Corona-Demonstrationen: Wie berechtigte Kritik an der Regierung in einer Sackgasse landet…

Nach verschiedenen meist kleineren „Corona-Demonstrationen“ in Deutschland versammelten sich am 1. August 2020 in Berlin mehrere Zehntausend unter dem Motto „Das Ende der Pandemie – Tag der Freiheit“ um gegen die aus ihrer Sicht über-zogenen Corona-Maßnahmen der Bundesregierung, für „Demokratie“ und gegen die „Abschaffung der Grundrechte“ zu demonstrieren. Mit der Weigerung Masken zu tragen, drücken sie ihre Ablehnung der Corona-Politik der Bundesregierung aus, aber auch ihre Ablehnung des „Maulkorbes“, den die Masken aus ihrer Sicht versinnbildlichen. Bei der Folgedemonstration am 28. August in Berlin – die von der Berliner Polizei verboten und von Gerichten dann erlaubt worden war – kamen unter dem Motto „Berlin invites Europe – Fest für Freiheit und Frieden“ wieder mehrere Zehntausend.

Die Veranstalter*innen behaupten, weder „links“ noch „rechts“ zu sein. Sie bezeichnen sich als „Demo-kraten“, denen es um „Freiheit“ gehe. Aber welche Freiheit meinen sie?

Von Freiheit sprechen auch FDP, AfD und Wirtschaftsvertreter*innen: Eine „Freiheit“, in der jede*r Einzelne kämpft und auf sich gestellt ist, in der die großen Konzerne frei sind, die Arbeiter*innenklasse auszubeuten!

AfD, NPD und Reichsbürger springen auf die Demonstrationen auf und versuchen, sie für sich zu nutzen. Wie Schmeißfliegen sind sie dabei, wenn die „Kacke am dampfen ist“. Aber dass sich Rechtsextreme unter den Demonstrant*innen sehr wohl fühlen und manchmal auch lokal den Ton angeben können, folgt nicht zuletzt aus dieser Schwammigkeit der Aufrufe. Und die Organisator*innen lassen sie – trotz anderslautender Erklärungen – gewähren.

Krude Mischung oder bunte Mischung?

Aber die Demonstrationen nur der politisch rechten Ecke zuzu-schreiben, ist falsch. Die politisch Verantwortlichen in Bundes- und Landesregierungen versuchen die Bevölkerung zu spalten in die „Guten“, die folgsam sind, einerseits – und die „unverantwortlichen Coronaleugner*innen und Ver-schwörungstheoretiker*innen, die keinen Abstand zu Rechtsradikalen einhalten“ andererseits. Auf dass Kritik an der Politik der wirklich „großen Koalition“ aus allen Parteien und den Gewerkschaftsspitzen, die sich einig sind, die Interessen der Wirtschaft an vorderste Stelle zu setzen, sofort diskreditiert wird. Es ist auch dieses Vakuum an Opposition, in dem diese Demonstrationen Zulauf erhalten, wo gleichzeitig linksradikale Ideen kaum zu hören sind.

Unter den Teilnehmenden gibt es verschiedenste Ideen, so verschieden, wie die sozialen Milieus, aus denen sie stammen. Und auch die Arbeiter*innenklasse ist dort vertreten. Das können Autoarbeiter*innen aus Stuttgart sein, die sonst bei Streiks der IG Metall dabei sind, genauso wie Bauarbeiter*innen und Tischler*innen aus Jena, die der Bundesregierung nicht abnehmen, dass ihnen die Gesundheit der Arbeitenden am Herzen liegt („weil sie doch erst vor kurzem der Verlängerung von Glyphosat zugestimmt haben“) oder eine Gruppe von Kolleg*innen aus einem Altenpflegeheim in Bayern, die natürlich gegen Nazis sind und sich Sorgen machen um die Alten in ihrem Heim, die unter den Kontaktverboten leiden… Es finden sich Teilnehmende, die auch empört sind über die Milliardenzahlungen an Lufthansa und die permanenten Verschlechterungen in den Kranken-häusern („.. und der Spahn wollte erst letztes Jahr noch Krankenhäuser schließen!“), oder die sich als linke Aktivist*in bei „Aufstehn“ engagieren und auch mal empört fragen: „Wo ist denn die Linke?“

Misstrauen gegen die Regierung ist angebracht!

Was die Demonstrierenden eint, ist ein tiefes Misstrauen gegen „die politische Ordnung“ und – mehr oder weniger offen – der Wunsch nach Rücktritt der Merkel-Regierung.

