No Other Land

Auf diesen Film wurde lange gewartet: Er ist am 14.11. in die deutschen Kinos gekommen. Im Gespräch war die Dokumentation schon seit der Berlinale, wo sie den „Goldenen Bären“ gewann  – kurz danach überschlug sich die deutsche Berichterstattung in einem unerträglichen Wettbewerb, wer dem israelischen und palästinensischen Regisseuren-Duo besser Antisemitismus à la deutsche Staatsräson vorwerfen kann.

Obwohl in dieser Rezension eigentlich nur über den Film geredet werden sollte, muss trotzdem gesagt werden, was Deutschland daraus macht. Beginnend damit, dass nach dem „Skandal“ bei der Berlinale zunächst gar kein Kinostart in Deutschland vorgesehen war. Ein Film, der eine der höchsten Auszeichnungen von Deutschlands wichtigstem Filmfestival gewonnen hat, fand zunächst keinen Verleih. Zur Erscheinung des Films, schrieb die Website „berlin.de“ dem Film „antisemitische Tendenzen“ zu. Yuval Abraham, israelischer Journalist, Aktivist gegen die Besatzungs- und Apartheidspolitik und einer der Regisseure des Films, muss sich von Deutschen erklären lassen, dass er Antisemit sei. Seine Familie wird von israelischen Rechtsradikalen bedroht. So erklärt einem No Other Land nicht nur sehr viel über die Situation in Palästina – sondern die Reaktion darauf auch sehr viel über deutsche Politik.

Aber sprechen wir über den Film: In 95 Minuten begleitet man die Zerstörung der palästinensischen Dörfer in der Region Masafer Yatta ab 2019. Die israelische Armee will daraus einen Panzerübungsplatz machen, seit Jahrzehnten werden die Bewohner:innen bedroht und ihr Zuhause zerstört. Sie können nirgendwo hin, „there is no other land“, sie und ihr Hab und Gut sind den israelischen Baggern schutzlos ausgesetzt. Basil Adraa, palästinensischer Aktivist, Co-Regisseur, Protagonist des Films und Bewohner von Masafer Yatta, filmt dieses Vorgehen seitdem er 15 Jahre alt ist. Wenn er hört, die Panzer kommen, dann nimmt er seine Kamera und rennt. Er rennt zu den Panzern und rennt vor ihnen weg, er organisiert und bleibt nicht stehen. Der israelische Journalist Yuval kontaktiert Basil und besucht ihn. Er tritt in Kontakt mit den Menschen, auf eine ruhige und stoische Art. Bald ist er nicht mehr nur Beobachter, er hilft mit, er legt sich mit den Soldat:innen an. Angriffe der Armee und von Siedler:innen sind an der Tagesordnung. Und es bleibt nicht nur bei der primitiven und gewaltvollen Zerstörung von Häusern und Eigentum. Es sterben Menschen, sie werden ermordet beim Versuch, ihr Dorf und ihre Familie zu verteidigen. Andere werden immer und immer wieder verhaftet. Doch die Menschen zeigen seit Jahrzehnten unermüdlich ihren Widerstand. Sumud heißt die Idee palästinensischer Widerstandskraft und Standhaftigkeit. Und das sind die Menschen in Masafer Yatta: widerstandsfähig und standhaft.

Der Film zeigt auch die ruhige und ungleiche Freundschaft zwischen Basil und Yuval, die sich einander annähern, trotz der Grenzen, die zwischen ihren Leben verlaufen. Yuval darf in einem Auto fahren, das Basil nicht fahren darf, auf Straßen auf denen nur Israelis fahren dürfen und dann über eine Grenze, die weder Basil noch seine Familie oder Nachbarn überschreiten dürfen. Zu Beginn ihrer Begegnung maßregelt Basil Yuval und sagt ihm, dass sich nicht alles von jetzt auf gleich ändern wird, dass all diese Kämpfe dauern und sie nicht auf Yuval gewartet haben, um ihre Probleme zu lösen. Das war 2019. Nun 2024 bewerben sie einen preisgekrönten Film, doch die Situation wird immer katastrophaler. Im Schatten des Genozids in Gaza wird auch die Lage im Westjordanland immer dramatischer. „Uns schwindet die Zeit, es braucht sofort einen Stopp, bevor man irgendeine Lösung von Innen und einen Wandel der Menschen in Israel erreichen kann“. So Yuval im Gespräch nach der Berlin-Premiere.

Wer diesen Film sieht, wird keine schöne Zeit haben, wird nicht „gut unterhalten“ gewesen sein. Dieser Film bestürzt, berührt, macht traurig und wütend. Genau so soll es auch sein, deshalb: Schaut diesen Film!

Maria Brücke und Nike Milos, Berlin

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