Der Krieg als Mittel der Neuaufteilung der Welt
zwischen Großmächten ist zurückgekehrt

Der Krieg in der Ukraine markiert eine Zeitenwende in den Beziehungen zwischen imperialistischen Kräften, die Rückkehr einer Konfrontation zwischen zwei großen Blöcken, die man in der Form schon lange nicht mehr gesehen hat.

Das ist nicht der erste Krieg seit dem Ende der Sowjetunion, nicht einmal der erste in Europa: Es gab schon den Krieg in Jugoslawien und auf der russischen Seite den Tschetschenienkrieg, wo Putin bereits seine Grausamkeit unter Beweis stellte. Auch gab es, ebenso brutal, die Kriege in Afghanistan und im Irak und viele weitere lokale Kriege. Aber diese be­waffneten Konflikte fanden immer innerhalb der Einflusszone einer der Großmächte statt. Was dem Ukraine-Krieg eine globale Dimension verleiht, ist, dass er aus der direkten Konkurrenz zwischen zwei imperialistischen Lagern über die Vorherrschaft in einer Region entstanden ist.

Jetzt schon löste er einen Militari­sierungsschub in Europa und andernorts aus. Nicht nur Deutschland hat eine massive Aufrüstung angekündigt – auch die USA, China, Frankreich und Groß­britannien rüsten weiter auf. Dies ist Ausdruck eines neuen Zeitalters des globalen Kapitalismus, das von Protekti­onismus, Autoritarismus und ver­schärften Rivalitäten geprägt ist, Aus­druck einer latenten Krise, bei der die Kräfteverhältnisse schnell vom wirt­schaftlichen ins militärische um­schlagen können.

Russland umzingelt? Oder der Profitgier des Westens und seiner eigenen herrschenden Klasse ausgeliefert?

Was hat Putin dazu gebracht, diesen Krieg zu beginnen? Nach dem Ende der Sowjetunion wurde Russland geplündert durch die neue kapitalistische Klasse im Land und durch die westlichen Groß­mächte, die nun in dieses Gebiet ein­dringen konnten. Das führte zu einer für die einfache Bevölkerung katastrophalen Wirtschaftskrise. Trotz eines Auf­schwungs in den 2000ern steht Russ­land heute nur auf Platz 13 der Volks­wirtschaften, hinter Südkorea und Australien. Von einer Großmacht ist es auf den Status eines „Schwellenlands“ zurückgefallen.

Die westlichen Großmächte, die über das Ende der Sowjetunion so erfreut waren, haben dem „neuen Russland“ nichts geschenkt. Dessen Einflusssphäre in Osteuropa und den ehemaligen Sow­jetrepubliken wurde schnell angegangen, um sie zum neuen Hinterhof der west­lichen Konzerne zu machen. Um diese neue westliche Dominanz zu festigen gab es die Osterweiterung von EU und NATO.

Bei diesem westlichen Run auf den Osten haben die neue Besitzenden in Russland, von denen einige in die Riege der weltweiten Superreichen aufge­stiegen sind, Federn gelassen. Für ihren obersten Vertreter Putin ist es dement­sprechend wichtig, dem Ganzen Einhalt zu gebieten.

Bei seinem Amtsantritt hatte sich Putin bereits als starker Mann gezeigt, der in der Lage war, die russische Wirtschaft aus dem Abgrund zu holen. Auch, indem er einen Teil der Oligarchen an die kurze Leine nahm um die Ausbeutungsver­hältnisse im Land zu normalisieren. Er kurbelte die Produktion auf Grundlage alter sowjetischer Industrieanlagen wieder an, die vernachlässigt oder von Oligarchen ausgeplündert worden waren. So wurde auch ausländisches Kapital angezogen, z. B. der Renault-Konzern, der das große Automobilwerk AvtoVAZ (Marke „Lada“) gekauft hat. Denn die imperialistischen Rivalitäten gehen auch mit einer Kapital­verflechtung einher. Russische Oligar­chen legen ihr Vermögen am liebsten im Bank- und Finanzwesen an oder in der Rohstoffförderung (und ganz nebenbei in englischen Fußballclubs).

Dieser ökonomische Aufschwung ver­schaffte Putin lange einen gewissen Rückhalt in der Bevölkerung. Aber mit der Wirtschaftskrise von 2008 und den Sanktionen nach der Annexion der Krim 2014 ging der Schwung verloren. Die Situation, die sich in den 2000ern auch für die Arbeitenden verbessert hatte, ver­schlechterte sich von neuem. Die Coronakrise hat alles zusätzlich ver­schlimmert und die Inflation auch die Moskauer Mittelschicht verarmt.

