Leiharbeit in der Pflege – lohnt sich!?

Während der Coronapandemie wurde besonders deutlich, was alle vorher eigentlich schon wussten: die Situation an deutschen Krankenhäusern ist katastrophal und das Personal am Limit. Daher gab es in den letzten Jahren mehrere Proteste und Streiks von Klinikbeschäftigten, um für bessere Arbeitsbedingungen sowie mehr Personal zu kämpfen – ein aktueller Kampf ist z. B. die Berliner Krankenhausbewegung (siehe dazu Aurora Nr. 19 und 20). Nichtsdestotrotz verlassen viele den Pflegeberuf nach einigen Jahren oder versuchen in Bereiche mit vermeintlich besseren Arbeitsbedingungen zu wechseln, wie z.B. in die Leiharbeit. Richtig, in der Pflege ist die Leiharbeit eine attraktive Alternative zur Festanstellung.

Glücksfall Leiharbeit?

Die Arbeitsbedingungen in der Pflege sind hart. Es gibt Schicht- und Wochenenddienste sowie Überstunden, die den Beruf anstrengend machen, aber sich auch auf das Privatleben auswirken. Die Bezahlung ist gering, vor allem in der Altenpflege, und die körperlichen und psychischen Auswirkungen von Über-lastung durch Personalmangel hoch. Laut einer Studie einer Pflegeleih-arbeitsfirma1 unter 386 Pflegekräften gaben 40 % der Kolleg:innen an, wegen des niedrigen Gehalts und 23 % wegen zu vielen Nacht-, Feiertags- und Wochen-enddiensten den Beruf verlassen zu haben. Ein Ausweg für Pflegekräfte aus diesen Arbeitsbedingungen ist die Leiharbeit.

Diese Flucht hat in der Alten- und Krankenpflege einen individuellen Charakter und ist auch ein Ausdruck der Unzufriedenheit mit genau diesen Arbeitsbedingungen. Neben höheren Gehältern können Leiharbeiter:innen ihre Dienste unabhängig planen, d. h. sie können Schichten und Urlaub frei wählen und sie müssen z.B. nicht kurzfristig aus dem Frei einspringen. Auch zusätzliche Aufgaben, welches festes Personal nebenbei erledigen muss, wie z.B. als Hygienebeauftragte:r oder die Anleitung von Azubis fallen weg. Leiharbeiter:innen müssen sich nicht mit Stationsleitungen ärgern und können, wenn es ihnen nicht gefällt, die Station bzw. die Klinik ohne Probleme wechseln.

Aber …

Für viele Kolleg:innen sind die extreme Flexibilität des Einsatzortes, kein festes Team zu haben sowie der fehlende Austausch mit Kolleg:innen Gründe gegen die Leiharbeit. Und vor allem für die festen Teams auf Station kann es mit dem Einsatz von kurzzeitig eingesetzten Leiharbeiter:innen zu Problemen kommen: sie kennen sich nicht im Bereich aus, sie benötigen Einweisungen und Betreuung in die Dokumentationssysteme, interne Abläufe, etc. und können meisten keine Extraaufgaben übernehmen, welche dann von kleinerem Stammpersonal übernommen werden muss. Es entsteht keine Teamdynamik und es fehlt meist das Vertrauen zwischen den Kolleg:innen sowie zu den Patient:innen.

Auch können Leiharbeiter:innen schwieriger in den Arbeitskampf mit einbezogen werden. Es gibt kaum eine gewerkschaftliche Organisierung in den Leiharbeitsfirmen, es gibt keine Identifizierung mit der Leihfirma bzw. mit den anderen Kolleg:innen, da diese an verschiedenen Standorten arbeiten. Und, wenn es zu Arbeitskämpfen am Einsatzort kommt, können sie schwierig in die betrieblichen Auseinander-setzungen einbezogen werden und werden im schlimmstem Falle als Streikbrecher:innen eingesetzt.

Verbot von Leiharbeit?

Leiharbeit in der Pflege wird auch in der Politik heiß diskutiert. In Berlin beschreibt die noch Gesundheits-senatorin Dilek Kalayci diese wie folgt: „Durch Leiharbeit sind Patienten-sicherheit, Pflegequalität und Ver-sorgungssicherheit gefährdet. Die Belastung für die festangestellten Pflegekräfte steigt“. Leiharbeit ist vor allem in Berliner Kliniken ein Thema, auf manchen Stationen ist fast jede dritte Pflegekraft von einer Leiharbeitsfirma, ohne Leiharbeit würden die Kliniken zusammenbrechen. Und während im Bundesdurchschnitt rund 2 % der Pflegebeschäftigten in der Leiharbeit tätig sind, sind es in Berlin 5,4 % in der Krankenpflege und 4,8 % in der Altenpflege2.

