Sturmwarnung über Frankreich : Gegen die Rentenreform und gegen das prekäre Leben

Erschienen in der Dezember-Ausgabe der „aurora“ – 7. Dezember 2019

Am 5. Dezember haben in Frankreich die wahrscheinlich stärksten Proteste seit 1995 und 2010 begonnen : 1,5 Millionen Menschen in ganz Frankreich waren auf der Straße, in Paris je nach Quellen zwischen 65.000 und 250.000. Selbst in kleinen und mittleren Städten gingen Zehntausende auf die Straße. Züge, Busse und U-Bahnen standen still, Krankenhäuser, Schulen, Flugbetrieb und viele Privatbetriebe liefen auf Sparflamme !

Der Streik des 5. Dezember war zunächst von den Gewerkschaften der Pariser Metro (und einigen der französischen Bahn SNCF) ausgerufen worden, nach einem sehr starken Streiktag bereits am 13. September gegen die Rentenreform. Eigentlich ein Manöver, um Zeit zum Verhandeln zu bekommen, in der Hoffnung, dass die Stimmung sich abkühlt und keine Gefahr bestehen würde, dass die Gewerkschaftsapparate vom Kampfgeist der Streikenden überholt werden. Doch in der Zwischenzeit hatte die aufgeheizte Atmosphäre dafür gesorgt, dass andere Sektoren sich des 5. Dezember angenommen haben.

Die Rentenreform war ein Hauptpunkt in Macrons Wahlprogramm, den er aufgrund der Proteste der Gelbwesten bereits mehrfach verschieben musste. Alle speziellen Rentensysteme (z.B. bei der SNCF, dem Pariser Nahverkehr RATP und den Lehrern), die in einigen Fällen durch Kämpfe errungen wurden und ein Ausgleich für die schwere Arbeit sein sollen, sollen künftig zu einem einzigen System zusammen geführt werden. Das ist nur der Auftakt für einen Angriff auf die Renten aller Beschäftigten. Künftig soll die Rente nach Entgeltpunkten und auf Basis des Durchschnitts aller gearbeiteten Jahre berechnet werden, und nicht wie bisher nach den 25 besten Jahren. Und der genaue Betrag soll von einer Variablen abhängen, die die Regierung jedes Jahr neu festlegt. Das alles ist verbunden mit einer Deckelung der Gesamtrenten, die nur 15 % des BIP betragen dürfen, obwohl es jedes Jahr mehr Rentner gibt. Kurz gesagt : länger arbeiten für weniger Rente !

Doch es geht bei weitem um mehr als nur diese Reform. Der 5. Dezember hat die Wut all derer kanalisiert, die die Schnauze voll haben von Macron, seiner Politik und den Kapitalisten, die er repräsentiert : Die Gelbwesten, die seit mehr als einem Jahr gegen die teuren Lebenshaltungskosten und niedrige Löhne kämpfen. Die Beschäftigen der Krankenhäuser, die seit Februar streiken für mehr Personal und mehr Gehalt. Bei der Bahn und RATP, wo sich die « wilden » Streiks im Oktober und November auch gegen die Arbeitsbedingungen und die kommende Teilprivatisierung richteten. Die Lehrer, die gegen die Bildungsreform des letzten Jahres kämpfen. Die Arbeitenden in der Automobilindustrie, denen unter dem Vorwand des Klimaschutzes Kündigungen und Lohneinbußen drohen. Und die Jugend, die von der Last der prekären Lebensbedingungen erdrückt wird, was einen Studenten kürzlich dazu brachte, sich vor der Uni anzuzünden. In seinem Abschiedsbrief klagte er Macron und seine Vorgänger für die Armut an, die ihn zu dieser verzweifelten Geste gedrängt hat.

All diese Menschen haben den 5. Dezember als Gelegenheit gesehen, ihre Wut zu zeigen ; und für viele ist das der Beginn eines längeren Kampfes, eine Reaktion der Arbeitenden gegen die nicht enden wollenden Angriffe, die nun endlich eine kollektive Antwort erleben !

Der Generalstreik am 5. Dezember

Und so sah es auch aus : nur 10 % der Züge fuhren, 20 % der Flüge blieben am Boden, fast die Hälfte der Schulen im Land blieb geschlossen. Am Morgen hatten in mehreren Städten und vier Pariser Bahnhöfen die streikenden BahnerInnen Streikkommitees gewählt, in denen gewerkschaftlich organisierte und nicht organisierte gemeinsam die Organisation des Streiks unter der Kontrolle der Streikversammlungen in die Hand genommen haben. Andernorts wurde direkt der Streik bis mindestens Montag beschlossen. « Der Streik den Streikenden » – das wurde unter dem Druck der streikwilligen Basis sogar (zumindest in Worten) von einigen örtlichen Gewerkschaftsführungen verteidigt !

Bei den LehrerInnen übertreffen die Streikzahlen alles seit 2003 : gegen die Bildungsreformen, Rentenreformen und fehlende Mittel haben mehr als die Hälfte gestreikt, unterstützt von Kantinen- und Verwaltungspersonal…und wenn das nicht reichte von SchülerInnen, die einen Teil der offen gebliebenen Schulen blockierten.

Die Wut geht also weit über die Renten hinaus  : in der Pariser Großdemo liefen über fünf Stunden Seite an Seite Feuerwehrleute und BahnerInnnen, Gelbwesten und Jugendblocks, PflegerInnen und die traditionellen Gewerkschaftsblocks. Und die Slogans waren selten speziell gegen die Rentenreform gerichtet, sondern gegen Macron und seine Welt !

« Aujourd’hui dans la rue et demain on continue » – « Heute auf der Straße und morgen geht es weiter »

Die hohe Streikbeteiligung von Anfang an bei Bahn und Nahverkehr zeigte schnell, dass die Streikzahlen mindestens bis Montag so stark bleiben werden und auch in anderen Branchen wurde der Streik am Freitag verlängert. Vielerorts haben sich auchwieder Streikende versammelt ; so auch die Studierenden, deren Universitäten manchmal geschlossen sind, teilweise wegen des Streiks, aber auch schon vorher durch die Unileitungen, um Vollversammlungen zu verhindern. Sieben von acht Ölraffinerien blieben blockiert.

Unter dem Eindruck des Erfolges des 5. Dezember haben die Gewerkschaftsspitzen bereits für den 10. Dezember den nächsten Aktionstag angesetzt und man kann davon ausgehen, dass sich wieder viele den Streiks anschließen werden.

Macron und seine Regierung haben ihren herablassenden Ton und ihre Lügen eingetauscht gegen gedämpftere Töne : nun gerichtet auf einen « sozialen Dialog ». Es geht um Verhandlungen mit den Gewerkschaftsspitzen über die Rentenpläne. Das Interesse der Regierung und der Leitung der SNCF, die einen « Runden Tisch » einberufen hat, ist klar : die ganze Wut auf der Straße soll kanalisiert werden. Umso wichtiger ist es, dass die gewerkschaftlich organisierten und nicht organisierten Streikenden die Organisation ihres Kampfes in ihre Hände nehmen und Tempo und Richtung bestimmen. Viele Streikenden haben auf den Vollversammlungen nicht nur gegen die Reform gestimmt, sondern auf vielfältige Art und Weise gezeigt, dass es ihnen um die ganze Politik von Macron, diesem Präsidenten der Reichen, geht.

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