Ukraine-Krieg: Soll das so weitergehen?  

Über ein halbes Jahr ist seit dem Beginn der russischen Invasion in die Ukraine vergangen. Die UN sprechen von mittlerweile über 5.600 getöteten Zivilist:innen und nach wie vor ist kein Ende in Sicht. Putin scheint sich nicht mit den bisherigen Geländegewinnen zufrieden zu geben und setzt seinen Feldzug im Osten fort, auch wenn er nur langsam vorankommt. Selenskyj spricht offiziell davon, die Krim und den Donbass zurückerobern zu wollen, auch wenn er weit davon entfernt ist.

Ende August haben ukrainische Streitkräfte ihre Gegenoffensive Richtung Süden begonnen, aber mit welchem Erfolg ist bei Redaktionsschluss nicht abzusehen. Derweil wird das Atomkraftwerk Saporischschja, das Russland eingenommen hat und als Militärstützpunkt nutzt, immer wieder umkämpft und beschossen – wie weit ist es bis zu einer nuklearen Katastrophe?!

Der türkische Präsident Erdoğan versucht sich als Vermittler zu inszenieren, nachdem er mit beiden Seiten schon einen Deal bezüglich des Exports von Getreide aus der Ukraine ausgehandelt hat. Es könnte überraschen, dass ausgerechnet Erdoğan als NATO-Mitglied mit Putin verhandelt. Aber die Türkei ist ein besonderes NATO-Mitglied, das als aufstrebende Regionalmacht im Nahen Osten eine gewisse Eigenständigkeit beansprucht. Mit Putin hat Erdoğan immerhin schon in Bezug auf Syrien einen Kompromiss gefunden, obwohl beide im Bürgerkrieg unterschiedliche Seiten unterstützten. Aber auch Erdoğans Inszenierungen scheinen den Ukraine-Krieg nicht stoppen zu können. Der russische Imperialismus besitzt noch große militärische Reserven, während die Ukraine vom westlichen Imperialismus unbegrenzte Unterstützung versprochen bekommt.

In diesem Zusammenhang eines offenbar immer mehr auf Dauer angelegten grausamen Krieges – nicht dem einzigen auf der Welt, auch wenn bspw. der Krieg im Jemen in hiesigen Medien nicht so präsent ist – ist es klar, dass Linke und Revolutionär:innen international nach möglichen Antworten und Perspektiven suchen.

Sicher ist, dass ein Ausweg im Sinne der unterdrückten und ausgebeuteten Klassen, insbesondere auch der ukrainischen Arbeiter:innenklasse, nicht durch den Imperialismus kommen wird. Die NATO vertritt nicht Frieden und Demokratie. Das konnte man in Afghanistan sehen oder auch an all den Diktaturen weltweit, die von der NATO unterstützt werden – zum Beispiel Saudi-Arabien, das für den Jemen-Krieg verantwortlich ist. Die NATO wünscht, dass sich Russland in der Ukraine eine blutige Nase holt, deshalb all die Militärunterstützung. Doch selbst wenn Russland mit NATO-Hilfe zurückgeschlagen würde, wäre das längst keine Befreiung für die Arbeiter:innen der Ukraine.  Die Selenskyj-Regierung im Dienste der Oligarchen benutzt den Krieg, um die rechtlichen Standards der Arbeitenden um Jahrzehnte zurückzudrehen und die Ausbeutungsbedingungen für die Zukunft zu verschärfen (siehe Interview).

Die Arbeitenden in der Ukraine müssten ihren Widerstand gegen die russische Invasion unabhängig von und zum Teil gegen die Regierung Selenskyjs organisieren, um für ihre eigene Befreiung zu kämpfen und nicht nur das Eigentum der ukrainischen Oligarchen gegen russische Oligarchen zu verteidigen.

In der Aurora wurde bislang der Standpunkt vertreten, dass Putins Armee in der Ukraine eine imperialistische Besatzungsmacht ist, gegen die militärischer Widerstand gerechtfertigt ist und Unterstützung verdient.  Dass wir daher zwar die eigenen imperialistischen Kalküle Deutschlands, der NATO und der USA entlarven und bekämpfen müssen, nicht aber Waffenlieferungen an die Ukraine an sich. Dieser Standpunkt gilt nur so lange, wie der Kampf um Territorien geführt wird, in denen die Armee Putins klar als ausländische Besatzungsmacht gegen die Bevölkerung auftritt. Im separatistischen Teil des Donbass und auf der Krim, die seit Jahren nicht mehr unter der Kontrolle Kiews stehen, ist das etwas anderes, auch wenn es schwer ist, angesichts des andauernden Krieges über den „freien Willen“ der dortigen Bevölkerung zu spekulieren. Selenskyjs militärische Rückeroberungsträume dieser Gebiete verdienen unsere Unterstützung jedenfalls nicht.

Diese hier noch einmal zusammengefasste Position ist innerhalb der RSO nicht unumstritten und demnächst werden wir auch einen Beitrag veröffentlichen, der die westlichen Waffenlieferungen klar ablehnt.

Einig sind wir uns auf jeden Fall darin, dass es für eine dauerhafte Friedenslösung im Interesse der Ausgebeuteten aller Länder nötig  ist, dass die Arbeiter:innen sich politisch einmischen und für ihre eigenen Klasseninteressen eintreten. Denn diese Klasseninteressen verbinden sie jenseits aller nationalistischer Kriegsrhetorik über Ländergrenzen und Schützengräben hinweg.

Richard Lux, Berlin

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