Scheinbar will die Politik nun die Leiharbeit in der Pflege unterbinden, um gegen den Personalmangel vorzugehen. Mit Druck aus Berlin gab es z. B. im März 2020 eine Bundesratsinitiative zur Eindämmung der Leiharbeit in der Pflege, welche zurzeit aufgrund der Corona-Krise pausiert. Und obwohl diese pausiert, konnten schon erste „Erfolge“ verzeichnet werden, z. B. hat das Vermittlungsportal „Insitu“ ange-kündigt, welches mit ca. 300 Leasingfirmen zusammen arbeitet, dass es nur noch die Firmen vermitteln wird, die eine Preisobergrenze einhalten. Damit sinken dann auch die Löhne der Pflegeleiharbeiter:innen und diese sollen dann so zurück in die Klinik „motiviert“ werden.

Doch die Politik selbst hat die Rahmenbedingungen gesetzt mit der Öffnung des Gesundheitswesens am „Markt“. Altenheime und Krankenhäuser wurden zu Anlagemöglichkeiten mit hohen Renditeerwartungen und mittlerweile gibt es mehr Häuser privater Klinikkonzerne3 wie Helios als in öffentlicher Trägerschaft. Denn im Kapitalismus ist es natürlich, dass da, wo es Rendite geben soll, gespart werden muss. Das Personal ist mit durchschnittlich 62 % der größte Kostenpunkt in der Klinik und daher ist es auch nicht verwunderlich, dass hier die Sparschraube angesetzt wurde. Über Jahre hinweg wurde das Personal weniger und nun ist die Situation so angespannt, dass die Politik dagegen steuern muss. Aber anstatt Anreize für die Pflege zu schaffen, wie mit höheren Löhnen, versuchen sie z. B. Leiharbeitsfirmen als Unmoralisch darzustellen und die Kolleg:innen dort zu diskreditieren.

Die Bundesratsinitiative wurde auch durch Krankenhäuser wie der Berliner Universitätsklinik Charité oder dem „Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste e.V.“ (bpa) unterstützt. Den Chefs gefällt die Flexibilität der Kolleg:innen scheinbar nicht, die sich selber aussuchen können, unter welchen Bedingungen sie arbeiten möchten. Die Pflegedirektorin der Charité, Judith Heepe, verkündete stolz, dass sie den Leiharbeiter:innenanteil auf 1 % drücken  konnte. Wie hat sie das angestellt? Beispielsweise hat sie „Jokerdienste“ eingeführt, die zum Teil mit bis zu 200 € Stundenlohn das Stammpersonal motivieren sollte, Extraschichten auf anderen Stationen zu übernehmen und so die Leiharbeitsrate zu drücken – aber auf Kosten der Gesundheit der Kolleg:innen. Aber auch mit diesen Manövern benötigt die Charité für viele Intensivstationen Leiharbeiter:innen, um den Betrieb aufrecht erhalten zu können. Leiharbeit ist auch an der Charité schon lange keine Ausnahme mehr, um z. B. Ausfälle im Personal abzufedern, sondern für den Dauerbetrieb.

Leiharbeit und Mindestbesetzung

Die Kämpfe für mehr Personal auf Station müssen auch das Thema Leiharbeit mit einbeziehen. Schon heute laufen Stationen z. T. nur noch mit der Unterstützung von Leiharbeiter:innen und eine Mindestbesetzungsregelung kann dazu führen, dass noch mehr externes Personal dazu kommt mit den vorher genannten Problemen für das Stammteam.

So wurde auch innerhalb der Berliner Krankenhausbewegung der Punkt Leiharbeit diskutiert und soll in den zukünftigen Tarifvertrag der Charité einfließen. Als Belastungssituation gilt, die zu Entlastungspunkten4 führt, wenn Leasinganteil in der jeweiligen Schicht im Bereich größer 50% ist (z.B. für OPs durchaus wichtig).

Aber am Ende gefährdet nicht die Leiharbeit die Qualität der Pflege und sorgt für Überlastung auf Station, sondern die Politik der letzten Jahre. Die Privatisierung der Pflege, die Sparpolitik und der Investitionsstau in die Infrastruktur führten zu diesen desaströsen Zuständen und ganz sicher nicht der Wunsch von Kolleg:innen für bessere Arbeitsbedingungen.

Rosa Anders und Havannas Obst, Berlin

Referenzen

1 https://medwing.com/DE/de/magazine/artikel/umfrage-waerst-du-bereit-in-deinen-pflegeberuf-zurueckzukehren/

2 Laut einer Analyse der Bundesagentur für Arbeit 2019 gab es in Deutschland rund 22.000 Leiharbeiter:innen in der Krankenpflege, in der Altenpflege waren es 12.000.

3 https://de.statista.com/statistik/daten/studie/157072/umfrage/anzahl-der-krankenhaeuser-nach-traegerschaft/

4 Mit einer bestimmten Anzahl an Belastungspunkten gibt es weder eine Freischicht oder eine Extraschicht wird vergütet.

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