Zum 100. Todestag von Lenin

Am 21. Januar 1924 starb Lenin, der wichtigste Anführer der russischen Revolution von 1917. Selten werden von einem Menschen so verzerrte Darstellungen gegeben wie von Lenin. Von bürgerlicher Seite wird er verteufelt als blutrünstiger Diktator, im Ostblock und von manch heutigen Kommunist:innen wird mit einem Kultstatus versehen, der ihm selbst höchst zuwider gewesen wäre. Wer war Lenin und was hat sein Schaffen ausgemacht?

Lenin wurde 1870 geboren und durch seinen älteren Bruder politisiert, der an einem Attentatsversuch gegen den   Zaren beteiligt war und hingerichtet wurde, als Lenin 17 war. Lenin hasste die zaristische Monarchie ebenso stark wie sein Bruder, doch er wollte sie effektiver und erfolgreicher bekämpfen – er wurde zum Marxisten. Er erkannte, dass die Arbeiter:innenbewegung auch in Russland die Kraft und die Möglichkeit hat, das verhasste Ausbeuterregime zu stürzen. Mitte der 1890er Jahre war er     Mitbegründer des „Petersburger Kampfbunds zur Befreiung der Arbeiterklasse“, der allerdings schnell von der zaristischen Geheimpolizei zerschlagen wurde.

Lenin und die revolutionäre Partei

Sein Ziel war, die damals noch zerstreuten revolutionären Kräfte in Russland zu einer schlagkräftigen Partei zusammenzuführen und dafür wählte er im Jahr 1900 den Weg… des Exils. Nur dort war es möglich, ohne ständige Repression eine Zeitung herauszugeben, die illegal nach Russland geschmuggelt wurde und zum anleitenden Zentrum der revolutionären Bewegung wurde.

Das war vielleicht Lenins wichtigster Beitrag zum Marxismus: Die Rolle einer Partei erkannt zu haben, in der sich die Teile der Arbeiter:innenklasse zusammenschließen, die sich den revolutionären Kampf um Befreiung bewusst zur Aufgabe machen und die deshalb den Aktionen breiterer Massen eine klare Perspektive geben können. Diese Idee einer „Avantgarde“-Partei ist unter anderem von anarchistischer Seite als paternalistische Bevormundung und Erstickung jeder Eigeninitiative kritisiert worden. Doch war die revolutionäre Partei zu Lenins Zeiten – ganz anders als später unterm Stalinismus – kein Apparat, in dem gehorsame Parteisoldaten die Befehle einer angeblich unfehlbaren Führung ausführten, sondern eine lebendige Organisation. Auf allen Ebenen wurde diskutiert, um den jeweils besten Weg zu finden den Zarismus und den Kapitalismus zu stürzen und eine befreite sozialistische  Gesellschaft aufzubauen. Zugleich war allen Mitgliedern bewusst, dass zum Sieg über so mächtige Gegner eine große Ge- und Entschlossenheit und eine enge organisatorische Verbindung notwendig sind. Lenin hat nicht        gezögert, sich von schwankenden und unentschlossenen Genoss:innen zu trennen. Das hat 1903 zur Spaltung  geführt zwischen Lenins Bolschewiki, den späteren Kommunist:innen, und den Menschewiki, einer Art russischer Sozialdemokratie.

„Diktatur des Proletariats“

Mithilfe der bolschewistischen Partei als Instrument gelang es 1917 in Russland, nicht nur den Zaren zu stürzen, sondern auch wirklich die Arbeiter:innenklasse an die Macht zu bringen, gestützt auf ihre eigenen demokratischen Machtorgane, die Arbeiter:innenräte. Diese Macht der arbeitenden Mehrheit gegen die jahrhundertelangen Unterdrücker:innen (Adel, Großgrundbesitz, Kapital) wird als Diktatur des Proletariats bezeichnet. Von bürgerlicher Seite wird Lenin gerne als Putschist, Diktator und Machtmensch beschrieben. Doch es ging ihm nie um persönliche Macht. Kurz nach der     Revolution erließ er einen Aufruf an die   Bevölkerung: „Denkt daran, dass ihr selbst jetzt den Staat regiert. Niemand wird euch helfen, wenn ihr selbst euch nicht zusammenschließt und nicht alle Staatsangelegenheiten in eure Hände nehmt. […] Sammelt euch um eure Räte. Stärkt sie. Geht selbst ans Werk von unten. Wartet auf niemand.“

Manche seiner Schriften und Dekrete aus der Zeit des auf die Revolution folgenden Bürgerkriegs mögen für heutige Ohren hart und unbarmherzig klingen. Es war ihm klar, dass revolutionäre Gewalt im Befreiungskampf notwendig ist, um den grausamen Widerstand der reaktionären Kräfte niederzuringen. Und viele Erfahrungen hatten ihn überzeugt, dass es insgesamt weniger Blutvergießen kostet, wenn die Gewalt, dort wo sie notwendig ist, mit großer Entschlossenheit angewandt wird. Lenin verkörperte maximale Entschlossenheit im Dienste der Befreiung.

Nieder mit dem Leninkult!

Lenin selbst hatte ein waches Auge dafür, was alles in der jungen Sowjetunion schlecht lief. Ab 1922 war er schwer krank und konnte sich nur noch wenig politisch zu Wort melden. Doch seine letzten Texte warnten eindringlich vor der Bürokratisierung und der Übermacht des Staatsapparats, sowie auch vor Stalin und seiner Machtfülle. Lenins Tod hat verhindert, dass er noch einen Kampf gegen die durch Stalin verkörperte neue bürokratische Schicht führte. Sobald er tot war, entwickelte eben diese Bürokratie einen Personenkult um Lenin, überall wurden Denkmäler gebaut, seine Leiche wurde einbalsamiert und im Mausoleum zur Schau gestellt. Lenin bekam einen gottgleichen Status und Stalin stilisierte sich als Herrscher „von Gottes Gnaden“, um leichter jede innerparteiliche Opposition zu unterdrücken.

Während Lenin ein außergewöhnlicher Revolutionär war, der sich nie für fehlerfrei gehalten hat und viele Fehler selbst zugegeben hat, spielte der Leninkult eine äußerst konterrevolutionäre Rolle bei der Abtötung der lebendigen Sowjetmacht.

Richard Lux, Berlin

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