
Am 26. Mai hat die Berliner Regierung, eine Koalition aus SPD-Grüne-Linkspartei bekannt gegeben, sich über die Fortsetzung der Ausschreibung das städtischen S-Bahn-Netzes einig zu sein. Einfach ausgedrückt geht es darum, welches Bahnunternehmen ab etwa 2027 und 2030 (so bisher die Planungen) die Teilnetze Nord/Süd und Ost/West befahren wird und welche Unternehmen für diese Teilnetze die Fahrzeuge herstellen und instandhalten werden1. Der Clou: bislang ist das gesamte S-Bahn-Netz ein einheitliches Netz mit einem Betreiber, der S-Bahn Berlin GmbH, einem Tochterunternehmen der staatlichen Deutschen Bahn AG. Es ist die Rede davon, dass die Ausschreibung 8 Milliarden Euro schwer ist!
Es gab Verzögerungen im Frühjahr, die nichts mit Corona zu tun hatten: Die Berliner Regierungsparteien haben doch gewisse Neigungen, die zu einigem – begrenzten – Gezänk geführt hatten und unter einen Hut gebracht werden mussten.
Die Grünen wollen möglichst viele Unternehmen am S-Bahn-Netz beteiligen und den Einfluss der ungeliebten „monopolistischen“ Deutschen Bahn AG zurückdrängen. Deshalb favorisierte die grüne Verkehrssenatorin Günther bislang ein komplexes Verfahren, das sicherstellen sollte, dass auf jeden Fall mehrere Unternehmen zum Zug kommen.
Linkspartei und SPD war es wichtig, einen kleinen Einfluss auf die Fahrzeugsituation zu bekommen, eine völlige Zerschlagung der S-Bahn zu verhindern und gewisse Marker zu setzen, was die künftigen Arbeitsbedingungen der Beschäftigten angeht. Das alles sollte den Eindruck erwecken, als gäbe es echte Differenzen und sie würden ernsthaft um „gute Lösungen“ ringen. Die Realität ist weit davon entfernt.
Die Berliner Regierungsparteien sind sich einig. Nie gab es einen Dissens darüber, ob die Ausschreibung überhaupt stattfinden soll. Die Grünen haben letztlich durchgesetzt, dass zwar mehrere Unternehmen „gewinnen“ und die S-Bahn zerschlagen können. Gleichzeitig haben Linkspartei und SPD dafür gesorgt, dass ein Investor auch das gesamte Netz erwerben kann. Alles kann, nichts muss.
Das Land Berlin wird die neuen Züge kaufen und damit deren Eigentümerin werden, um diese an die Bahnunternehmen zu vermieten. Das Land Berlin wird auch eine neue große Werkstatt bauen, die dann die Bahnunternehmen nutzen. Und die künftigen Unternehmen müssen gewisse Beschäftigungssicherungen zusagen, etwa die Einhaltung der bislang üblichen Löhne.
Berlin als gigantisches Labor
Den Berliner*innen wird erzählt, diese weiteren Privatisierungsschritte seien nur von Vorteil, weil moderne Züge angeschafft würden und ein Debakel wie 2009, als wegen mangelhafter Wartung der Züge ein Großteil des Verkehrs eingestellt werden musste, verhindert würde.
Sicher, die Züge sind alt und es kommt immer wieder zu Störungen. Die S-Bahn ist bei den Fahrgästen nicht gerade beliebt. Aber warum sollen neue Züge nur dann gekauft werden können, wenn gleichzeitig die S-Bahn zerschlagen wird? Und das Debakel 2009 hatte einzig als Grund die Gewinnziele des Bahnkonzerns. So ist Kapitalismus eben. Wenn künftig drei Eisenbahnverkehrsunternehmen und drei Fahrzeughersteller Material, Beschäftigte und Fahrgäste runterrocken, warum sollte es besser laufen? Diese Lügen sind nicht mehr zu ertragen.

Alternativlose Unterwerfung? Sicher nicht!
Auf der letzten Kundgebung gegen die Ausschreibung, fühlten sich selbst einige Mitglieder der Linkspartei aus kleinen „Widerstandsnestern“ gezwungen, Kritik an der Linkspartei zu üben: Warum machen die das? Die Berliner Linkspartei erklärt das so: Wettbewerbsgesetz und EU-Recht würden zwingend die Ausschreibung verlangen. Die Aufteilung des S-Bahn-Netzes in drei Teilnetze sei schon 2011 von der früheren SPD-CDU-Regierung beschlossen worden, das lasse sich nicht so einfach zurückdrehen. Außerdem habe man gegen die grüne Verkehrssenatorin einige zentrale Punkte durchgesetzt.
Und die Deutsche Bahn AG sei auch nicht bereit, die S-Bahn an das Land Berlin zu verkaufen. Kurz gesagt: da kann man nichts machen, wenn die Gesetze, die anderen Parteien und die großen Konzerne gegen einen sind. Völlige Unterwerfung also. „Die LINKE“ verhindert nicht die weitere Privatisierung und mögliche Zerschlagung der S-Bahn. Da sie das als alternativlos darstellt und versucht, Illusionen zu verbreiten (…so schlimm wird es nicht… jedenfalls solange ihr uns wählt), unterstützt sie sogar die Pläne und ist – wie die anderen Parteien auch – den großen Konzernen und Finanzinstituten zu Diensten.
Und ihre „zentralen Punkte“ wie landeseigener Fahrzeugpool und Werkstatt führen dazu, dass der Staat auf unsere Kosten privaten Unternehmen Züge und Kapazitäten günstig zur Verfügung stellt und den potentiellen Investoren eine große Last abnimmt. Deren Gewinne werden steigen, die Schulden des Landes auch. Gerade die Pläne zum Kauf der Züge durch das Land schreien danach, die Ausschreibungspläne zu beenden. Aber das Gegenteil passiert.
Alles das sind langfristige Pläne und es ist nicht sicher, wie die Ausschreibung ausgehen wird. Aber die Bahnbeschäftigten spüren längst die Last. Jede Verschlechterung der Arbeitsbedingungen wird damit gerechtfertigt, dass die Ausschreibung anstehe und die S-Bahn sich gegen die Konkurrenz durchsetzen müsse.
So werden heute schon Arbeitszeiten flexibilisiert, sinken die Beschäftigtenzahlen und unterbleiben nötige Einstellungen, wird an der Instandhaltung der Züge gespart… bis Beschäftigte und Fahrgäste selbst, indem sie voll und ganz auf ihre eigenen Möglichkeiten setzen, dem Ganzen endgültig einen Strich durch die Rechnung machen.
1 Hierzu schon in der Dezember-Ausgabe der „aurora“: S-Bahn Berlin: Keine Häppchen für Investoren