2024. Die Klimakrise gleicht einem Film, in der ein Reisebus auf eine Klippe zurast. Die Herrschenden der Welt sitzen am Steuer und haben die schlechte Nachricht zunächst verschwiegen. Nun, wo die Situation ans Licht gekommen ist, prügeln sie sich um Lenkrad und Pedale. Der Rest der Menschheit sitzt hinten, viele davon unangeschnallt in den Verstauräumen. Eine kleine Geschichte von Klimaschutz, UN-Konferenzen, Scheinlösungen und Zukunftsaussichten.
Seit den 90ern veranstaltet die UNO jährlich eine Klimakonferenz. Sie ist Teil der UN-Rahmenkonvention zum Klimawandel, der sich mittlerweile 197 Staaten angeschlossen haben. Dieser „Rahmen“ beinhaltet – wie der Name schon sagt – noch keine Versprechen oder gar Verpflichtungen zum Klimaschutz. Ein konkreter Entschluss fiel im Jahr 2015 bei der Pariser Klimakonferenz. Das Übereinkommen von Paris („Paris Agreement“) wurde von 194 Staaten unterzeichnet und schreibt das Ziel fest, die Erderwärmung auf „deutlich unter“ 2 °C zu beschränken und am besten sogar unter 1,5 °C. Wenngleich diese Ziele sehr richtig sind, wurden keine Maßnahmen zur Zielerreichung beschlossen, sondern diese den einzelnen Nationalstaaten überlassen.
Ein zerstörerisches System
Ein kurzes Resümee der mittlerweile 28 Klimakonferenzen: die Menge der jährlichen weltweiten Treibhausgas-Emissionen steigt weiterhin an. Das bedeutet der Reisebus beschleunigt, anstatt zu bremsen! Zwar gehen die jährlichen Emissionen in einzelnen Ländern wie Deutschland zurück, doch nicht genügend. Wir erinnern uns an das Fahrschulwissen über Bremswege – die Bremse leicht antippen reicht nicht, wenn vor dir eine Schlucht klafft! Die aktuellen Klimamaßnahmen des deutschen Staates können das 1,5-Grad-Ziel (oder bloß das 2-Grad-Ziel) nur einhalten, wenn alle anderen Staaten deutlich mehr einsparen als Deutschland.1 Sogar die selbstgesteckten Ziele der Bundesregierung werden massiv verfehlt, wie das Umweltbundesamt (!) im letzten Jahr feststellte.
Warum bleibt die Gefahrenbremsung aus? Die Analogie liefert keine Erklärung, in der Realität ist es aber einfach: Es steckt sehr viel Geld und Macht in fossilen Energien – von Ölförderung über Autoproduktion bis hin zu
Chemie- und Pharmaindustrie. Das gilt für alle großen Wirtschaften und insbesondere für Deutschland. Wer unter diesen Umständen einen Umbau der gesamten Infrastruktur durchführt, setzt damit das Kapital in den Sand, welches auf verschiedenste Weise in fossilen Prozessen steckt. Weil das Weltsystem auf kapitalistischem Wettbewerb beruht, hat solche Kapitalvernichtung direkte Konsequenzen für die internationale Konkurrenzfähigkeit. Deswegen versuchen die Kapitalist:innen und Regierungen die notwendigen Maßnahmen hinauszuzögern, zulasten des Rests der Menschheit.
Was steckt hinter dem „grünen“ Kapitalismus?
Das bedeutet nicht, dass der Kapitalismus nicht ohne fossile Energie auskommt. Klimaneutrale Technologien können sehr profitabel sein und werden in den kommenden Jahrzehnten einen zentraler Markt bilden. Dies lässt sich auch an imperialistischen Konflikten wie zwischen USA und China ablesen, wo China große Klima-Investitionsprogramme für die nächsten 50 Jahre auf den Weg gebracht hat, um die USA auszustechen, oder am Ukraine-Krieg, der erneuerbare Energien für „Energiesicherheit“ relevant machte.
