Zwei Jahre imperialistischer Krieg gegen die Ukraine auf dem Rücken der Völker

Auch 2 Jahre nach dem Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine geht das große Sterben weiter. In diesem Artikel, der am 24. Februar von unserer Schwesterorganisation in Frankreich veröffentlicht und im Zuge der Übersetzung von uns bearbeitet wurde, wird dieser Krieg eingeordnet in den Kontext des großen Aufrüstens der imperialistischen Großmächte.

Ende Februar starb Alexej Nawalny nach jahrelanger Haft, einem Vergiftungsversuch und einer Verurteilung zu 19 Jahren Lagerhaft jenseits des Polarkreises. Putin hat damit allen seinen Gegnern ein klares Signal gegeben: Haltet die Klappe oder ihr seid tot. Eine Drohung, die aber nicht immer aufgeht, wie sich auf der Beerdigung Nawalnys gezeigt hat. Tausende strömten an sein Grab und manche skandierten Parolen gegen Putin. Nawalny war ein bürgerlicher Ultraliberaler, ein „Korruptionsgegner“, dessen frühe Karriere jedoch von krassem russischen Nationalismus und heftigem Rassismus geprägt war, der Einwanderung als „Infektion“ bezeichnete.

Letztes Jahr stürzte das Flugzeug von Prigoschin, einem Banditen und Söldnerführer der Wagner-Milizen, unter dubiosen Umständen ab. Im Jahr 2015 war es Boris Nemzow, ein Vertrauter Nawalnys, der vor den Mauern des Kremls erschossen wurde. Dazu kommen Dutzende weitere unnatürliche Todesfälle, Hunderte politische Gefangene, Verbote von Organisationen. Neues Ziel der aktuellen Repressionen ist ein linker Oppositioneller: Boris Kagarlizki (65), der sich gegen den Krieg in der Ukraine ausgesprochen hat und seit vielen Jahren zusammen mit anderen die Website Rabkor („Arbeiterkorrespondenz“) betreibt, um zu versuchen, eine andere, soziale und internationalistische Stimme hörbar zu machen. Nach einer Verhaftung letztes Jahr wurde er nun im Februar zu fünfeinhalb Jahren Lagerhaft verurteilt.

Grausame Unterdrückung nach Innen, Krieg gegen die Ukraine nach Außen …

Das sind die zwei Seiten derselben Politik eines Putin, der glaubt, über ein riesiges Gebiet herrschen zu können. Am 24. Februar 2022 begann er den Annexionskrieg gegen die Ukraine, der offiziell mit der völligen Negierung des Existenzrechts des Nachbarlandes begründet wurde, in Wirklichkeit aber durch den russischen imperialistischen Appetit motiviert war. Die zwei Jahre der kriegerischen Invasion brachten schreckliche menschliche und materielle Zerstörung und die Vertreibung von Millionen von Menschen innerhalb des Landes oder in die nahe gelegenen westeuropäischen Länder. Ein Ende des Krieges ist nicht in Sicht. Putin zeigt sich weiter selbstbewusst im Fernsehen, wo er in seiner „Rede zur Lage der Nation“ dem Westen erneut drohte und auf die russischen Atomwaffen verwies als eine Antwort auf Macrons Überlegungen zum Einsatz europäischer Bodentruppen. Sein Sieg bei den nächsten Präsidentschaftswahlen Mitte März gilt als sicher. Er ist seit 24 Jahren an der Macht. Er hat sich eine Verfassungsreform ausgedacht, die es ihm ermöglicht, bis 2036 im Amt zu bleiben. Seine potenziellen Gegner dürfen nicht kandidieren. Aber es gab auch schon Autokraten auf der Welt, die vom Volkszorn gestürzt wurden …

Die, die ein Interesse daran haben, den Krieg in die Länge zu ziehen

Der Einmarsch in die Ukraine erfolgte vor dem Hintergrund der imperialistischen Konkurrenz Russlands mit dem Westen, allen voran mit den USA, die sich seit Jahrzehnten bemühten, ihre Vorherrschaft nach Osten auszudehnen. Die USA und ihre NATO-Verbündeten haben sich jedoch davor gehütet, direkt in den Krieg einzutreten. Es genügt ihnen, die Ukraine militärisch und finanziell zu unterstützen, damit der Konflikt anhält und sie die politischen Vorteile einer Schwächung Russlands einstreichen können. Unter dem Vorwand der Hilfe für die Ukraine haben der US-Imperialismus und seine Verbündeten, von Biden über Scholz bis Macron, vor allem sich selbst geholfen und ihre Kassen gefüllt, dabei Krokodilstränen vergossen, die sie für die Palästinenser:innen nicht übrig haben.