Diese bemüht sich – anders als zum Beispiel Trump oder Bolsonaro – um einen wissenschaftlichen Ton. Aber die Demoteilnehmer*innen nehmen ihr nicht ab, dass es um „unsere Gesundheit“ geht. Diejenigen, die die fehlenden Kapazitäten in den Krankenhäusern, fehlende Schutz-mittel wie Masken und Des-infektionsmittel, immer noch fehlende Testkits und Labor-kapazitäten, Schulen und Kitas ohne ausreichende Räume und Personal, schlechte Arbeitsbedingungen (und Arbeitsschutz!), die alles das politisch zu verantworten haben, sollen nun diejenigen sein, die ganz objektiv und nur im Interesse der Bevölkerung ihre Entscheidungen treffen? Natürlich ist denen nicht zu trauen!

Auf dem Höhepunkt der Pandemie im Frühjahr war viel die Rede von Stärkung der Pflege und der Krankenhäuser. Und nun? Was bleibt von diesen langfristigen Strategien? Nichts! Stattdessen haben wir die strengen Auflagen und Verbote für die Bevölkerung auf der einen Seite und einen wahren „Goldrausch“ im Wettlauf um den Impfstoff auf der anderen. Dabei geht es wieder um Milliarden für private Pharma-konzerne, die sich vom Staat von jeder Haftung befreien lassen wollen1. Sowohl die Entwicklung der Impfstoffe als auch die Ver-handlungen mit den Regierungen sind in diesem Wettrennen internationaler Pharmakonzerne völlig intransparent. As always: die Riesenprofite, die sich mit den Impfstoffen machen lassen, werden privatisiert, während die finanziellen Risiken sozialisiert werden. Und wo sind eigentlich die ganzen „Hilfs-gelder“, die an die großen Unter-nehmen geflossen sind, gelandet?

Gleichzeitig gab es die massiven Einschränkungen der Demon-strationsfreiheit und anderer Rechte. Wir haben das beispielsweise am 1. Mai erlebt: überall Angriffe auf Arbeitsplätze und Arbeits-bedingungen, aber kaum eine Antwort darauf war erlaubt. Die Gewerkschaftsapparate haben in vorauseilendem Gehorsam gar nicht erst versucht, am 1. Mai eine Gegenstimme auf der Straße zu erheben. Was für ein befreiender Luftzug, als Jugendliche im Juni zu Zehntausenden in Solidarität mit George Floyd und gegen Rassismus auf die Straßen gingen – trotz und gegen die Einschränkungen für Demonstrationen.

Anticoronademo in Düsseldorf am 20.09.2020

Stellen wir die wirkliche Machtfrage!

Aber den Blick nur auf die Corona-Eindämmungs-Maßnahmen zu richten, die Gefahr des Virus zu leugnen, sich dem Maskentragen zu verweigern und „Merkel muss weg“ zu skandieren – so wie es die Organisator*innen der Corona-Demonstrationen tun, das hilft nicht raus aus den Problemen, sondern führt in eine Sackgasse, in der Rechte ihre Verschwörungstheorien ver-breiten können.

Was ist nötig? Nichts weniger als Transparenz und Kontrolle, also „open source“ für alle Ent-scheidungen, die die Eindämmungs-maßnahmen betreffen, aber vor allem für die wirtschaftlichen Entscheidungen: bezogen auf den Gesundheitsschutz auf Arbeit, das Gesundheitswesen, den Öffentlichen Dienst, die Pharmaindustrie… Wer kann diese Kontrolle ausüben? Wenn zu Recht so ein großes Misstrauen gegen Politik und Wirtschaft besteht, wer bleibt dann? Die Arbeiter*innenklasse selbst. Keine Bestellung, keine Lieferung, kein Laborbericht, keine Statistik, keine finanzielle Transaktion läuft, ohne dass das durch die Hände von Angestellten und Arbeiter*innen geht.

Nötig ist eine Vernetzung aller Bereiche, um Informationen auszu-tauschen, um Entscheidungen auf wissenschaftlicher Basis nachvoll-ziehen zu können.

Es braucht einen Plan, wie verhindert werden kann, dass die Arbeitenden – in den Betrieben und Verwaltungen, aber auch die Scheinselbständigen und Kleinst-unternehmer*innen, die von nichts anderem als ihrer Arbeit leben – diejenigen sind, die die Krise bezahlen. Dazu gehören ein Verbot von Entlassungen und massive Einstellungen im Öffentlichen Dienst. Die Konzerne müssen mit ihren Gewinnen bezahlen.

Es gibt viel Wut in Deutschland, auch unter den Arbeitenden. Aber was noch fehlt, ist das Selbst-bewusstsein, sich für die eigenen Interessen zu organisieren und das klar zum Ausdruck zu bringen. Die Arbeitenden selbst müssen auf die eigenen Kräfte und Fähigkeiten vertrauen, das ist nötig – wie immer, wenn der Kapitalismus uns mal wieder in ein Desaster gestürzt hat, so wie jetzt mit dem Corona-Virus.

Referenzen

  1. https://www.berliner-zeitung.de/wirtschaft-verantwortung/corona-impfung-wer-zahlt-fuer-moegliche-schaeden-li.101215

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