Militärische Konkurrenz und Spannungen um Taiwan

Der Aufstieg Chinas ist auch außenpolitisch und militärisch bedeutsam. Während Deng Xiaoping, der Führer, der die wirtschaftliche Öffnung Chinas Ende der 1970er Jahre einleitete, noch davon sprach „seine Talente zu verstecken und auf seine Stunde zu warten“, kündigte der jetzige Präsident Xi Jinping an, China bis zur Mitte des 21. Jahrhunderts zur führenden Weltmacht vor den USA zu machen. Dafür wird auch militärisch aufgerüstet.

China verfügt heute nach den USA über die zweitgrößte Armee der Welt. Diese ist sogar die weltgrößte, was die Truppenstärke und die Anzahl der Schiffe angeht. 2021 betrug das Militärbudget (Schätzung von SIPRI) 293 Mrd. US-Dollar, gegenüber 801 Mrd. seitens der USA.

Damit steht China in Asien an erster Stelle, weit vor Indien (77 Mrd.), Russland (66 Mrd.) und Japan (54 Mrd.). China ist seit langem eine Atommacht, verfügt allerdings nur über einen Bruchteil der Menge an Atomraketen, welche die USA und Russland auf Lager haben.

Die chinesische Militärflotte ist seit 2019 vor der amerikanischen die größte der Welt (350 Schiffe gegenüber 293), dank eines beeindruckenden Bautempos der chinesischen Werften. Hinzu kommt noch die ebenfalls modernisierte größte Küstenwache der Welt – mit 255 Schiffen, darunter 130 großen –, die im Chinesischen Meer die Rolle eines Gendarmen spielt.

Die USA betrachten China mittlerweile als potenziellen Hauptfeind und haben ihre Seestreitkräfte strategisch neu ausgerichtet: 60 % der US-Flotte wurden in den asiatisch-pazifischen Raum verlegt, was zu Lasten Europas geht. Ebenso haben die USA vermehrt Militärabkommen mit Ländern der Region unterzeichnet: einerseits mit den ASEAN-Staaten (Indonesien, Malaysia, Thailand, Vietnam, Philippinen), aber auch der gegen China gerichtete Viererbund „Quad“ mit Japan, Australien und Indien wurde wiederbelebt.

Die militärische Aufrüstung auf beiden Seiten richtet sich größtenteils nach dem Rivalen. Die globale militärische Überlegenheit der USA ist bis auf Weiteres unbestritten, sie müssen aber mit einer schnellen Entwicklung der chinesischen Streitkräfte und der Fähigkeit rechnen, sehr schnell und in großen Mengen zu produzieren.

Worum geht es in Taiwan?

Der Besuch der Vorsitzenden des US-Repräsentantenhauses Nancy Pelosi auf Taiwan im August 2022 wurde von der chinesischen Regierung als Provokation aufgefasst. Warum stand ausgerechnet diese Insel im Mittelpunkt von Rivalität und beidseitigem Säbelrasseln?

Taiwan hat 23 Millionen Einwohner und liegt 130-180 km vom chinesischen Festland entfernt. Seit 1949 beherbergt es die Überreste der alten „Republik China“, die durch die Machtübernahme der KP Chinas in der maoistischen Revolution vom chinesischen Festland vertrieben wurden. Sie ist ein Brückenkopf des Westens vor den Toren Chinas und hat ein großes geopolitisches Gewicht: Zusammen mit den anderen Inselgruppen vor der Küste Chinas – von Japan im Norden bis nach Malaysia im Süden –, die alle mit den USA verbündet sind, lässt sich der für Chinas Außenhandel so wichtige Seeweg kontrollieren. Deshalb ist für China die Taiwanfrage so ein Politikum.

Deshalb auch wurde die traditionelle Unterstützung der USA für Taiwan in den letzten Jahren verstärkt, mit einer Erhöhung der US-Waffenverkäufe um mehr als 13 Milliarden US-Dollar zwischen 2017 und 2020.

Die Straße von Taiwan ist auch eine wichtige Schiffspassage für den Binnenhandel zwischen dem Süden und Norden Chinas, insbesondere für Energielieferungen. Für China könnte Taiwan im Falle einer Eroberung eine erweiterte Expansionsbasis, eine Festung und ein Durchbruchspunkt zum Pazifik sein.

Taiwan ist auch wirtschaftlich von Interesse: Die Insel ist 2021 in die Top 10 der Rangliste der digitalen Wettbewerbsfähigkeit aufgestiegen (derzeit auf Platz 8) und ist weltweit führend in der Herstellung von Halbleitern, die (nicht nur) China benötigt. Daher versucht China, in Taiwan ausgebildete Ingenieure anzuwerben. Weil die beiden Volkswirtschaften miteinander verflochten sind, konnte es sich in der Vergangenheit auf einen Technologietransfer verlassen, aber Taiwan hat vor kurzem Gesetze zur Bekämpfung von Industriespionage eingeführt (im Januar 2022 ein Gesetz, das die Weitergabe von Geschäftsgeheimnissen und kritischen Technologien an China verhindert).

Sowohl im Ostchinesischen Meer, das an Japan grenzt, als auch im Südchinesischen Meer mit Vietnam, Malaysia und den Philippinen als – neben China – größten Anrainerstaaten gibt es Grenzkonflikte um einzelne (zum Teil unbewohnte) Inseln und die dazugehörigen Seegrenzen bzw. Hoheitsgewässer. Daran hängen Nutzungsrechte (für Fischfang, Schifffahrt, usw.), aber auch strategische Interessen als mögliche Marinestützpunkte. China dominiert mittlerweile faktisch das Südchinesische Meer. Im Jahr 2017 wurde ein Rahmenabkommen verabschiedet, doch genauere Texte lassen auf sich warten. Es wird vermutet, dass Peking mehr an den Verhandlungen als an deren Abschluss interessiert ist: Dies zwingt die betroffenen Länder, auf gutem Fuß mit China zu stehen, und macht gleichzeitig deren Spaltungen untereinander deutlich.

Im Oktober haben die USA ihre neue Militärstrategie öffentlich vorgestellt. Darin wird China als „dauerhaft größte Bedrohung“ bezeichnet. Was wir aber sagen können: In den letzten 10 Jahren sind die weltweiten Militärausgaben (inflationsbereinigt!) um 12 % gestiegen. Ganz sicher ist dieses imperialistische Wettrüsten – von allen Seiten – die dauerhaft größte Bedrohung für Frieden und Freiheit aller Völker der Welt!

Johannes Wolf, Wien und Richard Lux, Berlin

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert