Am 26.07.2023 putschte das Militär im westafrikanischen Niger. In dieser Übersetzung eines Artikels der Neuen Antikapitalistischen Partei (NPA) in Frankreich werden die wirtschaftlichen Beziehungen der beiden Länder und die Rolle des französischen Imperialismus beleuchtet.
Nach dem Staatsstreich in Niger beeilte sich [ der französische Staatspräsident] Macron anzukündigen, dass Frankreich die finanzielle Unterstützung an Niger einstellen wird, um Druck auf diejenigen auszuüben, die die Macht im Land übernommen haben. Aber was für eine finanzielle Hilfe ist das? Die der französischen Entwicklungsagentur1, die unter diesem hochtrabenden Namen Niger 120 Millionen Euro für das Jahr 2022 zahlte und die selbe Summe auch für 2023 vorgesehen hatte – das sind bei 25 Millionen Einwohner:innen stolze 4,80 € pro Kopf!
Natürlich geht es nicht um Durchschnittswerte pro Einwohner, sondern um „Projekte“, die einigen Minister:innen, Lokalbaronen und schmierigen Unternehmer:innen helfen: Im besten Fall ein Paar Krankenstationen oder Klassenzimmer, die Ausbesserung einiger Straßen … wenn sie für den Transport von Uranerz nützlich sind! Oder auch die Subventionierung für den Ausbau der Wasserversorgung – wovon vor allem [der französische Konzern] Veolia2 profitieren konnte, der seit 2001 das Monopol für die Trinkwasserversorgung im Land hat.
Kleine Almosen auf der einen Seite, Tonnen von Uran zur Versorgung französischer Atomkraftwerke auf der anderen: Man muss nicht lange suchen, um herauszufinden, wer hier wem nützt. Und man muss auch nicht lange suchen, um den wachsenden Hass vor allem der nigerischen Jugend auf den französischen Imperialismus zu verstehen, nicht nur wegen der Plünderung der Reichtümer des Landes, während die Bevölkerung im Elend lebt, sondern auch wegen der Bedingungen dieser Ausbeutung selbst, vor allem in den Uran-Minen.
Die erste große Uran-Mine, die Arlit-Mine, die 50 Jahre lang von der [französischen] Areva-Gruppe (jetzt Orano) betrieben wurde, musste ihre Tore 2021 schließen, weil die Reserven erschöpft waren. Und so hinterließen sie in der Bevölkerung dieses ehemaligen kleinen Dorfes, das jetzt eine Stadt mit 150.000 Einwohner:innen ist, eine Arbeitslosenquote von über 60%, verschmutztes Wasser und durch radioaktive Verstrahlung verursachte Krankheiten. Denn die Mine entsorgte ihre Abfälle im Freien: eine 35 Meter hohe Halde auf einer Fläche von 120 Hektar, die das Unternehmen nun verspricht, mit einer zwei Meter dicken Schicht aus Lehm und Sandstein zu bedecken. Arbeiten, die bis 2030 dauern sollen, für einen „Sarkophag“ mit zweifelhafter Effizienz. Und nun ist die Stadt Arlit auch noch zu einem Durchgangsort geworden für Konvois von Geflüchteten aus Niger selbst und aus Nachbarländern, auf dem Weg durch die Wüste Richtung Libyen, um ihr Glück zu versuchen und das Mittelmeer nach Europa zu überqueren.
Ein weiteres Uran-Vorkommen nahe Arlit soll nun ein Tagebau werden, der [den französischen Konzern] EDF3 bis 2040 beliefern wird, während Orano den Abbau eines als „Jahrhundertvorkommen“ bezeichneten Vorkommens nicht weit entfernt im selben Tal für 2038 plant. Goldene Zeiten für die französische Atomenergie, für die Region nichts als Verwüstung.
Einziger Trost für die Arbeitsplätze, so ein ehemaliger Orano-Ingenieur, der im April diesen Jahres von „Le Monde“ interviewt wurde: „ Zum Glück gibt es noch die Goldminen. Wenn es überhaupt noch ein bisschen Stabilität in der Region gibt, dann ihretwegen. Diejenigen, die sonst wahrscheinlich zur Waffe greifen würden, finden dort wenigstens noch Beschäftigung.“ Danke für die Beschäftigung. Wir erinnern daran, dass vor zwei Jahren, im November 2021, der Einsturz einer Goldmine im Süden Nigers 18 Menschen das Leben kostete, und der Gründer der Bewegung M624 landete im Gefängnis, als er die Zustände in den Goldminen anprangerte – im Speziellen das Vorgehen einer als „Anti-Terror-Razzia“ getarnten Militärintervention im Oktober letzten Jahres an einer Goldmine, die zahlreiche zivile Opfer forderte.
Ob in Mali, Burkina Faso, Senegal oder Niger, heute sieht man eine Jugend, die bereit ist, auf die Straße zu gehen gegen die Plünderung der Reichtümer und das Elend ihres Landes. Terroristische Gruppen und Banden, die vom Terrorismus profitieren, sind nur ein Nebenprodukt eben dieses Elends.
Die Oberste und Generäle, die die Macht in Niamey übernommen haben, sind sich nicht zu schade, diese antifranzösische, anti-imperialistische Stimmung in ihrem Machtkampf mit dem vertriebenen Präsidenten und der französischen Regierung zu nutzen, nachdem sie selbst jahrelang mit der französischen Armee kollaboriert haben, was sie vielleicht auch bald wieder tun werden, wenn sie keinen anderen Beschützer finden, der es ihnen ermöglicht, ihre Geschäfte am Laufen zu halten. Aber die Aufstände der Bevölkerung, wie die Streiks und Demonstrationen, die 2019-2020 in Mali stattfanden, bevor die Militärjunta den Präsidenten stürzte, oder 2019 im Sudan, bevor eine Koalition aus Offizieren die Geschäfte übernahm und eine neue Diktatur gegen die Bewegung errichtete, sind für die imperialistischen Großmächte, die die Reichtümer Afrikas unter sich aufteilen (oder darum streiten), weitaus gefährlicher als jeder Militärputsch oder Regimewechsel. Diese Mobilisierungen der Bevölkerung sind die Zukunft.
Olivier Belin, Paris, 02.08.2023
1 Agence française de développement (AFD)
2 französischer Großkonzern mit Schwerpunkt im Bereich Wasser/Abwasser, Abfallentsorgung und Energie
3 Électricité de France, staatlich dominierte, französische Elektrizitätgesellschaft
4 Bürgerrechtsbewegung in Niger, richtet sich klar gegen die Ausbeutung des französischen Imperialismus
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