Diese Erkenntnisse dürfen aber nicht zu Illusionen aufgeblasen werden. Einerseits entspricht dies keinem „grünen“ Kapitalismus, da die kapitalistische Jagd nach Profiten prinzipiell nicht nachhaltig ist und Mensch und Natur auch in klimaneutraler Wirtschaft leiden werden (z. B. beim Abbau Seltener Erden). Andererseits ist die Klimakrise im Kern ein Zeitproblem und alle Wege zu einem klimaneutralen Kapitalismus haben gemeinsam: sie kommen zu spät.
Zu den Plänen Chinas gesellen sich nämlich unzählige Neubauten von Kohlekraftwerken, zu denen der USA die Erschließung neuer Ölfelder und zur Diversifizierung der Energiezufuhr Deutschlands neue Gasbohrungen. Die „grüne Transformation“ wird eine sehr langsame sein.
Eine neue COP ist in der Stadt …
COP 28 – das ist der Name der 28sten UN-Klimakonferenz, welche im Dezember stattfand – steht symptomatisch für all diese Entwicklungen. Veranstaltungsort war dieses Mal Dubai, stellvertretend für den Ölstaat der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) … kein gutes Zeichen. Wissenschaftler:innen aus aller Welt reisten an, um sich für Klimaschutz einzusetzen, doch viele resümieren frustriert, dass sie gescheitert seien. Die fossile Industrie hat bei dieser COP gewonnen.
In Sachen Klimaschutzmaßnahmen gab es vor allem zahnlose Erklärungen. Die Internationale Energie Agentur berechnete, dass selbst die Durchführung der dort verkündeten Versprechen nur 30 % dessen ist, was für das 1,5-Grad-Ziel benötigt wird. In den neuen Fonds für Ausgleichszahlungen bei Klimaschäden wurde lediglich 0,2 % von dem eingezahlt, was als reale Kosten der Zerstörung geschätzt wird.
… doch COPs bleiben COPs
Auf der anderen Seite waren gut 2400 der 70.000 Teilnehmenden Lobbyist:innen für Kohle, Öl und Gas, ein vielfaches vergangener Jahre. Insbesondere wurde der Vorsitz der Klimakonferenz bekleidet vom CEO des staatlichen Ölkonzerns der VAE.
Die Gegner des Klimaschutzes arbeiteten entlang zwei paralleler Schienen: Einerseits wehrten sie sich gegen verbindliche Beschlüsse zum fossilen Ausstieg. Andererseits wurde bei der Konferenz eine große Bühne geboten für Technologien der Wasserstoffverarbeitung und des Carbon Capture and Storage. Ziel: mithilfe dieser grünen Fassade den Ausstieg aus fossilen Energien zu verzögern.
Worin liegt das Problem? Wasserstoff ist zwar essentiell, um fossile Verfahren in etwa der Stahl- und Chemieindustrie zu ersetzen, aber stellt keine Energiequelle dar und ist somit auf erneuerbare Energien angewiesen, wenn er kohlenstofffrei hergestellt werden soll. Ohne fossilen Ausstieg bringt die Technik also nichts!
Als Carbon Capture and Storage (CCS) bezeichnet man Methoden, die CO2 einfangen und speichern, sodass weniger Treibhausgase in der Atmosphäre bleiben. Unter Klimawissenschaftler:innen herrscht jedoch der Konsens, dass CCS keine Grundlage einer Energiewende ist, sondern höchstens für den Ausgleich geringer Mengen unvermeidbarer CO2-Emissionen sinnvoll eingesetzt werden kann. Stattdessen braucht es den massiven Ausbau von erneuerbaren Energien. Zudem – wie beim Wasserstoff – sind die energieintensiven CCS-Prozesse ohne erneuerbare Energiequellen schlichtweg sinnfrei.