Biden setzte Wirtschaftssanktionen gegen Russland durch, die dem amerikanischen Kapital und Finanzinstituten neue Gewinnquellen und Marktanteile in Europa einbrachten, angefangen mit dem amerikanischen Erdgas, um das russische zu ersetzen. Die Waffenlieferungen der USA an die Ukraine und die starken Erhöhungen der Militärbudgets in allen NATO-Ländern haben den
Rüstungssektor stark beflügelt, wovon die USA als mit Abstand größter Waffenproduzent der Welt auch am stärksten profitiert. Die Diskussionen über ein neues Militärhilfepaket für die Ukraine im US-Kongress und das Drängen der USA, dass die europäischen Länder mehr für die Unterstützung der Ukraine ausgeben, wird die USA nicht daran hindern, den Großteil des Rüstungsmarktes in der Ukraine zu behalten. Andere werden dafür bezahlen müssen, eine Art Outsourcing. Denn der US-Militärhaushalt hat andere Sorgen: die Ordnung in der wichtigsten Ölregion der Welt, dem Nahen Osten, zu sichern (Unterstützung Israels, einschließlich eines brandneuen Militärhilfepakets von 17,6 Milliarden Dollar und Kontrolle des Roten Meeres), und in Asien, wo China teilweise von der Werkbank der Welt zur direkten Konkurrenz geworden ist.

Aber auch die europäischen imperialistischen Verbündeten haben abgesahnt. In Europa ist Deutschland das Land mit den meisten Waffenlieferungen an die Ukraine. Die gesamte militärische Hilfe seit 2022 soll sich auf 17 Milliarden Euro belaufen (hinter den USA mit 42 Milliarden Euro). Und Deutschland hat die Industrie angekurbelt, z. B. bei Rheinmetall, wo die Produktion von 70.000 Granaten pro Jahr im Jahr 2021 auf 700.000 im Jahr 2025 ausgebaut werden soll. Und vor allem war der Krieg in der Ukraine für die deutsche Regierung der geeignete Vorwand, um den Militärhaushalt zu erhöhen und die stärkste Armee Europas aufzubauen. Deutschland wird dieses Jahr das erste Mal 2 % des BIP offiziell für Rüstung ausgeben und hat damit die NATO-Vorgaben erreicht. Das sind 71,75 Milliarden Euro für „Verteidigung“. FDP-Finanzminister Lindner erzählt uns, dass zur Finanzierung seines Haushaltes nun die Sozialausgaben eingefroren werden müssten. Der Chef des Wirtschaftsforschungsinstituts Ifo brachte es auf den Punkt: „Kanonen statt Butter“.

Daneben macht Frankreich eher schlechte Miene zum bösen Spiel. Es bleibt weit hinter den USA, Deutschland und sogar Großbritannien (6,6 Milliarden) zurück, mit den 3,2 Milliarden, die es nach eigenen Angaben seit Kriegsbeginn an Hilfe geleistet hat. Andererseits war der Krieg in der Ukraine auch für Macron eine gute Gelegenheit für eine beträchtliche Erhöhung des Militärbudgets.

Trotz ihrer Bedeutung bleibt diese westliche Militärhilfe eingeschränkt. Der
US-Kongress verzögert weitere Milliardenbeträge, und das nicht nur, weil Trumps Anhänger dafür sorgen. Es geht darum, weiterhin Unterstützung für die Ukraine zu zeigen, aber es geht nicht darum, das Putin-Regime zu vernichten, das nach wie vor eine Stütze der imperialistischen Ordnung ist – die weißrussischen (2020) und kasachischen (2021-2022) Arbeiter:innen und die syrische Bevölkerung (2015) haben das zu spüren bekommen. Also hält die imperialistische Welt wirtschaftliche und diplomatische Beziehungen mit dem Autokraten Putin aufrecht.

Der Krieg dauert an, aber alle stehen seit über einem Jahr in den Startblöcken für das Rennen um den zukünftigen Wiederaufbau der Ukraine. Bereits im Oktober 2022, als der Krieg 8 Monate alt war, versammelten Scholz und die deutsche EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen in Berlin Vertreter:innen der G7-Länder, um über einen „Marshall-Plan“ zu diskutieren. Im Dezember 2022 versammelte Macron im Beisein von Selenskyj 700 Wirtschaftsführer:innen im Élysée-Palast. Damals war von einem Markt im Wert von mindestens 100 Milliarden die Rede. Heute wird der künftige Markt für den Wiederaufbau auf 500 bis 600 Milliarden geschätzt. Nicht nur Schienen und Gebäude, sondern auch Wasser- und Stromnetze, die gesamte Infrastruktur, die wieder aufgebaut werden muss, Felder und Dörfer, die von Minen geräumt werden müssen …