Das Putin-Regime ist abgenutzt und unpopulärer geworden, was man auch an der Hartnäckigkeit erkennen kann, mit der jede Opposition ins Gefängnis gesteckt und jeder potenzielle Kon­kurrent aus dem Weg geräumt wird. Vielleicht ist es auch diese innen­politische Situation, die Putins Flucht nach vorne erklärt. Es war Zeit für ihn, sich einmal mehr als starker Mann zu präsentieren. Dieses Mal mit Nationa­lismus, indem er das Thema der Er­niedrigung seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion und der Größe, die es wiederherzustellen gelte, bedient. Der Krieg in der Ukraine wird so in Putins Propaganda zu einer Art Verteidigungs­krieg, weil Russland bedroht sei.

Eine bedrohliche Militärmacht

Zumal die wirtschaftliche Schwäche Russlands im Widerspruch zur strategi­schen Bedeutung des Landes steht: durch seine Größe, seine Position als wichtiger Rohstoff-, Gas- und Erdöl­lieferant, aber auch seine Armee. Der einzige Sektor der Industrie, der wirklich modernisiert wurde, ist der militärisch-industrielle Komplex. Vor allem seit 2011 hat Putin die Investitionen in diesem Bereich angekurbelt und die Militärausgaben bis 2016 stark erhöht. Russland verfügt über hochentwickelte Waffen wie die Hyperschallraketen, die die ge­samte Erde erreichen können. Das Land ist nach den USA der zweitgrößte Waffen­exporteur der Welt, mit 20 % Marktanteil.

Es ist hauptsächlich diese militärische Stärke, auf die sich Putin heute stützen kann. Im Unterschied zu China, einer Wirtschaftsmacht, die in der Lage ist, In­vestitionen in Milliardenhöhe in große Infrastrukturprojekte auf der ganzen Welt zu stecken, und so ihren Einfluss ausbaut und ihre Versorgung mit Roh­stoffen sicherstellt.

Eine neue Rollenverteilung in der imperialistischen Weltordnung

Die russische Offensive findet statt vor einem Hintergrund, wo die interna­tionalen Kräfteverhältnisse ins Wanken geraten sind, insbesondere durch den Aufstieg Chinas. Putin sah dabei ohne Zweifel eine Möglichkeit, sich zu stärken, insbesondere nach der Serie von Fehl­schlägen der USA in Afghanistan oder Frankreichs in Mali.

Bei ihrem Vorhaben, die herrschende Weltordnung in Frage zu stellen, zeigen sich Russland und China öfter Seite an Seite. China hat es allerdings vorge­zogen, sich von Putins militärischer Offensive fernzuhalten, ohne sie jedoch zu verurteilen. Es hat sich bei der Ab­stimmung der UNO enthalten und scheint ebenfalls davon abzusehen, Russland bei der Umgehung der Sanktio­nen zu helfen. Nicht nur aus Sorge vor Vergeltungsmaßnahmen, die es selbst treffen könnten, sondern auch, weil die Ukraine ein wichtiger Partner bei dem Projekt der „neuen Seidenstraße“ ist. 2020 hat China 7 Millionen Tonnen Ge­treide im Wert von 1,9 Milliarden Euro von der Ukraine gekauft. So wurde es zum größten Handelspartner der Ukraine, noch vor Russland. Der Krieg tritt also auch dem chinesischen Riesen auf die Füße. Wobei die beiden Groß­mächte auch Rivalen um die Kontrolle der Rohstoffe Zentralasiens sind. Der Konflikt ist also vielmehr eine Dreiecks­geschichte.

Sanktionen, die abgestimmt sind … auf die Interessen der Großkonzerne

Auch wenn die USA und die EU auf die Militäroffensive umgehend mit laut­starken Erklärungen und einer Reihe an Sanktionen reagiert haben, haben sie doch auch beschlossen, ihre Streitkräfte zurückzuhalten. Denn auch wenn die Sanktionen Putin an seinen zweit­rangigen Platz innerhalb der Welt­ordnung erinnern und seine Expan­sionsambitionen bremsen sollen, sind die europäischen Großmächte, allen voran Deutschland und Frankreich, nicht unbedingt bereit ihre Interessen in Russland komplett für die Ukraine zu opfern.

Es ist ein komplizierter Balanceakt, der sich zwischen den imperialistischen Lagern abspielt – auf dem Rücken der ukrainischen Bevölkerung. Ein tödliches Spiel, das auch noch sehr viel weiter eskalieren kann, als es die verschiedenen Seiten geplant haben.

Maurice Spirz, Paris

[Dies ist eine leicht überarbeitete und gekürzte Übersetzung eines Beitrags vom 6. März, der auf der Website unserer französi­schen Schwesterorganisation veröffentlicht wurde.]

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