Antisemitismus und antipalästinensischer Rassismus

Nicht erst seit dem 7. Oktober müssen sich Kritiker:innen der israelischen Politik regelmäßig als „Antisemiten“ beschimpfen lassen. So absurd und konstruiert dieser Vorwurf auch oft ist, so klagen gleichzeitig viele jüdische Menschen in Europa über einen tatsächlich wachsenden Antisemitismus, Beleidigungen und auch tätliche Angriffe. Wie sollen Revolutionär:innen damit umgehen?

Die Herrschenden in Deutschland und Österreich verwenden den Vorwurf des Antisemitismus als Waffe, um Kritiker:innen einzuschüchtern. Selbst der Generalsekretär der UNO musste sich vor wenigen Wochen in der rechten Zeitung „Die Welt“ als Antisemit bezeichnen lassen, als er nach klarer Kritik an der Hamas davon sprach, dass deren Überfall am 7. Oktober „nicht im luftleeren Raum“ und nach „56 Jahren erdrückender Besatzung“ stattgefunden habe. Die Kritik an der UNO durch die rechtsextreme israelische Regierung fiel ähnlich aus. Tatsächlich werden im Moment in einem bisher ungeahnten Maße
Demonstrationen verboten oder mit Auflagen überzogen (in Düsseldorf mussten z. B. am 4. November Plakate überklebt werden, die „Stoppt den Massenmord in Palästina“ enthielten). Der – tatsächlich unklare aber bisher nicht gesetzlich verbotene – Satz „From the river to the sea, Palestine will be free“ wird kriminalisiert, und teilweise wird an Schulen sogar das Tragen des „Pali-Tuchs“ verboten. Das heißt, die palästinensische Identität an sich soll jetzt schon antisemitisch sein? Das ist nichts anderes als antipalästinensischer Rassismus, der als „Kampf gegen Antisemitismus“ verkleidet wird.

Überall auf der Welt gibt es Jüd:innen, die Israels aktuelle Politik aber auch die jahrzehntelange Besatzung kritisieren (siehe den Artikel auf der linken Seite). Diese Proteste sind ganz sicher nicht antisemitisch, doch genau dies wird ihnen vorgeworfen.

Gerne sprechen Politiker:innen jetzt über den „importierten Antisemitismus“. Und das in Deutschland, acht Jahrzehnte nach dem Holocaust an den europäischen Jüd:innen und vier Jahre nach dem antisemitischen Attentat in Halle. Doch nun werden plötzlich Migrant:innen für jeglichen Antisemitismus verantwortlich gemacht und Deutschland stellt sich als Moralapostel dar.

Und doch gibt es selbstverständlich wirklichen Antisemitismus und auch tatsächlich antisemitische Kritik am israelischen Staat. Es ist die Aufgabe von Revolutionär:innen, diesem schonungslos zu begegnen. Zu diskutieren und zu überzeugen, wo es geht, aber auch z. B. Demonstrationen vor Antisemit:innen zu schützen. Der Vorwurf „die Juden“/Israel würden jetzt mit den Palästinensern machen, „was die Nazis mit ihnen gemacht haben“, ist gerade in Deutschland und Österreich eine Verharmlosung der Verbrechen der Nazifaschist:innen. Ob es Unwissenheit oder Vorsatz ist, wenn dies gesagt wird, müssen wir im Gespräch herausfinden.

Jüdische Menschen sind an sich so wenig für die Politik Israels verantwortlich wie Katholiken für den Papst oder türkische Arbeiter:innen für Erdogans Krieg gegen Kurd:innen. Angriffe und Beleidigungen gegen Menschen, die eine Kippa oder andere jüdische Symbole tragen, sind antisemitisch. Der Vorwurf, hinter dem US-Imperialismus oder der Corona-Politik steckten „reiche Juden“ ist antisemitisch.

Revolutionäre Kommunist:innen treten dem wirklichen Antisemitismus entgegen, wo immer er auftritt. Unsere Verantwortung, nicht nur in Deutschland und Österreich, ist es gegen jede Form von Unterdrückung und Barbarei zu protestieren. Das heißt aber konkret einzutreten für ein Ende des israelischen Kriegs in Gaza und für das Recht auf Selbstbestimmung der Palästinenser:innen, aber auch der jüdischen und aller anderer Menschen im Nahen Osten!

Jakob Erpel, Düsseldorf und Florian Weissel, Wien

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