Die Europäische Union hat ihrerseits auf ihrem Gipfeltreffen am 1. Februar für eine Hilfe in Höhe von 50 Milliarden Euro bis 2027 gestimmt (zwei Drittel davon wären lediglich Kredite, die vom ukrainischen Steuerzahler zurückzuzahlen wären). Sofern die EU nicht davon träumt, den Krieg bis dahin in die Länge zu ziehen, kündigen diese Kredite eher schöne Hilfen für die Investor:innen des Wiederaufbaus an. Der EU-Umweltkommissar stellte dies übrigens einige Tage später in Vilnius klar: „Wir haben eine einmalige Gelegenheit, den Wiederaufbau besser und grüner zu gestalten. […] Wir sprechen nicht nur über internationale Hilfen zum direkten Wiederaufbau. Wir reden über
Investitionen.“ Und bei „grüner“
Technologie sehen sich deutsche Konzerne in vorderster Reihe der Investor:innen. Auch Japan hat sich auf diesen zukünftigen Markt eingeschossen und mit dem ukrainischen Premierminister einen Wiederaufbauvertrag unterzeichnet: Finanzhilfen des japanischen Staates gegen Nichtbesteuerung zukünftiger japanischer Investitionen in diesem „Wirtschaftswunder“, das die Ukraine von morgen sein soll.

Die ukrainischen Oligarch:innen oder hohen Beamten stehen dem in nichts nach, wie die Enthüllungen über eine Unterschlagung von 40 Millionen Dollar, die für den Kauf von Waffen bestimmt waren, zeigen. Zwischen einem Putin, der ihnen seine Diktatur aufzwingen will, westlichen Geiern, die auf Märkte lauern, und den eigenen Oligarch:innen kann sich die ukrainische Bevölkerung nur auf sich selbst verlassen, um sich zu verteidigen.

• Nein zum imperialistischen Krieg in der Ukraine:
Russische Truppen raus aus der Ukraine!

• Recht der ukrainischen Bevölkerung  auf Selbstbestimmung!

• Nein zu imperialistischen Einmischungen:
Abzug der NATO-Truppen aus Osteuropa und der Welt!

Die Verteidigung der Ukraine, durch die Arbeiter:innen und mit ihren eigenen Waffen

Die Gegenoffensive, die der ukrainische Präsident Selenskyj angekündigt hatte, fand nicht statt. Die russischen Truppen rücken vor, sie besetzen fast 20 % des ukrainischen Territoriums im Osten und Süden des Landes, und Putin droht Odessa zu erreichen und der Ukraine den Zugang zum Schwarzen Meer zu nehmen, der durch die Annexion der Krim im Jahr 2014 und die Besetzung der südöstlichen Ukraine bereits stark eingeschränkt ist. Das Selenskyj-Regime und seine Armee, die sich als Verteidiger des ukrainischen Nationalismus darstellen, werden fast vollständig von den NATO-Ländern finanziert. Sie stützen sich auf das westliche Großkapital und auf die privilegierten Schichten der ukrainischen Bourgeoisie, darunter die „Schokoladenkönige“, „Hühnerkönige“, Getreide- oder Stahlkönige, die in der Vergangenheit zwischen der Unterstützung Russlands oder der Unterstützung der EU schwankten und nun deutlich mehr Chancen für ihre Geschäfte auf der westlichen Seite sehen.

Die Lösung kann nicht von diesen Feinden der Arbeiter:innen ausgehen, sondern muss durch die unabhängige Aktion der Arbeiter:innenmassen kommen. Die Losung „Unterstützung des ukrainischen Widerstands“, ohne den Klassencharakter dieses Widerstands zu präzisieren, stiftet nur Verwirrung und hilft nicht bei der notwendigen Mobilisierung gegen die militärische und kriegerische Spirale, in die die Imperialismen die Bevölkerungen führen. Die erste Aufgabe der revolutionären Marxist:innen in dieser Zeit muss es sein, dieses eigenständige Auftreten der Massen in der politischen Arena, völlig unabhängig von den nationalistischen bürgerlichen Kräften, zu unterstützen. In Russland bekräftigen wir unsere volle Solidarität mit allen Aktivist:innen, die sich dem Putin-Regime widersetzen. Wir fordern die Freilassung aller inhaftierten Demonstrant:innen und aller politischen Gefangenen. In der Ukraine bekräftigen wir unsere Solidarität mit allen Arbeitskämpfen gegen die Benutzung des Kriegszustands durch die Regierung zur Einschränkung von Arbeits- und demokratischen Rechten.

Michelle Verdier, Paris

Übersetzung/Bearbeitung: Sabine Müller, Berlin

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