende Juli wurde noch ein Konjunkturpaket von 750 Milliarden Euro beschlossen.

Die wirtschaftliche Krise in Folge der Corona-Krise trifft die deutsche Wirtschaft ganz unterschiedlich. Der Automobilsektor, mit 800.000 direkt Beschäftigten einer der größten in Deutschland, klagte schon vor Corona über eine weltweite Absatzkrise und hohe Kosten für die Umstellung auf Elektro-Autos und stärkere Digitalisierung der Produktion. Schon vor Corona hatte praktisch die ganze Branche Stellenabbau-Programme aufgelegt und damit begonnen sie umzusetzen. Aber vergessen wir nicht, dass die Großen der Branche trotz alledem hohe Gewinne gemacht haben, Volkswagen hat seine sogar noch gesteigert. Wenn also die Autoindustrie nun in Anbetracht der Corona-Krise weitere staatliche Hilfen verlangt und die Arbeitsrechte schleifen will, dann ist Corona nur eine Gelegenheit mehr, die Gewinne zu retten oder sogar zu steigern. Das heißt nicht, dass es keine „Verlierer“ geben wird und nicht einige Unternehmen pleite gehen und verschwinden werden, vor allem in der Autozulieferindustrie. Aber das ist eine Folge des unbarmherzigen Kampfes in der globalen Autoindustrie. „Verlierer“, das sollen vor allem die Beschäftigten werden. Der Unternehmensverband Gesamtmetall erwartet, dass die deutsche Wirtschaft aus der Krise „gestärkt hervor geht“.

Gewinner sind aber – fast überall – die Großaktionär*innen, die auch 2020 Dividenden ausgeschüttet bekommen haben… wenn sie auch manchmal geringer ausgefallen sind als geplant. Im Fall von Volkswagen besteht ihr „Opfer“ darin, auf die fest geplante erhebliche Steigerung verzichten und sich mit Zahlungen wie im Vorjahr begnügen zu müssen2.

Auswirkungen auf die Arbeitenden: Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit

Laut aktuellen Zahlen der Bundesagentur für Arbeit waren im April 6,83 Mio. und im Mai 6,6 Mio. Menschen in Kurzarbeit3. Eine nie dagewesene Größenordnung. In vielen Fällen werden die Unternehmen die Kurzarbeit genutzt haben, schlicht über den Staat einen Teil der Löhne zu finanzieren. Dass auch Volkswagen, Lufthansa und andere Konzerne dieser Größe massenhaft die Beschäftigten in Kurzarbeit geschickt haben, hat Viele empört. Zusätzlich sind seit März die Arbeitslosenzahlen um über 620.000 angestiegen. Die offizielle Arbeitslosenquote liegt jetzt bei 6,4%. Alle Prognosen gehen davon aus, dass die Arbeitslosigkeit hoch bleiben oder sogar steigen wird (trotz „Erholung“ der „Wirtschaft“, also der Profite)! Kein Tag vergeht, an dem nicht ein großes Unternehmen Entlassungen ankündigt, wie beispielsweise Lufthansa, easyjet und Continental4.

Dazu kommen die vielen befristeten Verträge, die die Unternehmen derzeit lieber auslaufen lassen. Rund 41% der jungen Beschäftigten sind inzwischen nur noch befristet angestellt. Auch viele Studierende haben existenzielle Sorgen, weil Jobs weggefallen sind und Eltern nicht immer – oder nicht auf Dauer – unter die Arme greifen können.