Good COP, bad COP
In Bezug auf Kohleverbrennung hat es das Narrativ des CCS-„Ausgleichs“ trotzdem in die Abschlusserklärung geschafft und steht symbolisch für den Einfluss des fossilen Kapitalismus. Die deutsche Bundesregierung sieht COP 28 als Erfolg an und argumentiert mit den minimalen (absolut ungenügenden) Fortschritten der Konferenz. Damit deckt der „gute Bulle“ Deutschland die „bösen Bullen“ aus Dubai, welche sich mit der Konferenz als klimabewusst und verantwortungsvoll inszenieren konnten.
Investigativjournalist:innen veröffentlichten kürzlich, dass Saudi Arabien – der reichere Nachbar der VAE und unter den top drei Ölförderern – umfangreiche Pläne hat, die Nachfrage nach Öl nach oben zu treiben, indem es sich dafür einsetzt, dass in armen Ländern in Afrika und Asien auf dreckigsten fossilen Energien basierende Infrastrukturprojekte (wie z. B. billige Verbrennerautos) geplant werden.2
Deutschland setzt auf der anderen Seite stark auf die Entwicklung von Wasserstofftechnologien, E-Autos und anderem klimaneutralen Hightech, die sie in Zukunft in aller Welt verkaufen wollen.3 Es ist das Komplement dazu, wie sie eigenen Klimaschutz verzögern und andere in Verantwortung ziehen wollen.4
Diesen oberflächlichen Unterschieden liegt aber dieselbe kapitalistische Logik zugrunde: Profite vor Leben. Die beiden Wirtschaften haben teilweise konkurrierende Interessen, doch sie eint die Profitlogik und der mangelnde Klimaschutz. Um ihren Betrug an den Klimazielen zu vertuschen machen sie deswegen gerne gemeinsam gute Miene zum tödlichen Spiel.
Sozialismus oder Barbarei
Panik kann lähmen, was wir brauchen ist Mut! Um es klarzustellen: Die 1,5-Grad-Grenze ist keine Klippe. Vielmehr gilt: je mehr Treibhausgase in der Luft landen, desto schlimmer wird es. Mit jedem weiteren Zehntel Grad Celsius verstärken sich die Effekte, die wir schon bei der aktuellen Erwärmung von 1,2 °C spüren – Dürre, Hitze, Stürme, Fluten, Artensterben, Wasserknappheit. Dazu kommen Kipppunkte, deren Überschreitung mit zunehmender Temperatur wahrscheinlicher wird und die zu dauerhaften Veränderungen unseres Planeten führen können. Je geringer die Erwärmung, desto besser unsere Chancen. Von den Entscheidungen des nächsten Jahrzehnts hängt unsere Zukunft ab. Um uns zu retten müssen wir den Wirtschaftsbossen und Politiker:innen das Lenkrad aus der Hand reißen. Nur mit dieser Entschlossenheit können wir die fatale Verwebung von Imperialismus, Krieg, Flucht und Klimakrise stoppen.
Konstantin Blass, Düsseldorf
Anmerkungen:
- Relativ gesehen, absolut ist das immer so. Berechnet mit aktuellem Global Carbon Budget https://essd.copernicus.org/articles/15/5301/2023/. Kombiniert mit Projektionen für zukünftige Emissionen des Umweltbundesamtes https://www.umweltbundesamt.de/publikationen/projektionsbericht-2023-fuer-deutschland ↩︎
- Siehe hier https://climate-reporting.org/undercover-saudi-arabia-keep-burning-oil/ ↩︎
- Beispielsweise in Ghana: https://www.german-energy-solutions.de/GES/Redaktion/DE/Veranstaltungen/Intern/2023/German-Training-Week/gtw-ghana-wasserstoff.html ↩︎
- Offizielle Politik der Ampel-Regierung: https://web.archive.org/web/20220503130833/https://www.tagesschau.de/investigativ/swr/studie-klimaziele-ampel-101.html ↩︎