Gegenwind für Israels Ultrarechte

Wenige Konflikte sind so alt und verhärtet wie der Nahostkonflikt. Und auch dieses Jahr gibt es keinen Frieden, allein in den ersten zwei Monaten 2023 mussten bereits 69 – überwiegend palästinensische – Menschen ihr Leben lassen in den Auseinandersetzungen zwischen israelischem Staat und Palästinenser:innen (Stand 23. 2. 2023). Doch die israelischen Mächtigen erleben dieses Jahr Widerstand: Massenproteste, die sich gegen die rechtsgerichtete Regierung wenden, durchziehen das Land, teilweise demonstrieren über 100.000 Menschen. Doch um was geht es? Und welche Rolle spielt der Nahostkonflikt dabei?

Der Staat Israel wurde nach dem zweiten Weltkrieg mit der Intention gegründet, den Juden und Jüdinnen, die seit Jahrhunderten Vertreibung und Völkermord ausgesetzt waren, einen eigenen Staat zu geben. Dafür wählte man eine britische Kolonie, welche allerdings natürlich kein bevölkerungsloses Land war, sondern auf dem Gebiet der Palästinenser:innen lag. In mehreren Kriegen vertrieb man diese aus dem Land, um ein neues zu gründen – was zum tiefgreifenden Hass der Palästinenser:innen gegenüber dem neuen Staat führte, der sie ihrer Heimat beraubte. Israel beansprucht dabei weite Teile des ehemaligen Jordaniens für sich, auf welchem jedoch weiterhin viele Palästinenser wohnen, die in „autonomen Gebieten“ (wie z. B. dem Gaza-Streifen) ihre Unabhängigkeit anstreben, was von Israel jedoch missachtet wird.

Daraus resultiert innen- sowie außenpolitisch heutzutage ein extrem explosives Gemisch, welches dieses Jahr immer mehr hochkocht. Die israelische Gesellschaft ist eine hochkapitalistische, welche mit den uns nicht unbekannten Problemen wie steigender Ungleichheit, Arbeitslosigkeit und Ausbeutung zu kämpfen hat. Vor allem der wiedergekehrte Präsident Benjamin Netanjahu und seine ultrarechte Regierung gießen dabei weiter Öl ins Feuer. Diese steht nicht nur für neoliberal-konservative Politik, sondern beharrt auch auf der völkerrechtswidrigen Besatzung palästinensischer Gebiete und hat das „exklusive Recht“ Israels auf das Westjordanland ins Regierungsprogramm geschrieben. Entsprechend genehmigt sie illegale Siedlungen jüdischer Israelis (allein am 24. 2. 2023 7.000 Behausungen).

Eine Justizreform war es, die das Fass zum Überlaufen und auch jüdische Israelis zum Protestieren brachte: Plan der Ultrarechten ist es, dem Obersten Gerichtshof des Landes eine Vielzahl seiner Befugnisse zu beschneiden. Dieser nämlich ist in der Lage, Gesetze der Regierung anzufechten und den Präsidenten in seiner Machtfülle einzuschränken. Gerade bei der arabischen Bevölkerung Israels genießt er dabei Anerkennung, da er auch Siedlungen und andere koloniale Angriffe auf den palästinensischen Raum in gewissen Schranken hält.

Dieser von Liberalen als „Angriff auf die  Gewaltenteilung“ beschriebene Vorgang zieht jedoch viel größere Kreise nach sich, als die üblichen bürgerlichen Machtspiele. In den Protesten schlägt sich also auch der Frust über die sozialen Kürzungen im Neoliberalismus und dessen Angriffe auf die Arbeiter:innenklasse nieder, wie die vielen den Protest begleitenden Streiks beweisen.

Gleichzeitig wird der Konflikt der israelischen Regierung mit den Palästinenser:innen wieder heißer, palästinensische Anschläge folgen militärischen Angriffen Israels. Solche Entwicklungen konnte die Regierung bisher oft zur Mobilisierung gegen die arabische Bevölkerung nutzen – jetzt aber demonstrieren sowohl arabische als auch jüdische Israelis gegen den aggressiven Charakter der Regierungspolitik.

Mit den Protesten wehren sich also viele Israelis gegen die zunehmend autokratischen Handlungen Netanjahus. Jedoch sollte das nicht darüber hinwegtäuschen, dass es keine Proteste gegen die bürgerliche Ordnung und die Herrschaft des Kapitalismus sind.

Doch die wären nötig: Denn nur wenn sich israelische und palästinensische Arbeiter:innen zusammenschließen, um ihre Unterdrückung zu beenden, kann Frieden zwischen den Bevölkerungsgruppen entstehen – fernab von religiösen Verblendungen auf beiden Seiten oder bürgerlichen Kolonialbestrebungen.

Jonas Schmidt, Düsseldorf und Maria Brücke, Berlin

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