Wer die Gründung eines palästinensischen Staates vereiteln will, muss die Stärkung der Hamas und Geldtransfers an die Hamas unterstützen. […] Das ist Teil unserer Strategie – die Palästinenser in Gaza von den Palästinensern im Westjordanland zu isolieren.“ Das sagte der israelische Regierungschef Netanjahu im März 2019.
Und so durfte das Golfemirat Katar mit Wissen und Billigung der israelischen Regierung seit Jahren jeden Monat 30 Millionen Dollar an die Hamas in Gaza zahlen – um einen Regierungsapparat in diesem Küstenstreifen aufrecht zu erhalten, der vor allem auch die eigene Bevölkerung kontrolliert und unterdrückt hat.
Hamas und Netanjahu stützen sich gegenseitig
Damit setzt sich eine lange Tradition der israelischen Politik fort, die schon in den 1980er Jahren den Aufbau der islamistischen Hamas als Konkurrenz zum damaligen Palästinenserführer Arafat unterstützt hat. Und gegenüber kritischen Stimmen aus dem Ausland macht es sich immer gut, auf die Bösewichter der Hamas verweisen zu können. So muss man sich nicht dafür rechtfertigen, dass der israelische Staat nicht nur keinen „Friedensprozess“ voranbringt, sondern ihn durch die massive Siedlungspolitik komplett unmöglich macht.
Die Hamas ihrerseits konnte von dem Geld aus Katar gut leben – im Gegensatz zum Elend der palästinensischen Bevölkerung in Gaza. Warum dann das Massaker vom 7. Oktober, bei dem auch der Hamas klar sein musste, dass es massive Repressalien Israels nach sich ziehen würde?
Eine Erklärung liegt in den internationalen Beziehungen im Nahen Osten. Die USA als führende imperialistische Macht streben nach mehr Stabilität in dieser Region, die wegen ihres Erdölreichtums immer noch entscheidende strategische Bedeutung hat. Deshalb haben die USA Annäherungen zwischen Israel und den arabischen Staaten auf den Weg gebracht. 2020 kamen die Abraham-Verträge zustande, mit denen die Vereinigten Arabischen Emirate und Bahrain, später auch Marokko und der Sudan, erstmals Israel als Staat anerkannten. Nun sollte ein wirkliches Schwergewicht folgen, Saudi-Arabien, neben Israel der wichtigste Verbündete der USA in der Region. Bei all diesen Annäherungen spielte die Frage der Palästinenser:innen und ihrer Unterdrückung keine Rolle.
Friedhofsruhe in Nahost?
So konnte der Nationale Sicherheitsberater der USA am 29. September dieses Jahres behaupten: „Der Nahe Osten ist heute so ruhig wie seit 20 Jahren nicht mehr.“ Zynisch angesichts der Tatsache, dass dieses Jahr bis August schon 220 Palästinenser:innen im Westjordanland von der israelischen Armee oder radikalen Siedlern getötet wurden. Die Hamas-Attacke vom 7. Oktober hat diese Träume eines „ruhigen Nahen Ostens“, in dem Palästinenser:innen einfach vergessen werden, durchkreuzt.
Für die Hamas war dies auch deshalb notwendig, um zu versuchen sich „innenpolitisch“ gegenüber der eigenen Bevölkerung wieder zu profilieren, da ihre Herrschaft über den Gazastreifen noch im Sommer durch Straßenproteste in Frage gestellt wurde.
Ohne Rücksicht auf die vorhersehbaren Opfer unter der palästinensischen Zivilbevölkerung hat die Hamas die Palästina-Frage wieder in den Vordergrund internationaler Politik gebracht. Vielleicht haben sie gehofft, von der mit dem Iran verbündeten Hisbollah im Libanon noch weitere Unterstützung zu bekommen, was das Eskalationspotenzial des Pulverfasses Nahost zeigt. Doch die Hisbollah hält sich bislang eher zurück und will das Schicksal der Hamas wohl nicht teilen, nachdem auch die USA mit zwei Flugzeugträgern in der Region aufmarschiert sind.
Was klar ist: Die Perspektiven der Hamas sind die einer reaktionären bürgerlichen Regierungspartei, die verzweifelt Verhandlungsmasse brauchte, um nicht im Spiel der Großmächte vergessen zu werden. Das steht in völligem Gegensatz zur Perspektive einer wirklichen Befreiung der Palästinenser:innen, die nur aus einem Bündnis aller Unterdrückten und Ausgebeuteten der Region entstehen kann, gegen die bürgerlichen autokratischen Regime in der arabischen Welt und gegen die rechtsradikale zionistische Regierung Israels.
Richard Lux, Berlin
Quellen:
1 haaretz.com/israel-news/2023-10-09/ty-article/.premium/another-concept-implodes-israel-cant-be-managed-by-a-criminal-defendant/0000018b-1382-d2fc-a59f-d39b5dbf0000
2 spiegel.de/ausland/krieg-im-nahen-osten-was-treibt-der-hamas-terrorchef-ausgerechnet-in-katar-a-cbda1306-cc32-4024-a905-90a569a31722
3 monde-diplomatique.de/artikel/!5954879