
Der Schock der Angriffe des 7. Oktober und der darauffolgende „Krieg gegen die Hamas“ der israelischen Armee in Gaza lösten Proteste und Solidaritätskundgebungen auf der ganzen Welt aus. In Israel beginnen die Menschen, wenn auch vorsichtig, auf die Straßen zu gehen. Auch innenpolitisch bewegt sich seit dem 7. Oktober eine ganze Menge. Hier eine kleine Bestandsaufnahme:
Weltweit auf den Straßen
Beginnt man mit einem weiteren Blick, so sind die seit einem Monat stattfindenden Demonstrationen weltweit nicht zu übersehen. Von Südafrika bis Seattle, in Berlin, London und Paris, von Baghdad bis Tunis gehen die Menschen in Solidarität mit Gaza auf die Straßen. Natürlich lassen sich diese Proteste nicht über einen Kamm scheren und hier soll es vor allem um die Proteste gehen, bei denen sich antizionistische Jüd:innen solidarisieren. Besonders eindrücklich waren hier Aktionen in Washington und New York, wo Aktivist:innen mit den Slogans „Not in Our Name“ („Nicht in Unserem Namen“) Regierungsgebäude und Bahnhöfe besetzten. Sie lassen sich nicht instrumentalisieren von der Stimmung westlicher Medien und Regierungen, alle Demonstrationen, die sich auf die Seite der Palästinenser:innen stellen, seien „pro-Hamas“ und „antisemitisch“. Und genau diese Stimmen sind im Moment so wichtig.
Doch was passiert in Israel selber?
Das Land war schon vor den Angriffen am 7. Oktober politisch zerrüttet. Monatelang fanden bis zu diesem Tag wöchentliche Demonstrationen gegen die rechtsradikale Regierungskoalition um Ministerpräident Netanjahu und deren Justizreform statt, auch wenn sie nach dem Sommer immer kleiner wurden und nie die Lage der Palästinenser:innen zum Thema hatten. Netanjahu steht (mal wieder) auf wackligen Beinen. Knapp eine Woche nach dem 7. Oktober bildete er eine Einheitsregierung, die die bestehende mit den Oppositionsparteien verband – so ist man im „Kriegszustand“ auch „handlungsfähiger“. Doch trotz dieser Maßnahmen und der Betonung auf die „Bedrohung von außen“ – Netanjahus Umfragewerte rauschen weiter in den Keller, obwohl sicherlich eine Hoffnung der Regierung war, durch den Kriegszustand in politisch für sie stabilere Verhältnisse zu kommen. Die sinkenden Werte allein sind übrigens kein Grund zur Freude, denn das gemeinsame Ziel, die „Hamas zerstören zu wollen“ und damit auch Gaza dem Erdboden gleich zu machen und die damit einhergehenden Kriegsverbrechen der israelischen Armee, wird nun auch von den Oppositionsparteien unterstützt. Auch wenn Netanjahu sein Amt in der nächsten Zeit abgeben müsste, den Menschen wäre nicht geholfen. Der frühere Verteidigungsminister und jetzt einer der drei Köpfe des Kriegskabinetts, Benny Gantz, sagte, dass eine Zeit für Demonstrationen, Diskussionen und Ermittlungen kommen werde, jetzt aber sei Zeit zu kämpfen und zu siegen. Damit bezieht er sich direkt auf das Verbot von Demonstrationen gegen die Operationen des israelischen Militärs. Doch dennoch gibt es einige Stimmen von Menschen, die sich den Protest nicht verbieten lassen wollen. Angehörige von Geiseln protestierten vor Netanjahus Haus für die Umsetzung der Hamas-Forderung „All for all“ – „Alle für alle“, bei denen Palästinenser:innen in Gewahrsam gegen die Geiseln in Gaza ausgetauscht werden sollen. Auch sie fordern einen Waffenstillstand zum Schutz der Geiseln.
Israelische Linke versammelten sich Anfang November vor dem Verteidigungsministerium, um sich gegen die israelische Aggression zu stellen. Die Repression jedoch ist hart. Es gibt zahlreiche Vorladungen und Verhaftungen, zuletzt am 9. November: Vier arabische Israelis, ehemalige Mitglieder der Knesset (Parlament), wurden festgenommen. Sie hatten eine Protestaktion in Nazareth, einer Stadt mit überwiegend arabischer Bevölkerung, geplant. Nach ihrer Verhaftung jedoch versammelten sich Menschen vor der Polizeistation, um gegen dieses Vorgehen zu demonstrieren. Und das ist der Lichtblick in dieser ungerechten und grauenhaften Situation: hier treffen sie sich. Zumindest hier, vor der Polizeistation in Tel Aviv, stehen arabische und jüdische Israelis Seite an Seite.
Maria Brücke, Berlin