Angriffe auf die Arbeitsbedingungen, unterstützt von den Gewerkschaftsspitzen

Die Unternehmen haben früh auf die Lockerung der Arbeitsrechte gesetzt. Das betraf zum einen die Ausweitung der Arbeitszeit in den „systemrelevanten“ Berufen, beispielsweise in den Krankenhäusern. Aber das war nur der Türöffner für viel weitreichendere Forderungen. Der Unternehmensverband Gesamtmetall, und in ihm die Autobranche, haben im Mai ein Papier mit ihren „Vorschlägen für die 2. und 3. Phase der Corona-Krise“ veröffentlicht5. Diese „Vorschläge“ sind eine Kampfansage: Verzicht auf Klimaschutzregeln, Forderung nach staatlichen Konjunkturprogrammen, Rücknahme der Pläne für eine Mindestrente, Ausweitung befristeter Verträge, flexiblere Arbeitszeitregelungen mit längeren Arbeitszeiten pro Tag und kürzeren Ruhezeiten, Rentenkürzungen, Ausweitung der Leiharbeit, Beschränkung der Rechte der Betriebsräte bei Arbeitszeiten und Arbeitsschutz, leichtere Regeln bei Massenentlassungen. Die Senkung der Arbeitsschutzstandards wegen des Corona-Virus ist dabei einer der zentralen Punkte („der Virus ist letztendlich Teil des allgemeinen Lebensrisikos“). Der Forderungskatalog ist natürlich keine Überraschung. Ein Forderungskatalog der Arbeitenden ist in Anbetracht dessen immer dringender.

Die Rolle, die die Leitungen der Gewerkschaften spielen, ist skandalös. So hat nicht nur der Chef des Deutschen Gewerkschaftsbundes zu Beginn der Corona-Krise mit dem Chef der „Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände“ offiziell einen Burgfrieden geschlossen. Die Gewerkschaftsapparate haben sich auch geschlossen hinter die Kurzarbeit und die Forderung nach staatlichen Hilfsprogrammen gestellt. Dass die Unternehmen und Aktionäre aus ihren aktuellen und früheren Gewinnen selbst zahlen könnten und sollten, das war nicht mal eine Erwähnung wert.

Die IG Metall hat im Juni – ziemlich schnell und ohne große Aufmerksamkeit zu erregen – für das wichtige Auto-Bundesland Baden-Württemberg einen Kollektivvertrag (Tarifvertrag) abgeschlossen, der es einzelnen Unternehmen ermöglicht, Löhne zu kürzen, indem Urlaubsgeld und Schichtzulagen gestrichen werden. Außerdem können – auf jeweils einzelne Unternehmen bezogen – Befristungen ausgeweitet werden. Die IG Metall verkauft das als Erfolg: betriebsbedingte Kündigungen würden so verhindert. In allen Tarifverhandlungen, die anstehen – aktuell zum Beispiel bei der Deutschen Bahn und im Öffentlichen Dienst – verlangen die „Arbeitgeber“ Nullrunden und sogar Kürzungen. Nach den Prognosen der Wirtschaftsexpert*innen steigt im Herbst die Wachstumskurve wieder steil an. Aber sicher steigt in derselben Zeit auch die Kurve der Empörung und Enttäuschung.

In der Corona-Krise haben Unternehmensvertreter*innen, Gewerkschaftsspitzen und alle Parteien, einschließlich der Linkspartei, eine große Einheit gebildet. Wut und Enttäuschung könnten sie alle zusammen diskreditieren.

Referenzen

  1. https://www.bundesbank.de/de/publikationen/berichte/monatsberichte/monatsbericht-august-2020-841042
  2. https://www.manager-magazin.de/finanzen/boerse/dividende-diese-unternehmen-bieten-gute-dividendenrendite-a-a301992c-fd60-491f-8f64-bde21c184f98 und https://www.handelsblatt.com/unternehmen/industrie/autoindustrie-vw-mit-milliardenverlust-aktionaere-bekommen-eine-milliarde-euro-weniger/26050044.html?ticket=ST-7272400-2lEHkFAyd19lA6bcR3Ra-ap4
  3. https://statistik.arbeitsagentur.de/Statistikdaten/Detail/202008/arbeitsmarktberichte/monatsbericht-monatsbericht/monatsbericht-d-0-202008-pdf?_blob=publicationFile
  4. https://www.hessenschau.de/wirtschaft/continental-will-auch-werk-in-karben-schliessen,continental-karben-100.html
  5. https://www.gesamtmetall.de/sites/default/files/downloads/gesamtmetall-vorschlaege-fuer-die-corona-krise.pdf

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